Eigener Inhalt Sprinter im Hütchenwald

Wolfgang Plank

Zu Goethes Zeiten war Ostern ein kleiner Ausflug zu Fuß. Natürlich. Heutzutage reist man karossiert in die Feiertage, was im doppelten Sinne kein Spaziergang ist. Schon gar nicht in der Kolonne, erst recht nicht im Stau. Und stets fährt das Risiko mit, dass über sichere Ankunft oder Totalschaden oft nur Winzigkeiten entscheiden. Ein paar Schneeflocken, ein Tick zu viel Tempo, ein klitzekleiner Moment der Unaufmerksamkeit - oder das Manöver eines anderen, mit dem man nicht gerechnet hat.

 
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Dabei ließen sich viele Situationen meistern. Wenn man geübt wäre darin. Im richtigen Bremsen, im exakten Lenken, im klugen Reagieren. Wenn man Routine hätte im Erspüren dessen, was das Auto kann, was man selbst – und was eben nicht. Ob man nun privat steuert oder beruflich.

Genau deshalb hat ein gutes Dutzend Teilnehmer einen Streifzug gebucht ins Niemandsland der Fahrphysik. "Transporter Training on Tour" bietet eine Grenz-Erfahrung der besonderen Art. Nicht mit dem Pkw, sondern mit Autos, die für viele Arbeitsplatz sind: Citan, Vivano, Vito, Sprinter. Auch ein Koffer-Aufbau mit hohem Schwerpunkt ist dabei.

Seit 14 Jahren machen sie das bei Mercedes. Fast 50 000 haben schon mitgeübt. Kein anderer Hersteller bietet bei Nutzfahrzeugen Ähnliches. Ein Mix aus Produktkommunikation und Fahrtraining. Könnten sie ein Auto mehr verkaufen, sie wären nicht böse. Trotzdem: Das Angebot gilt auch für Kunden von Fremdfabrikaten. Sicherheit geht vor Marke. 15 Trainer gibt es. Alle mit spezieller Ausbildung, vor allem aber sozial kompetent. Wertschätzung für die Teilnehmer zählt dort ebenso viel wie Fahrkunst.

Im vergangenen Jahr war die Mercedes-Truppe viel unterwegs. 20 Orte, 88 Tage, fast 4400 Teilnehmer. Ein Viertel macht der reine Fahr-Anteil aus. Das ist viel. Doch Praxis hinterm Lenkrad vermittelt nun mal mehr Eindrücke als alle Theorie. Auf Übungsplätzen mit viel Freiraum kann man erleben, was man gerne verdrängt. Dass schon ein bisschen zu schnell viel zu schnell sein kann. Dass ein wenig Glätte alle Haftungsfragen mit Nein beantwortet. Und dass Naturgesetze auch für Assistenz-Systeme gelten.

Morgennebel über Groß Dölln. Am Hangar 2 werden letzte Zigaretten geraucht. Früher war hier Europas größter Militärflughafen. Mitten im Wald. Ausweich-Landebahn für das russische Raumfahrtprogramm. Vier Kilometer lang, 100 Meter breit, der Beton anderthalb Meter dick. Fast nur Männer sind da. Sie fahren Kisten für die "Tafel", medizinisches Gerät, Schmutzfangmatten. Frauen trifft man seltener. Ein Abbild der Branche.

Erste Station: Eco-Fahren. Plus 0,2 bar in den Reifen kostet Komfort, bringt aber bis zu anderthalb Liter am Tag. Und auch das Tempo spielt eine Rolle. Klar, Zeit ist Geld – aber Luftwiderstand eben auch. Und der steigt ab Tempo 80 spürbar. Selbstständige fahren lieber sparsam, angestellte Fahrer geben Gas. Sie haben ja die Tankkarte vom Chef.

Danach tröpfchenweise Adrenalin. Sprinter im Hütchenwald. Schneller Slalom, noch schneller, dann kullern die ersten Pylonen. So ist das mit dem Grip. Je mehr der Reifen in Längsrichtung leisten muss, desto weniger stemmt er beim Lenkeinschlag. Pfeifen, rutschen, irgendwann ist dann Ende.

Doch man täuscht sich leicht. Moderne Gummis verkraften viel – und moderne Nutzfahrzeuge noch mehr. Anfahrt auf ein Hindernis, bremsen, ausweichen und zurück. Für die Elektronik kein Problem, für manche Fahrer schon. Es ist wie auf der Straße. Den ersten Schlenker schaffen die meisten im Reflex, das blitzschnelle Gegenlenken schon nicht mehr. Von den Fehlversuchen zeugen nicht nur zu Ostern schwarze Spuren, die sich ineinander winden und dann im Bankett enden oder an der Leitplanke.

Die Truppe wechselt zum Punktbremsen. Heißt: Drauf, was geht. Und doch mit Augenmaß. Erschreckend, wie langsam sich Tempo abbaut. Doppelte Geschwindigkeit ist vierfache Energie. E = m x c2, die wohl bekannteste Formel der Physik, gilt irgendwie auch hier.

Auto-Tausch, ab zum Handling-Kurs. Nass – und mit Kurven, die zumachen. Wie es halt so passiert im richtigen Leben. Erst geht das Talent aus und dann die Straße.

Doch bei Mercedes kann man sich herantasten. Spüren, wie – je nach Antrieb – das Heck leicht wird oder die Fuhre schiebt. Am Ende des Tages haben sich diverse Reifen aufgerieben für die Erkenntnis, dass auch mit Übung nicht alles geht – aber verdammt viel. Wenn man nur weiß, wie.

Ronald Geyer weiß sehr gut, wie. Auch wie man einen Sprinter ohne ESP zum Kippen bringt. Ausnahmsweise fährt hier der Chef selbst. Und auch der nur mit Stützrädern – für den Fall der Fälle. Eine Spezialanfertigung.

Und ja: Auch vermeintlich Trockenes gehört zu "Transporter Training on Tour": Ladungssicherung. Klingt erst mal nach Gähn, macht aber tatsächlich Spaß und jede Menge Eindruck. Filme, in denen lose Fässer durch den Bus wirbeln oder rutschende Stahlträger sich durchs Führerhaus bohren, vergisst man nicht so schnell. Dann vielleicht doch künftig einen Spanngurt mehr nehmen. Oder rutschfeste Matten unterlegen. Gilt übrigens nicht nur im Job. Die StVO macht bei Paragraph 22/1 keinen Unterschied zwischen privat und gewerblich.

Am Ende des Tages fühlen sich alle wie Sieger. Keiner im Kiesbett, vor allem aber keiner, den ein drängendes Heck oder ein abrupter Lastwechsel noch überrumpeln könnte. Fazit: deutlich mehr Sicherheit für die Straße – und hohes Rückfall-Risiko Richtung Training. Auch Drifts mit Kleinlastern können süchtig machen.

Stationen in der Region:

Schlüsselfeld: 11. – 13. Mai 2018

Sachsenring: 18. – 20. Mai 2018
26. – 28. Oktober 2018

Leipzig: 25. – 27. Mai 2018

Oschersleben: 15. – 17. Juni 2018

Alle weiteren Orte und Termine:
www.transporter-training-on-tour.de