Eigener Inhalt Über den Wolken ...

Wolfgang Plank

... mag die Freiheit (fast) grenzenlos sein. Wenn man bloß endlich drin wäre in dem verdammten Flieger

 
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Ach ja, die Ferne. Ewig lockt sie mit Palmen, weißen Stränden, exotischen Orten. Wie schön müsste es dort sein. Wie spannend. Wie erholsam. Und wann, wenn nicht in den Ferien wäre die rechte Zeit für Besuch? Dauert doch bloß ein paar Stunden. Wozu gibt es schließlich all die vielen Flieger?

Wenn man nur erst einmal drin wäre. Über den Wolken ist die Freiheit ja tatsächlich grenzenlos – dummerweise hat das Schicksal vor jeden noch so kurzen Flug das Boarding gesetzt. Mag der Mensch im Laufe seiner Entwicklung zu vielem fähig geworden sein – der geordnete Einstieg in ein Luftfahrzeug zählt leider nicht dazu.

Etwa zwanzig Minuten vorher erhebt sich jemand aus der Anonymität, um ans Gate zu treten – gefolgt von allen anderen. Denen wäre es zwar peinlich, ganz vorne zu stehen, Zweiter sind sie aber schon gerne. Natürlich fliegt der Erstbesteiger nicht früher und der Letztboardende auch nicht später, aber irgendwie hat sich herumgesprochen, dass es aufs Ende zu knapp werden könnte mit dem Platz fürs Handgepäck.

Was keinen wundern muss, wenn nahezu jeder zum Rollköfferchen noch ein Laptop-Täschchen mit sich führt, einen Kleidersack oder wenigstens einen Beute-Beutel aus dem Duty-free-Shop. Und alles soll irgendwie über den Sitz. Man könnte unterwegs ja dran müssen.

Noch aber harrt die Schlange. Nicht für Geld würde jemand mehr seinen Platz aufgeben. Mag sich der Abflug noch so sehr verzögern. Irgendwann kommt die erlösende Durchsage: Verehrte Fluggäste, ihr Tralala-Flug nach Sowieso ist jetzt zum Boarding bereit. Wir bitten zunächst unsere ... – der Rest geht unter im Geräusch von Trolleys und halben Schritten.

Gemeint gewesen wären die etwas gleicheren Passagiere: die First- oder Business-Class-Tickets haben, kleine Kinder im Schlepptau führen – oder eines dieser Vielflieger-Kärtchen in Gold, Schwarz oder Platin eignen und Vortritt haben. Eigentlich. Denn vor denen steht sicher jemand, der weder die Durchsage kapiert hat noch das Wesen von "Priority Boarding" – oder die Vorzugs-Nummer als Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz am liebsten vor den Gerichtshof für Menschenrechte bringen würde. Meist bedarf es zum Fortgang des Mannes und damit der Geschichte des Zuredens einer schick uniformierten Dame.

Endlich ab an den Karten-Scanner: Feiner Zwirn zuerst, glauben die Business-Nasen, von denen mindestens einem beim Mail-Check das Smartphone samt virtueller Bordkarte abschmiert, dahinter der bunte Rest. Brav zum Flieger, drei Schritte hinein – und Stopp. Die sich wichtig Wähnenden brauchen ja ein wenig. Trolley nach oben, Jackett aus, Trolley wieder runter, weil Laptop noch drin. Trolley wieder hoch. Powerbank samt Ladekabel entpacken und anschließen. Dahinter erste Proteste – und vorne Erstaunen zwischen den Ohrhörern. Tatsächlich, die bunte Schlange will überraschenderweise auch an Bord. Wie impertinent ...

Einem ehernen Luftfahrt-Gesetz folgend, steigen immer diejenigen zuerst ein, die am Gang sitzen. Vermutlich hat das mit mangelnder Bein-Durchblutung zu tun, vor der bei Flugreisen gerne gewarnt wird. So nämlich können Thrombose-Anfällige noch einmal aufstehen, wenn erst derjenige kommt, der in der Mitte sitzt – und beide vereint, sobald zum guten Schluss auch die Dame am Fenster zu ihrem Platz will.

Noch nicht ausreichend herumgesprochen hat sich offenbar die fortlaufende Nummerierung von Sitzreihen. Kleiner Tipp: Es besteht tatsächlich keine Not, schon in Reihe drei erstmals zu prüfen, ob 31B schon erreicht ist – und in Reihe fünf zur Sicherheit nochmal. Wiewohl exaktes Vorgehen Dialoge wie diesen erspart: "Sie sitzen auf meinem Platz." "Tue ich nicht. Hier mein Ticket: A12." "Tut mir leid, hier ist 12A – A12 ist das Gate. Ihr Sitzplatz ist 26D." "Oh ..."

Bis "Boarding completed" dauert es also. Zwischenzeitlich meldet sich der Kapitän aus dem Cockpit und sagt zweierlei an. Erstens sei der Flug völlig ausgebucht, weshalb Gepäck unter den Vordersitzen verstaut werden müsse – und zweitens habe ein Fluggast zwar einen Koffer aufgegeben, sei aber leider nicht eingestiegen, weshalb die durch die Absenz riskant gewordene Fracht ausgeladen werden müsse. Und ja: Überzählige Koffer befinden sich grundsätzlich in dem Container, der zuallererst eingeladen wurde. Schließlich kommt man an den als letztes ran.

Am Ende hebt der Vogel dann tatsächlich ab – in aller Regel 30 Minuten nach dem offiziellen Termin, was die Wahrscheinlichkeit für das Erreichen des Anschluss-Fluges deutlich sinken lässt. Auch so ein Gesetz der Lüfte. Verspätung haben ausschließlich Flieger, in denen man sitzt. Maschinen, die man erreicht hätte, wäre das Gate nur drei Minuten später geschlossen worden, starten auf die Sekunde.

Kein Wunder, dass Flug und Fluch so verdammt ähnlich klingen ...