Eigener Inhalt Yaris in the air

Wolfgang Plank

Wer die Einsamkeit sucht, ist rund um Jyväskylä richtig. Wald und kein Ende. Ein Idyll aus Fichten und Seen. Nur gelegentlich durchkreuzt von ein paar welligen Schotterpfaden. Viel mehr Abgeschiedenheit geht kaum.

 
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Es sei denn, es ist das Wochenende der Rallye Finnland. Dann säumen sie zu Hunderttausenden die Wege und Kuppen. Nordmänner, -frauen, -kinder und Fans aus aller Welt. Kein Weg ist zu weit, kein Dickicht zu dicht. Hier gibt es die höchsten Geschwindigkeiten im WM-Kalender zu sehen – vor allem aber die weitesten Sprünge. Flugschau im Fichtenwald.

Seit 1951 gibt es die Rallye, und fast ausnahmslos siegten die Hausherren. Legenden wie Simo Lampinen, Hannu Mikkola oder Markku Alen düpierten im Unterholz die Konkurrenz. Es war der Spanier Carlos Sainz auf Toyota Celica, der 1990 als erster Nicht-Skandinavier hier gewann. Doch mehr als ein Dutzend fremde Erfolge in 65 Jahren ließen die "Fliegenden Finnen" auf Ouninpohja und den anderen Wertungsprüfungen nicht zu.

Dieses Mal liegt die Sache ein klein wenig anders: Finnische Fahrer in finnischen Wäldern bedeuten ein Heimspiel für – Toyota. Denn nach ihrer Rückkehr in die Top-Liga des Rallyesports dominiert auf weißem Grund nicht der rote Punkt, sondern ein blaues Kreuz. Und den Anspruch hat Konzern-Boss Akio Toyoda klar formuliert. "Wir hassen es zu verlieren", ließ er bei der Vorstellung des Yaris World-Rally-Cars bestellen. Damit war vor allem klar: Teamchef Tommi Mäkinen muss liefern.

In der Zunft der Querfahrer ist Mäkinen einer der ganz Großen. Vier Jahre in Folge war der Finne Weltmeister. Japanisches Auto, falsche Marke – jedenfalls aus Sicht seines aktuellen Arbeitgebers. Damals war Mitsubishi das Maß der Drift-Dinge. Seinen letzten Titel holte Mäkinen 1999. Genau das Jahr, in dem Toyota sich nach dem dritten Marken-Titel der Formel 1 zuwandte – und als erster Hersteller der WRC-Ära die Rallye-WM verließ.

Genau 17 Jahre später wollen sie wieder oben dabeisein. Mindestens. Mit einem Finnen als Teamchef und drei finnischen Fahrern – Jari-Matti Latvala, Juho Hänninen und Esapekka Lappi. Das ist viel Zugeständnis für einen japanischen Konzern. Man erzählt sich, Herr Toyoda sei bei einer Testfahrt mit Mäkinen durch die verschneiten Wälder derart begeistert gewesen, dass er ihm fortan so ziemlich freie Hand ließ.

Auch bei der Rallye-Version des Yaris. Herausgekommen ist ein Auto, das zumindest in Sachen Spoiler weit in Führung liegt. Was sie im nicht weit von Jyväskylä entfernten Puuppola dem WRC als Heckflügel aufgeschnallt haben, übertrifft alles Dagewesene. Sogar die Seitenspiegel sorgen für Anpressdruck. Bewegt wird das Ganze von einem 1,6-Liter-Turbo, der knapp 400 PS freisetzt. Ein hydraulisches Sechs-Gang-Getriebe reicht die Kraft an alle vier Räder. Vortrieb in Reinform.

Toyota steht unter Druck. Bereits den zweiten WM-Lauf in Schweden konnte das Team gewinnen, dann jedoch waren sechs Mal andere ganz vorne. Die Konkurrenz ist groß und mächtig: Seriensieger VW ist zwar ausgestiegen, aber dafür ist auch Citroën zurück. Mit Hyundai und dem nicht ganz offiziellen Ford-Team M-Sport stellen sich vier Hersteller auf vier Kontinenten Schnee, Schotter, Schlamm und Asphalt. Und all dem Ungemach, das ständig droht.

In Finnland ganz besonders. Sprünge von 40 Metern und mehr bei Tempo 190 sind schon für die Fahrer nicht einfach – noch weniger aber für die Autos. An die 30 Zentimeter steckt die Aufhängung bei der Landung weg. Kuppe für Kuppe. Ohne großes Nachfedern. So als ließe man Knetmasse auf den Boden fallen. Dafür kosten die Dämpfer auch ein paar Tausender.

Für den Erfolg hat Toyota – wie die anderen auch – eine eigene Welt mitgebracht. Ausgepackt aus elf Sattelzügen. Platz für Ingenieure, Wetter-Analysten, Physiotherapeuten – und das Küchen-Team. Unter dem Werkstatt-Zeltdach: eine Spezialisten-Truppe, die blind jede Schraube am Auto findet. Die in 20 Minuten ein Getriebe wechselt und eine Hinterachse in fünf. Und die einen Haufen Scheinbar-Schrott fahrfertig dengelt, noch bevor den Zuschauern im Service-Park der Kaffee kalt wird.

Mit viel Betreuung und noch mehr Herz fahren die Yaris-Piloten eine zwischenzeitliche Dreifach-Führung heraus. Unterwegs als gäbe es kein Morgen. Dann der Schock. Latvala muss sein Auto mit Elektrik-Schaden abstellen, Hänninen rutscht auf Platz vier ab. Die Konkurrenz wittert Morgenluft. Doch am Ende sind Glück und Können mit Esapekka Lappi und Copilot Janne Ferm. Zum vierten Mal erst sitzen beide in einem WRC – und sind doch abgebrüht genug, den Sieg nach Jyväskylä zu bringen. Auch Juho Hänninen/Kaj Lindström schaffen es als Dritte aufs Podium.

Kein Wunder, dass die rollende Werkstatt fast untergeht in Jubel und Sekt. Toyota hat einen Sieger – und Finnland einen neuen Helden.