Veranstaltungstipps Brian Fallon: "Ich verstehe das Leben überhaupt nicht"

 Foto: PR

Er wurde schon mit Bruce Springsteen verglichen: Brian Fallon. Der ehemalige Sänger der Punkrockband The Gaslight Anthem geht mit dem Album „Local Honey“ auf Tour.

 
Schließen

Diesen Artikel teilen

Die Musik auf „Local Honey“ ist sehr abgespeckt. Erzählen diese intimen Lieder mehr von Ihnen persönlich als ältere Songs?
Ich denke, diese Songs erzählen mehr davon, wie ich mich zu der Zeit fühlte, als ich sie im Studio einspielte. Songs sind wie eine Momentaufnahme der Seele. Ich präsentiere mich hier ungeschminkt.

Sie sind kürzlich 40 geworden und haben mit Lesser Known Records eine eigene Plattenfirma gegründet. Hat für Sie ein neuer, besonderer Lebensabschnitt begonnen?
Das hoffe ich doch! Mir wurde irgendwann bewusst, dass ich keine Rechte an der Musik besitze, die ich in den letzten 20 Jahren veröffentlicht habe. Meine Songs und die der Band gehören jemand anderem. Das sollte eigentlich nicht so sein. Ich kann die Vergangenheit nicht ändern, aber ich kann Einfluss nehmen auf das, was kommt.

Warum klingen einige der neuen Songs so traurig?
Das kann ich nicht beantworten, denn die Songs sind so zu mir gekommen, wie sie auf der Platte klingen. Ich habe sie einfach geschehen lassen. Manchmal geht man mit einer klaren Vision an ein Album heran und schreibt Songs in einem bestimmten Stil. Aber bei mir ist es meistens so, dass ich keinen Einfluss auf das habe, was die Muse mit mir anstellt.

Schreiben die Songs sich von ganz allein?
Wenn dem so wäre, würde ich nicht halb so viel Zeit in meiner Schreibstube hocken und mit dem Schädel gegen die Wand hämmern, weil mir einfach nichts einfällt. Aber das Unterbewusstsein schreibt die Songs definitiv mit – wenn man es zulässt.

Sind Künstler grundsätzlich verletztlicher als „normale“ Leute?
Sie können auf jeden Fall verletzlicher sein, wenn sie es zulassen. Wenn Künstler etwas erschaffen haben, das andere berührt, dann sind diese Leute meiner Meinung nach genauso verletztlich wie die Künstler selbst. Sie fühlen ja auch etwas. Kunst ist etwas Universelles. Ich habe beobachtet, wie Leute vor einem Gemälde geweint haben, das sie nicht selber gemalt haben. Daran sieht man, wie mächtig Kunst ist.

Sie haben zwei Kinder, eine Frau, ein Haus. Leben Sie heute so normal wie jeder andere auch?
Ich bringe den Müll raus, gehe einkaufen, kehre das Laub in unserem Hof zusammen. Am meisten nervt es mich, dass die Blätter immer unsere Dachrinne verstopfen. Dann muss ich da hochklettern und sie da wieder rauspulen. Normaler kann man eigentlich nicht leben.

Haben Sie heute schon einen Song geschrieben?
Nein, noch nicht. Ich bin früh aufgestanden, habe das Frühstück gemacht, Schulbrote geschmiert und meinen Ältesten zur Schule gefahren. Erst seit einer halben Stunde bin ich wieder zurück.

Brauchen Sie eine bestimmte Stimmung, um schreiben zu können?
Nein, ich brauche einfach nur Zeit! Wenn du zwei Kinder hast, gibt es für dich immer etwas zu erledigen.

Haben Sie das neue Album tagsüber geschrieben?
Ja, als die Kinder in der Schule waren. Und wenn sie im Bett lagen, habe ich weiter an den Texten gefeilt. Nachts kann ich leise Gitarre spielen, aber nicht Piano.

„21 Days“ ist ein Song über Abhängigkeit. Haben Sie Sie sich das Rauchen abgewöhnt, als Sie an der Platte arbeiteten?
Nein, das habe ich schon vor einem Jahr getan. Das ist meine erste Platte ohne Nikotin. Es fühlt sich rückblickend verdammt gut an. Aber es ist mir nicht leicht gefallen. Ich wollte es unbedingt schaffen, weil ich so viel geraucht hatte, dass es einfach nicht mehr gut war.

Welche Süchte haben Sie jetzt noch?
Musik ist eine gute Sucht. Die kann man getrost haben.

Wir leben in politisch aufgeladenen Zeiten. Versuchen Sie, sich beim Songschreiben vom Thema Politik fern zu halten?
Nicht wirklich. Bislang ist es mir aber noch nicht gelungen, meine Gedanken zusammenhängend in einem Politsong zu äußern. Ich denke manchmal, ich muss jetzt mal etwas Politisches schreiben, aber dann merke ich, dass meine Worte gar keinen Sinn ergeben. Ich weiß, dass manche Leute meinen, dass jeder Künstler Politsongs schreiben sollte. Aber das kann man nicht erwarten. Ich erwarte ja auch nicht, dass jeder Häuser anstreichen sollte. Man sollte nur das tun, was man auch gut kann. Ich bin niemand, der etwas faked. Ich bin fasziniert von Menschen und möchte über das Leben schreiben. Hätte ich anstelle von Bob Dylan „Master’s Of War“ komponiert, können Sie davon ausgehen, dass ich es veröffentlicht hätte.

Es ist für einen Künstler wahrscheinlich eher deprimierend, sich in der heutigen Zeit mit Politik zu befassen.
Es ist fürwahr deprimierend, aber man muss es trotzdem tun. Privat bin ich genau wie jeder andere an Politik interessiert. Das ist gerade echt wichtig. In Zeiten wie diesen muss man einfach wählen gehen. Und das setzt voraus, sich zu informieren.

Wie informieren Sie sich? Haben Sie eine Tageszeitung abonniert?
Nein. Ich glaube den politischen Medien nicht. Das Problem ist, dass ich nicht sicher bin, ob sie die ganze Wahrheit sagen. Ich kenne mich einfach zu wenig aus. Mit den Kulturmedien hingegen habe ich kein Problem. Ich sehe mir aber viele Interviews mit Politikern an. Ich schaue ihnen aufs Mal und höre ihnen genau zu. Auf diese Weise versuche ich herauszufinden, ob sie die Wahrheit sagen.

Welchem Präsidentschaftsbewerber glauben Sie am meisten?
Ich bin noch in der Findungsphase. Momentan kann ich noch nicht sagen, wer von denen die Wahrheit sagt.

Zurück zum Album: „Vincent“ ist eine tödliche Liebesgeschichte. Wie kamen Sie auf diesen dunklen Song?
Beim Lesen bin ich auf eine ähnliche Geschichte gestoßen. Und dann habe ich mir noch eine Doku über Nick Cave angesehen. Darin erzählt er, dass er gerne Geschichten schreibt über fiktionale Charaktere. Er hat eine ausgeprägte Fantasie. All das hat mich inspiriert, eigene Charaktere zu erfinden. Das Interessante daran ist, dass diese Figuren beim Schreiben ein Eigenleben entwickeln. Ich kenne niemanden persönlich, der so drauf ist wie die Charaktere in meinem Song, aber ich hatte das Gefühl, das ich sie zum Leben erwecken musste.

Sagt der Song „Vincent“ auch etwas über Sie persönlich aus?
Das tun alle meine Songs. Man steckt immer auch ein bisschen von sich selbst in einen Song hinein. Und wenn es nur ein Gefühl ist. Alles andere wäre ein Fehler, weil man dir die Geschichte dann nicht abnehmen würde.

Warum wollen Sie so viel Persönliches mit dem Rest der Welt teilen?
Weil persönliche Erfahrungen oft etwas Universelles haben. Das spricht viele Menschen an. Für mich ist es wichtig, dass die Leute meine Geschichten kennen lernen. Dann merken sie, dass es da draußen Menschen gibt, die sich die selben Fragen stellen. Sie suchen genauso nach Antworten wie ich. Das bringt Menschen zusammen.

Im Pressetext zu Ihrem Album wird behauptet, Ihre Zeit als Rockstar liege hinter Ihnen. Ist das Koketterie?
Ach, ich war nie ein guter Rockstar. Ich habe das nicht wirklich gelebt. Mir ging es damals wie heute nie ums Partymachen, sondern einfach nur um die Musik. Ich habe weder Drogen genommen, noch war ich auf der Jagd nach Frauen. Das Rockstar-Dasein war noch nie etwas für mich. Ich finde diese Vorstellung sowieso sehr merkwürdig. Das ist etwas für Kids. Ich bin jetzt 40 und Vater. Die Fragen, die mich beschäftigen, sind eher: Was gibt es heute zu Mittag? (lacht)

Sind The Gaslight Anthem Geschichte?
Die Band liegt zurzeit auf Eis. Schwer zu sagen, ob wir eines Tages wieder zusammenkommen. Dafür bräuchte es eine wirklich gute Idee. Alles andere würde sich für mich anfühlen wie die Reste vom Mittagessen.

Wie fühlt es sich an, Solokünstler zu sein?
Es fühlt sich gut an. Ich freue mich auf das, was kommt. Der Vorteil an einer Solokarriere ist, das alles viel schneller geht. Ich muss ja jetzt niemanden mehr fragen. Das ist mir früher viel leichter gefallen als heute.

Werden Sie auf Ihrer Tour ausschließlich Solomaterial spielen?
Ich werde auf keinen Fall mit meiner Soloband die ganze Zeit Gaslight-Anthem-Songs spielen. Wir sind schließlich keine Coverband, die in Bars spielt. Man sollte das Besondere besonders lassen.

Wollten Sie sich mit „Local Honey“ neu erfinden?
Nein, so weit wollte ich nicht gehen. Ich bin immer noch dieselbe Person, die ich früher war. Ich verspüre sowohl zu meiner alten als auch zu meiner neuen Musik eine starke Verbindung. Es gibt bei mir nichts, bei dem ich das Gefühl habe, dass ich es neu erfinden müsste. Das Album ist eher das Resultat einer natürlichen Entwicklung, die mit dem Älterwerden einher geht.

Verstehen Sie das Leben mit 40 besser?
Ich glaube eher, ich verstehe das Leben überhaupt nicht. Das ist wahrscheinlich das Schwierigste überhaupt. Ich habe nicht das Gefühl, derjenige zu sein, der Menschen Ratschläge gibt. Deshalb schreibe ich auch keine politischen Songs. Vielleicht bin ich dafür einfach nicht qualifiziert genug.

Wäre heute eine Karriere ohne die Sozialen Medien undenkbar?
Nein, alles ist möglich. Es gibt immer noch viele Künstler, die nicht in den Sozialen Medien vertreten sind. In meiner Position ist es aber sehr hilfreich. Ich bin ja kein Superstar. Berühmtheiten können locker sagen, dass sie ihre Musik nicht für Werbung hergeben wollen. Die sitzen ja auf Kohle. Ein normaler Künstler kann sich solch eine Einstellung nicht leisten.

Was würden Sie nie tun?
Oh, da gibt es einiges. Ich bekomme ständig irgendwelche Angebote. Wenn ich nicht zu 100 Prozent hinter etwas stehe, dann mache ich es auch nicht. Ich würde zum Beispiel kein Kamerateam einladen, um mich einen Monat lang zu filmen. Kein Reality-TV in meinem Haus! Ich bin mit Punkrock aufgewachsen. Gewisse Dinge lassen sich nicht mit meinem Ethos als Künstler vereinbaren.

Sind Sie im Herzen noch immer Punk?
In mancherlei Hinsicht mit Sicherheit. Das Coolste an meinem Job ist aber, dass ich die Möglichkeit habe, von meiner Musik zu leben. Das ist einfach geil. Ich habe früher auf dem Bau gearbeitet. Das war definitiv nicht lustig.

Brian Fallon auf Tour

Der amerikansicher Sänger und Songschreiber tritt mit seiner Band The Howling Water am 30. April um 20 Uhr im Löwensaal in Nürnberg auf. Karten gibt es im Ticketshop unserer Zeitung.

Autor