Eigener Inhalt Neben der Spur

Wolfgang Plank

Irgendwas fährt schief im Land. Allenthalben werden marode Brücken, kaputte Straßen, verstopfte Autobahnen beklagt - und doch rollen mehr als 70 Prozent aller Waren auf Lastwagen durch die Republik statt auf Zügen. Tendenz steigend. Warum? Weil in Sachen Logistik die Politik schon immer neben der Spur war, respektive dem Gleis. Güter auf die Schiene - davon reden Verkehrsminister bevorzugt an Sonntagen. Anderntags ist der nur allzu berechtigte Slogan wieder vergessen. Dabei ist Laderaum schon jetzt billiger als Lagerraum.

 
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So schnell wird sich daran wohl auch nichts ändern. Eben erst hat das Verwaltungsgericht Berlin eine Klage von Umwelt- und Verkehrsverbänden abgewiesen und überlangen Gigalinern auf bestimmten Routen freie Fahrt gewährt.
Die Regelzulassung dieser bis zu 25,25 Meter langen Gespanne verstoße nicht gegen EU-Recht, hieß es.

Die Spediteure wird’s gefreut haben. Sechseinhalb Meter mehr Länge sind was in diesem Gewerbe. Macht in Euro-Paletten gerechnet 54 statt der 34 bei normaler Ladefläche. Und bald wird man sicher auch die vollen 60 Tonnen transportieren dürfen. Derzeit gilt noch ein Limit von 44. Weil aber Laster in aller Regel beim Volumen an Grenzen stoßen und selten beim Gewicht, muss man für dieselbe Fuhre nicht mehr drei normale Sattelzüge durch die Republik zu schicken – es reichen zwei "Monstertrucks".

Das klingt in Sachen Umwelt zunächst einmal gut. Auch wenn Gigaliner mehr Sprit schlucken – es ist in Summe deutlich weniger als die dank ihnen eingesparten Laster brauchen würden. Anders sieht es schon beim Argument "weniger Staus" aus. Nur weil quasi jedes dritte Führerhaus entfällt, wird noch nicht sehr viel mehr Platz auf den Straßen.

Aber jedes gesparte Führerhaus ist eben auch ein gesparter Fahrer. Das macht Transporte im Lkw noch billiger, und also werden noch mehr Güter abseits der Gleise transportiert. Umweltverbände rechnen als Folge der Lang-Laster mit weiteren 7,6 Prozent – das entspricht etwa 7000 zusätzlichen Fahrten pro Tag. Da hilft es auch nichts, wenn versuchsweise Oberleitungen installiert werden, an denen Lastzüge auf bestimmten Abschnitten elektrisch fahren können.

Dabei ist der Gigaliner erst aller Laster Anfang. In den Entwicklungsabteilungen der Hersteller schwärmen sie bereits von der "elektronischen Deichsel". Was nichts anderes heißt, als dass allenfalls noch ein Sattelzug von Menschenhand gelenkt vorneweg fährt – die anderen aber fahrerlos folgen. Gesteuert über Radar, Kameras und all die Assistenten, die moderne Pkw zumindest zeitweise autonom unterwegs sein lassen.

Von den Berufsaussichten für Trucker mal abgesehen, brächten solche Geister-Konvois durchaus Vorteile. Zumindest auf Autobahnen. Sattelzüge könnten dichter auffahren und so den Raum besser nutzen. Zudem ließen sich durch gleichmäßige Fahrt und Windschatten tausende Liter Diesel einsparen. Und weil keine Fahrer auch keine Ruhezeiten brauchen, könnten die Laster, von Tankstopps abgesehen, rund um die Uhr rollen. Kein Wunder, dass in der Logistik-Branche jede Menge Augen leuchten.

Doch noch sind viele Fragen ungeklärt. Wer haftet, wenn es doch zu einem Unfall kommt? Was passiert mit der Kolonne, wenn einem der aufgefädelten Laster ein Reifen platzt oder der Motor streikt? Und vor allem: Wie sollen andere Autofahrer von der mittleren Spur auf den Parkplatz oder in die Ausfahrt kommen, wenn rechts eine schier endlose Karawane im Zentimeter-Abstand unterwegs ist?

Bei den großen Herstellern wie Mercedes, MAN, Scania oder Volvo ist die Begeisterung nicht gänzlich ungetrübt. Ähnlich wie in der Pkw-Sparte könnte auch dort das klassische Geschäftsmodell ins Schleudern geraten. Das bestand bislang darin, zuverlässige Trucks auf die Straße zu bringen und weltweit dafür zu sorgen, dass im Falle einer Panne blitzschnell ein Reparatur-Trupp oder ein Ersatzfahrzeug zur Stelle ist.

Doch das Transport-Geschäft der Zukunft wird es sein, Räume und Routen zu optimieren. Das mag der Umwelt nützen, weil man klüger disponieren kann und weniger Fahrten – vor allem leer – anfallen. Allerdings wäre das Ende herkömmlicher Laster womöglich nicht mehr fern. Und der Weg frei für ein Modell, bei dem die einen vernetzen und verdienen, während die anderen für kleines Geld Bleche biegen und Achsen schweißen.

Für die Fertiger sind das keine tollen Aussichten. Optimierter Versand kommt mit weniger Trucks aus. Und: Wenn der Laster von morgen sowieso vollautomatisch rollt, warum sollten Spediteure dann noch nach Design, Emotionen oder Markentreue entscheiden? Auch die Behaglichkeit der Schlafkabine oder das schicke Armaturenbrett spielen keine Rolle mehr. Nichts von dem, womit die Hersteller bislang Gewinne machten. Was zählt, sind Stauraum und Steuergerät.
Brummi war gestern.