Eigener Inhalt Drehen und kreuzen: Die Faden­künstlerinnen aus dem Erzgebirge

Eva-Maria Hommel

Das Spitzenklöppeln hat eine lange Tradition - trotzdem ist es nicht von gestern. Ein Adventsbesuch bei Klöpplerinnen im Erzgebirge, die eine große Unternehmerin aus dem 16. Jahrhundert zum Vorbild haben.

 
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Im Dezember leuchtet das ganze Erzgebirge. In den Fenstern spannen sich die holzgeschnitzten Schwibbögen mit ihren hellen Lichtern. Und besonders hell leuchtet es in Annaberg-Buchholz: Der Weihnachtsmarkt in dem prächtigen Renaissancestädtchen ist einer der schönsten und meistbesuchten der Region – nicht nur, weil es dort Schwibbögen zu kaufen gibt. Zu den beliebtesten Motiven gehört seit Jahren das Bild mit den beiden Bergmännern, dem Holzschnitzer – und jener Frau, die an einer Stoffrolle arbeitet. Wer das Erzgebirge kennt, der weiß: Das ist eine Klöpplerin mit einem Klöppelsack.

Erzgebirgische Klöppelspitze – das ist filigranes Gewebe, in Handarbeit entstanden, zu Deckchen oder Zimmerschmuck verarbeitet und selbstverständlich auch auf dem Annaberger Weihnachtsmarkt erhältlich. Klöppelspitze ist aber mehr als das. Sie rettete einst die Annaberger vor tiefer Armut. Und gehört darum bis heute zur DNA der Region.

Deshalb steht auf dem Annaberger Markt nicht wie andernorts eine Statue, die einen Feldherrn ehrt, einen Kaiser oder Markgrafen. Sondern über den Weihnachtsmarktbuden lächelt eine Frau. In den schmalen Händen hält sie nicht Schild oder Schwert, sondern ein Stück feinste Klöppelspitze, das über einen Klöppelsack fällt.

Und diese Spitze hat Manuela Fischer entworfen. Sie ist die Leiterin der Klöppelschule in Annaberg-Buchholz, die von der Stadt und einem Verein getragen wird. Eigentlich sei Klöppeln ganz einfach, sagt sie: "Drehen und kreuzen." Und dann lässt sie die Klöppel tanzen, dass einem Hören und Sehen vergeht. Die Fäden, die an den Holzstäbchen hängen, verdrehen sich miteinander, bilden um die Stecknadeln
auf dem Klöppelsack ein Muster.

Für Manuela Fischer kein Problem, schließlich klöppelt sie seit ihrem fünften Lebensjahr. 1982 schloss sie ihre Ausbildung zur Handklöpplerin ab. Auch heute kann man sich als "Textilgestalter im Handwerk" in den Fachrichtungen Klöppeln und Posamentieren ausbilden lassen. Für die meisten Klöpplerinnen ist das Handwerk allerdings ein Hobby. Und bei Manuela Fischer können sie es lernen.

An diesem Morgen hat sich eine Handvoll Frauen eingefunden. Manuela Fischer erstellt die Anfänge, erklärt die Klöppelbriefe, auf denen die Muster aufgezeichnet sind, und dann geht es los. "Ich hätte nie gedacht, dass ich mir das mal zutraue", erzählt Gudrun Baum, die aus Annaberg stammt: "Aber jetzt bin ich im Ruhestand und habe endlich Zeit dafür."

Zwischen bunten Klöppelsäcken, Klöppelbriefen aus vergangenen Jahrhunderten und modernen Kunstwerken wie Obst und Gemüse aus Spitze sitzen die Frauen, lachen und scherzen. Die Freude an dem Schönen, das sie mit ihren Händen produzieren, ist deutlich zu spüren. Die traditionelle Kunst stirbt nicht aus: Jedes Jahr besuchen etwa 3000 Menschen Kurse in der Klöppelschule. Ganzjährig leitet Manuela Fischer zwei Kinderkurse. Zum Klöppelurlaub, in dem man das Handwerk erlernen und das Erzgebirge kennenlernen kann, reisen Gäste an aus ganz Deutschland, Österreich, der Schweiz und den Niederlanden.

Die Klöppelschule ist benannt nach Barbara Uthmann – das ist die Frau, die als Statue auf dem Markt steht, aber im Advent auch als Figur auf der zehneinhalb Meter hohen Pyramide. Die Frau, deren Abbild in einem Bleiglasfenster in der monumentalen Annenkirche zu sehen ist, und in so manchem Wohnzimmer als gedrechselte Holzfigur. Die Frau, nach der sogar in der Volkssternwarte im nahegelegenen Drebach ein neu entdeckter Kleinplanet benannt wurde.

Barbara Uthmann war es, die, mit anderen wohlhabenden Frauen, das Spitzenklöppeln im Erzgebirge verbreitete. Annaberg, 1496 nach reichen Silberfunden gegründet und erst 1945 mit der Nachbarstadt Buchholz zusammengelegt, erblühte dank des Silbers zur wohlhabendsten Stadt weit und breit. Doch in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts gingen die Vorkommen langsam zu Ende. Barbara Uthmann, geboren wahrscheinlich im Jahr 1514, war eine der Verlegerinnen, die den Familien wieder zum täglichen Brot verhalfen, indem sie ihnen die in Heimarbeit geschaffene Spitze abnahm und sie vermarktete, wie man heute sagen würde.

Als Beweis für ihre Bedeutung wird oft ein Schreiben zitiert, das eine Gruppe von Bortenhändlerinnen aus Annaberg im Jahr 1571 an den Stadtrat richtete. Sie beschwerten sich über die Konkurrenz durch Händler aus Schottland. Und listeten auf, wie viele Bortenwirkerinnen sie beschäftigten. Allein bei Barbara Uthmann sollen es 900 gewesen sein. Wie realistisch diese Zahl ist, lässt sich heute allerdings nicht mehr feststellen.

Klöppeln in aller Welt Weitere Klöppelregionen sind neben dem Erzgebirge auch Teile Niedersachsens und Mittelfranken. In Frankreich gilt das malerische Le-Puy-en-Velay, in der Auvergne gelegen, als Hochburg der tanzenden Fäden. Die Ausstellung in der Annaberger Klöppelschule zeigt Klöppel aus verschiedenen Ländern von den USA bis Portugal, einige sind reich mit Blumen verziert. Eine erzgebirgische Besonderheit ist die Hülse aus Holz, die zum Schutz über den eigentlichen Klöppel und die Fäden gezogen wird. Denn im Erzgebirge mussten in den schlimmsten Notzeiten auch die arbeitslosen Bergmänner klöppeln. Mit ihren rissigen Händen hätten sie den teuren Faden zerstört – es wurden sogar vergoldete und versilberte Fäden verwendet. Typisch erzgebirgisch ist auch der Klöppelsack. In anderen Ländern klöppelt man auf einem Flachbrett oder Rohr, in Brasilien auf einem Baumstamm.
Klöppeln in der Mode In der Renaissance trugen wohlhabende Damen Klöppelspitze an der Kleidung. Auch heute schmücken sich Liebhaberinnen gerne mit dem filigranen Stoff. Die Diplom-Textildesignerin Christine Mirecki aus Labenz in Schleswig-Holstein entwirft unter anderem Schals, Westen und Hüte aus bunter Klöppelspitze. Die Klöppelbriefe verkauft sie auf ihrer Internetseite www.mirecki.net.

Jedenfalls war der Handel mit Borten und Spitzen im Erzgebirge lange ein lukrativer Wirtschaftszweig. Und das hat mit dem Silberboom ab 1470 zu tun: Er ließ ein reiches Bürgertum entstehen, das die Luxusware nachfragte.

Ob Barbara Uthman überhaupt selbst geklöppelt hat, ist nicht geklärt. Die Legende von dem kunstvollen Spitzenkragen, den sie ihrem Bräutigam zur Hochzeit gefertigt haben soll, ist eben nur – eine Legende. Sie lässt aber erahnen, welche Rolle das Textilhandwerk spielte. Erst im 19. Jahrhundert machte die Maschinenspitze den geklöppelten Produkten Konkurrenz.

Barbara Uthmann war aber nicht "nur" Verlegerin. Sie brachte auch 15 Kinder zur Welt, von denen zwölf überlebten. Und damit nicht genug: Nach dem Tod ihres Ehemannes Christoph 1553 führte sie dessen Geschäfte fort. So übernahm sie mit drei ihrer Söhne die bedeutende Saigerhütte Grünthal im heutigen Olbernhau, die Silber lieferte und Kupfer für den Export. Außerdem war die Familie an vielversprechenden Silberbergwerken beteiligt. Barbara Uthmann war eine Montanunternehmerin – vor knapp 500 Jahren eine ungewöhnliche Rolle für eine Frau.

Die Uthmanns gewährten den Arbeitern in der Saigerhütte für die damalige Zeit herausragende soziale Leistungen. Aufgelistet sind sie in einer Petition an Kurfürst August aus dem Jahr 1567, als dieser den Hüttenbetrieb übernahm. Die Hüttenleute baten darum, die Bräuche weiterzuführen. Demnach gab es keine Pflicht zur Sonntagsarbeit, bei Unfällen wurde der Lohn weitergezahlt sowie die Arzt- und Barbierkosten übernommen. Es gab Deputate an Hosentuch und Sonderzahlungen. Der Kurfürst folgte den Forderungen.

Dennoch sah man zu DDR-Zeiten in Barbara Uthmann eher eine Kapitalistin und erinnerte lieber an die vielen unbekannten Frauen, die das Klöppeln groß machten. Im Nationalsozialismus nutzte man ihr Werk aus, um eine "neue Volkskultur" zu erfinden, einschließlich einer sogenannten erzgebirgischen Tracht mit der Barbara-Uthmann-Haube mit handgeklöppeltem Spitzenbesatz.

So hat die Wahrnehmung der Barbara Uthmann immer die jeweilige Zeit widergespiegelt. Auch der Dresdner Bildhauer Eduard Robert Henze orientierte sich an Bildnissen aus seiner Zeit, als er 1885/86 die Uthmann-Statue für den Annaberger Markt schuf. Im Jahr 1942 wurde sie zu Kriegszwecken eingeschmolzen, 2002 konnte sie auf Betreiben eines Fördervereins wiedererrichtet werden. Und Manuela Fischer, damals Annaberger Klöppelkönigin, durfte die Statue einweihen: "Das war ein erhabener Moment."

Wie die erzgebirgische Unternehmerin wirklich aussah, ist nicht sicher. Zwar kann man im Erzgebirgsmuseum Annaberg-Buchholz das Schumann-Epitaph von Antonius Heusler aus dem Jahr 1557 bewundern. Es zeigt Frauen aus der städtischen Oberschicht mit geklöppelten weißen Borten am Hals. Manche Experten gehen davon aus, dass die besonders hervorgehobene Dame auf der rechten Seite Barbara Uthmann ist. Wolfgang Blaschke, Leiter des Erzgebirgsmuseums, formuliert es so: "Wenn man sich Barbara Uthman vorstellen möchte, könnte diese wie auf dem Bild ausgesehen haben."

Ihr Erbe lebt jedenfalls weiter. Zu ihrem 500. Geburtstag im Jahr 2014 gestalteten 93 Klöpplerinnen und Gruppen aus ganz Deutschland und Europa ein besonderes Geschenk: Sie lieferten weiße Bänder – insgesamt sage und schreibe 1645 Meter Klöppelspitze. Daraus wurde ein Umhang hergestellt für die Statue auf dem Markt. Die Faszination der Barbara Uthmann ist also ungebrochen. "Was die alles gemanagt hat. Und das in ihrer Zeit, als viele Frauen nicht einmal schreiben und lesen konnten", sagt Manuela Fischer von der Klöppelschule. "Für mich ist sie auf jeden Fall ein Vorbild."

EIN BESUCH IN ANNABERG

Annaberger Weihnachtsmarkt: Erzgebirgische Holzkunst und regionale Küche, Marktpyramide, Angebote für Kinder (Basteln, Drechselwerkstatt, Karussell, Zug, Märchen/Theater), Wichtelstadt mit Darstellungen traditioneller Handwerke, Kulturprogramm. Bis 23. Dezember montags bis donnerstags 10 bis 19 Uhr, freitags bis sonntags 10 bis 20 Uhr.

Klöppelschule Barbara Uthmann: Ausstellung zum Klöppeln in Annaberg und weltweit, außerdem Kurse, Zirkel und Klöppelurlaub. Im Haus des Gastes Erzhammer, Buchholzer Straße 2. Geöffnet ist montags bis donnerstags von 10 bis 17 Uhr, freitags von 10 bis 15 Uhr, in der Adventszeit auch am Wochenende. Weitere Informationen über die Stadtseite von Annaberg-Buchholz, www.annaberg-buchholz.de.

Annaberger Klöppeltage: Wettbewerb, Kurse, Veranstaltungen – jedes Jahr im September.

Erzgebirgsmuseum in Annaberg: Dauerausstellung zu Barbara Uthmann, außerdem Schumann-Epitaph, Objekte zu Bergbau, historischem Handwerk, sakraler Kunst im Spätmittelalter, bürgerlicher und bäuerlicher Lebenskultur, Zugang zum Besucherbergwerk unter der Altstadt. Große Kirchgasse 16, geöffnet täglich 10 bis 17 Uhr, Heiligabend und Silvester geschlossen.

Internetseite: www.annaberg-buchholz.de

Buch-Empfehlungen:

• Bernd Lahl: Barbara Uthmann. Ihr Leben, ihre Stadt und ihre Zeit, Chemnitzer Verlag 2014, 156 Seiten, 10,00 Euro

• Andrea Geldmacher/Katja Margarethe Mieth/Elvira Werner (Hrsg.): Barbara Uthmann 1514 – 1575. Eine erzgebirgische Unternehmerin im mitteleuropäischen Kontext, Verlag der Kunst Dresden 2017, 259 Seiten, 24,95 Euro