Eigener Inhalt Heilig’s Blechle

Wolfgang Plank
 Quelle: Unbekannt

Der Trend zum eigenen Auto ist trotz Corona ungebrochen. Das könnte auch an Unwissenheit liegen.

 
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Deutschen Autobauern dürften die Zahlen ein wenig Hoffnung bescheren – kommunalen Verkehrsplanern ein paar mehr Grübelstunden: Vor allem in den 20 größten Städten ist Blech auf vier Rädern heilig und eine verlässlich wachsende Größe. Der Bestand an Kraftfahrzeugen stieg dort im vergangenen Jahr überproportional. Insgesamt waren 2019 in Deutschland gut 620 000 Autos mehr auf den Straßen als 2018. Fachleute rechnen mit einem weiteren Anstieg – auch wenn die Kurve wegen Corona zunächst etwas flacher ausfallen dürfte.

Die üblichen Alternativen sind plötzlich keine mehr. Dicht an dicht mit schwer atmenden Maskenträgern in Bus und Bahn – allein die Vorstellung lässt viele schaudern. Die Alternativen, so vorhanden, sind kaum besser. Im Taxi mangelt’s an Distanz, im Leihwagen womöglich an Desinfektion – und im Regen verliert auch das Fahrrad schnell an Reiz.

Wie stark und sicher ist da doch das eigene Auto. Einer Festung auf Rädern gleich bietet es stählernen Schutz gegen all das Ungemach da draußen. Man ist unterwegs und doch abgeschirmt zu Hause. Kein zufälliger Kontakt, kein verseuchtes Aerosol, keine heimtückischen Tröpfchennieser – eine Fahrgast-Zelle im Wortsinn.

Das gilt sogar für den Urlaub: Nach einem Corona-bedingten Kurz-Einbruch im April hat die Zahl der Neuzulassungen von Wohnmobilen im Mai den höchsten Stand der Branchengeschichte erreicht. Mehr als 10 000 neue Camping-Gefährte seien seit Lockerung der Corona-Einschränkungen registriert worden, heißt es beim Verband der Caravan-Industrie – ein Anstieg zum Vorjahresmonat um satte 30 Prozent. Was könnte aktuell auch verlockender sein, als ausschließlich mit Personen des eigenen Haushalts zu verreisen?

In Sachen Verkehrswende also wenig Vortrieb. Lärm und Dreck werden sicher nicht weniger, das Risiko für Staus und Unfälle steigt. Da ist Elektrifizierung nur bedingt eine Lösung. Experte Ferdinand Dudenhöffer fordert daher, die Autos mit der Stadt zu "versöhnen". Soll heißen: Eine digitale Bewirtschaftung des Parkraums, mehr Assistenz-Systeme, die auch alltägliche Kleinunfälle verhindern – und Versicherungstarife, die per Datenaufzeichnung aggressives Verhalten verteuern und defensive Fahrweise rabattieren.

Andere Studien zeigen: Der Umstieg auf öffentliche Verkehrsmittel ist – auch ohne Corona – vor allem für Pendler wenig attraktiv. Nahverkehrssysteme der Zukunft dürften nicht mehr streng auf Linien ausgerichtet sein, sondern müssten mehr individuelle Mobilität ermöglichen, die Busse und Bahnen mit Sammeltaxis und Sharing-Diensten verknüpft.

Womöglich liegt das Beharren auf dem eigenen Auto aber nicht nur an Vorsicht und Bequemlichkeit – sondern schlicht an Unwissen. So unterschätzen die Deutschen nämlich gewaltig, was ein eigener Wagen tatsächlich kostet.

Laut einer Studie des Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung, der Universität Mannheim und der Yale University belaufen sich die monatlichen Gesamtausgaben für Wertverlust, Steuern, Versicherung, Wartungs- und Reparaturkosten sowie Sprit im Schnitt auf 425 Euro. Die meisten Autobesitzer schätzten jedoch, dass sie nur 204 Euro im Monat ausgeben – das ist weniger als die Hälfte. Forscher glauben, dass ein Drittel der Deutschen auf ein eigenes Auto verzichten würden, sobald sie um die exakten finanziellen Lasten wüssten.

Das würde dann wieder mehr die Stadtplaner freuen als die Hersteller.