Zum ersten Mal richtig überrascht bin ich beim Ordner "Messages". In 391 Verzeichnissen sind sämtliche Chats mit Bekannten, Kollegen, Familie, Freunden und sehr guten Freunden dokumentiert. Jeder Mausklick erinnert hier irgendwie an das Kramen in alten Fotoalben und Schulfreunde-Büchern auf dem Dachboden. Nur, dass die Fotos und Nachrichten, die ich in all den Ordnern öffne, eben nicht in Umzugskisten in der Obhut meiner Eltern lagern, sondern auf irgendwelchen Servern irgendwo auf dieser Welt gespeichert sind. Eine Erkenntnis, die erst nach und nach einsetzt.
Jede einzelne seit dem 26. Juli 2009 geführte Unterhaltung sowie sämtliche verschickte Fotos sind chronologisch aufgeführt. Nachrichten von jenen, die nicht mehr Teil meiner Freunde-Liste sind, werden genauso wiedergegeben wie Chats mit Nutzern, die schon lange das Netzwerk verlassen haben. Statt eines Klarnamens steht im Gesprächsverlauf dann nur "Facebook-Nutzer". Und auch die Inhalte sämtlicher Gruppen, zu denen ich irgendwann einmal hinzugefügt wurde – von "Samba-Dreh" bis hin zu "Babysitten in Coburg" –, lassen sich nachverfolgen.
Die Chatinhalte schicken mich auf eine Zeitreise. Ich habe Bücher empfohlen, Urlaubsunterkünfte angefragt, Freunde verloren und neue gefunden. Ich habe schicke Autos bestaunt, in Erinnerungen geschwelgt, Tränen getrocknet, Geburtstagsgrüße um den Globus geschickt und Neugeborene süß gefunden. Kurz: Das letzte Jahrzehnt meines Lebens hat hier seine Spuren hinterlassen und zwar mehr als mir bisher bewusst war.
Im Mai wird alles besser
1,4 Milliarden tägliche Nutzer, 500 Milliarden verschickte Emojis im vergangenen Jahr, mehr als eine Billion Likes insgesamt – Facebook ist das größte soziale Netzwerk der Welt und genau deshalb nun auch ins Visier der Politik geraten. Die Grünen fordern zum Beispiel eine Zerschlagung des Konzerns, weil Facebook ein Monopolist geworden und mit dem Kauf des Nachrichtendienstes WhatsApp zur Internet-Supermacht aufgestiegen ist. Auch die EU macht mittlerweile Druck und hat bereits den 25. Mai im Blick. Dann tritt die neue EU-Datenschutzverordnung in Kraft. Diese macht es Facebook-Nutzern unter anderem einfacher, die eigenen Daten einzusehen und zu löschen. Außerdem wird es künftig möglich sein, sämtliche bei Facebook hochgeladenen Inhalte in Formate herunterzuladen, mit denen sie zu anderen Diensten verlagert werden können.
Denn eigentlich ist mein Facebook-Profil ziemlich uninteressant – dachte ich zumindest. Keine Fotoalben voller Urlaubsbilder, so gut wie nie Kommentare, ab und an mal ein Schnappschuss, allerdings so eingestellt, dass ihn nur bestimmte Nutzer sehen können. Und nicht einmal meine engsten Freunde werden an meinen Geburtstag erinnert.
Trotzdem hat das Netzwerk jede Menge Informationen über mich gesammelt, die ich im Übrigen selbst bereitwillig preisgegeben habe. Meine Daten gegen die kostenlose Vernetzung mit Menschen rund um den Globus. Das war der Deal.
Dessen Konsequenzen lassen sich am besten im Ordner Ads, den Werbeanzeigen von Facebook, nachvollziehen. Hier listet das Unternehmen Schlagworte auf, die es mit mir in Verbindung bringt und dank derer ich auf mich zugeschnittene Werbung angezeigt bekomme. Die Liste ist 94 Begriffe lang. Darunter finden sich die Themen Essen, Design, Indie Pop, Newspapers, Clothing, Hamburg, Books, Journalism, Smoothie, Computers, Photography und Museum. Eine ziemlich gute Zusammenstellung meiner Interessen – wohl erstellt aus den Seiten und Beiträgen, die ich geliked habe.
Gleichzeitig teilt mir das Unternehmen im Ordner Ads mit, welche gesponserten Beiträge ich auf Facebook in den vergangenen drei Monaten angeklickt habe: zum Beispiel am Samstag, 17. Februar, Punkt 21 Uhr, 25 coole Kinderzimmer-Ideen. Und dann gibt es da noch Werbekunden (sieben an der Zahl), die wohl über meine Kontaktinfos verfügen, sagt Facebook. Darunter das Modeunternehmen Zalando, das ich in Facebook nicht mal mit "Gefällt mir" markiert habe, sowie die frühere Modemesse Bread & Butter, die mittlerweile ebenfalls zu Zalando gehört und ein Publikumsevent rund um Mode und Musik geworden ist.
Auch was mein Freizeitverhalten angeht, hat Facebook den Durchblick. Sämtliche Veranstaltungen und Events, zu denen ich seit 2009 eingeladen wurde, sind gespeichert. Am 20. September 2009 etwa war ich zu einer Record Release Party im Centrum in Erfurt eingeladen. Ob ich teilgenommen habe oder nicht, ist Facebook nicht bekannt. "Keine Antwort" steht unter dem Beitrag. Bei der Summer Safari 2010 in Halle war ich auskunftsfreudiger und habe wohl zumindest mein Nichtkommen mitgeteilt, während ich das Netzwerk bezüglich des
19. Internationalen Samba-Festivals 2010 in Coburg im Ungewissen gelassen habe. "Vielleicht" habe ich teilgenommen, heißt es. Knapp 500 solcher Veranstaltungen sind aufgeführt.
Massenhaft Zahlenkolonnen gibt es auch im gelieferten Datenblatt "Sicherheit". Jede IP-Adresse, über die ich bei Facebook unterwegs war, ist hier mit Datum und Uhrzeit verzeichnet. Über diese lässt sich herausfinden, welchen Internet-Provider ich benutze und in welcher Region ich mich aufgehalten habe. Ein ganz konkreter Standort lässt sich damit zwar nicht ermitteln. Die genaue Auflistung zeigt jedoch deutlich, dass meine Schritte im Internet jederzeit nachvollziehbar sind.
Mit dem Wissen von heute ist schnell klar: Gerade in meiner Facebook-Anfangszeit bin ich viel zu unbedarft im Umgang mit meinen persönlichen Daten gewesen. Meine sichtbare Timeline, die öffentlich schon lange bis ins Jahr 2009 bereinigt ist, ist eine komplett andere, als jene, die mir Facebook auf Anfrage zur Verfügung gestellt hat. Letztere weiß zum Bespiel, dass ich den damaligen WG-Bewohnern unter mir einen Schraubenzieher geliehen habe, dass das Umzugsunternehmen vor acht Jahren einen Kostenvoranschlag präsentiert hat, der sich gewaschen hatte, und dass ich irgendwann an Weihnachten mal ein MacBook unter dem Baum gefunden habe.
Im Jahr 2013 verzeichnete das Netzwerk sogar noch, welches Lied ich wann über den Musikdienst Spotify angehört habe, weil ich die entsprechende App nutzte. Einziger Trost: Auch meine Freunde scheinen sich viele Jahre nur wenige Gedanken gemacht zu haben, was sie so alles über Facebook mitteilten. Der Inhalt der fast 400 Chats spricht Bände.
Zur Autorin
Nicht nur weil sie viele Jahre als Online-Redakteurin tätig war, kann sich Steffi Wolf ein Leben ohne das World Wide Web kaum noch vorstellen. Denn wenn ihr Sohn mal wieder wissen will, wie die Freiheitsstatue von Frankreich nach New York transportiert wurde, fragt sie einfach Google.
Nach mehr als einer Stunde Vergangenheitsbewältigung fällt mein Fazit ernüchternd aus, es erinnert ein wenig an Mark Zuckersbergs reumütiges Bekenntnis in einem TV-Interview Anfang dieser Woche. Dort hatte der Facebook-Gründer eingeräumt, dass das Unternehmen "zu idealistisch gewesen sei und sich zu sehr auf die positiven Aspekte der Vernetzung von Menschen konzentriert habe". Facebook habe sich dabei nicht genügend "um einige der negativen Gebrauchsweisen" der zur Verfügung gestellten Instrumente gekümmert. Eine Einschätzung, die wohl auch für mich als Nutzer gilt. Gehen werde ich wohl aber trotzdem nicht. Nur in Zukunft noch mehr darauf achten, was ich das Netzwerk wissen lasse.