Sie sitzen hier und tragen eine Katy-Perry-Kappe. Zufall oder Statement?
Das ist tatsächlich Zufall, aber ich finde Katy Perry echt super. Auch wenn ich gerne schräge Musik höre, bin ich ein Fan großer Gesten. Ich schaue mir nicht nur Clubshows an, sondern gehe auch sehr gerne ins Stadion oder in die Arena. Und ich finde sowohl den experimentellen Islandfilm gut als auch die „Transformers“.

Um bei dem Vergleich zu bleiben: Was ist Ihre Musik?
Beides. Aber gerade beim Livespielen denke ich schon gerne groß. Niemand sitzt mit 16 zu Hause und sagt sich „Wie geil wäre es, vor 30 Leuten im Jugendhaus zu spielen“. Sondern man denkt: „Ich will ins Fußballstadion“. Wir waren dieses Jahr Headliner beim Hurricane & Southside-Festival, das war der Wahnsinn. Eine absolut euphorisierende Erfahrung.

Tat es gut, nach der Verschiebung und Überarbeitung des Albums endlich fertig zu sein und wieder raus zu können vor die Leute?
Ja, das tat unheimlich gut. Die Konzerte waren eine Katharsis, eine große Befreiung. Als Musiker lebe ich dafür, live zu spielen.

Mit Ihrem neuen Album kann man sich intensiv und lange beschäftigen. „Lang Lebe Der Tod“ ist alles andere als flüchtig.
Das freut mich zu hören, und das ist mir auch wichtig. Wir haben sehr lange und akribisch an allem gefeilt, textlich wie musikalisch. Zusammen mit meinem Produzenten Markus Ganter habe ich wirklich sehr viele Details eingearbeitet. Ich hatte dieses Mal überhaupt keine Lust, eine leichtverdauliche Platte zu machen. Sondern eine, die fordert und zum Mitdenken animiert.

Ihre vorherigen Alben „XOXO“ und „Hinterland“ waren nun auch nicht die Leichtverdaulichsten.
Aber in diesem hier steckt viel mehr drin. Wir haben in weniger Songs mehr reingepackt. Und ich wollte eine sehr dystopische, eine sehr unbequeme Platte machen. Sie ist jetzt nicht ganz so hart und krass und laut geworden, wie ich es ursprünglich im Sinn hatte, sie hat auch durchaus poppige Momente. Aber ich finde Konzept und Umsetzung sehr stimmig.

Als „Post-Genre“ bezeichnet Ihre Plattenfirma das Werk. Was soll das heißen?
Ich mag den Begriff „Post-Genre“ eigentlich sehr gern. Es passt nicht richtig rein, ist weder wirklich HipHop noch Rock noch Indie. Da verwabert und vermischt sich alles. Ich bin sowieso ein Typ, der querbeet hört. Ich habe es immer als engstirnig empfunden, nur bestimmte Genres gut zu finden, wo es doch so ein Riesenbuffet von guter Musik auf der Welt gibt. Das ist so, als würde ich sagen „ich mache jedes Jahr seit ich zwölf bin Urlaub an der Ostsee und will gar nichts andere sehen“.

„Lang Lebe Der Tod“ geht stärker in Richtung Industrial Rock. Wie kommt das?
Jede Platte hat bei mir einen anderen Fokus, das ist immer so ein bisschen „Jugend forscht“. Bei „Xoxo“ habe ich viel experimentelle Elektronik gehört, bei „Hinterland“ vor allem Tom Petty und Bruce Springsteen, dieses Mal vor allem die Krupps, Type O Negative und Einstürzende Neubauten.

Neubauten-Frontmann Blixa Bargeld singt mit im Titelstück. Woher wussten Sie, dass das passt?
Ich bin ein großer und ehrfürchtiger Neubauten-Fan. Ich hatte sehr viel Respekt, bei ihm anzufragen, man kennt ja die Geschichten, dass er launisch und exzentrisch sein kann. Also gab ich mir sehr viel Mühe mit einer langen Email, und als Blixa noch am selben Tag zugesagt hat, war ich sehr erleichtert und stolz.

War „Lang Lebe Der Tod“ das erste Stück, das Sie aufgenommen haben?
Ja, in der Tat. Und noch bevor es überhaupt die Musik gab, stand sogar schon der Titel.

Welche Idee steckt hinter „Lang Lebe Der Tod“?
Den Ausschlag gab ein Video, auf dem ein Verletzter eines Terroranschlags am Boden lag, aus Schusswunden blutete, während ein Typ ihn nicht nur mit dem Handy filmte sondern auch noch „Sag‘ doch mal was, guck‘ mal hoch“ brüllte. Diese Sensationsgier fand ich so krass, dass ich das Bild nicht mehr aus dem Kopf bekam. Heutzutage sagen sich viele: „Wenn was Schlimmes passiert, muss ich das schlimmste Bild liefern und es im Netz veröffentlichen.“ Ich muss dabei an Filme wie „Running Man“ mit Arnold Schwarzenegger oder „Die Tribute von Panem“ denken – nur der Sieger überlebt, die Verlierer sterben. Der Gladiatorentrieb muss wohl sehr tief im Menschen verankert sein, dass der Tod uns so fasziniert. Wenn etwas Grausames geschieht, ist es offenbar ein menschlicher Instinkt, auch hinzusehen.

In Baden-Baden gab es kürzlich den Fall, dass jemand in Selbstmordabsicht auf einem Hoteldach stand und der versammelte Mob ihn noch dazu anfeuerte, endlich zu springen.
Wow. Das ist passiert? Ekelhaft. Man merkt in den letzten Jahren wirklich, dass die Leute zunehmend verrohen. Der Voyeurismus nimmt immer mehr zu. Alles muss immer extremer werden, dazu zähle ich auch den ganzen Hass im Netz. Jeder dreht weiter an der Eskalationsschraube, damit er Aufmerksamkeit kriegt. Aber ich kann mich da nicht ausnehmen. Wenn es heißt „Guckt euch bloß nicht die schrecklichen Bilder an“, dann mache ich als erstes genau das.

Man sagt über Sie, Sie treffen mit Ihrer Musik das „Gefühl einer Generation“. Zielen Sie darauf, den Zeitgeist abzubilden?
Nein, das habe ich nie bewusst versucht. Das liegt wohl an der Art, wie ich schreibe. Wenn jemand über mich sagt, ich sei die Stimme meiner Generation, dann ist das schmeichelhaft, ich selbst empfinde aber nicht so.

Sie haben poetisches Talent, außerdem bauen Sie in Ihre Songs literarische Referenzen, etwa von Jonathan Safran Foer oder David Foster Wallace ein. Wann schreiben Sie selbst den ersten Roman?
Ich hätte sehr große Lust, ein Buch zu schreiben. Es gab auch schon Anfragen von Verlagen.

Wovon würde Ihr Buch handeln?
Weiß ich noch nicht. Die Idee dazu kommt bestimmt in einem ganz trivialen Moment, und dann weiß ich „Das wird mein Buch“.

Haben Sie Angst vor dem Tod?
Ja, klar. Hat doch jeder.

Ihre neue Single, ein Duett mit Drangsal, heißt „Keine Angst“. Wovor haben Sie sonst noch Angst?
Beruflich ist meine größte Angst die Angst vor dem Mittelmaß. Relevanz ist mir wichtig. Ich möchte alles, nur nicht egal sein. Wenn jemand sagt „Sein Album kann man gut beim Bügeln hören“, das würde mir das Herz brechen. Generell kann ich sehr schwer loslassen, mein Schaffen beschäftigt mich so gut wie rund um die Uhr. Man schleppt die Arbeit immer mit sich, und ist nie fertig.

„Lang Lebe Der Tod“ sollte ursprünglich schon vor einem Jahr erscheinen. Kurz vor der geplanten Veröffentlichung haben Sie das Album zurückgezogen mit der Begründung, es sei noch nicht gut genug. Weil Siekeine durchschnittlich gute Platte rausbringen wolltest?
Ich fand und finde es absolut richtig, das Album nicht in dem Stadium herausgebracht zu haben, in dem es vor einem Jahr war. Positiv erstaunt war ich darüber, wie gut die Hörerschaft meine Entscheidung aufgenommen hat. Ich hatte mehr Entrüstung erwartet.

Mutig ist das schon gewesen. Die meisten hätten einfach die Platte, mit der sie zu 80 Prozent zufrieden sind, veröffentlicht und die ganze Sache so verkauft, dass niemand etwas gemerkt hätte. Warum Sie nicht?
Weil ich das nicht gekonnt hätte. Ich habe das auch nicht als mutig empfunden. Ich frage mich eher, wie viele Kollegen ihr Zeug so hinrotzen, es vielleicht ein bisschen scheiße finden und dennoch in Interviews erzählen, es wäre ihr bestes Werk. Ich hätte meine Platte letztes Jahr einfach nicht geil finden können, das hätte mir auch niemand abgenommen. Dass alle um mich herum bei der Verschiebung mitgespielt haben, finde ich einen sehr schönen Vertrauensbeweis. Ein Casper-Album ist wirtschaftlich für viele Beteiligten ja kein ganz uninteressanter Faktor.

Sind Sie nach dem Zurückziehen der Platte in ein Loch gefallen?
Natürlich war das ein sehr krasser Dämpfer für das Selbstbewusstsein. Man kommt ins Grübeln, denkt, ob man vielleicht doch nicht so gut ist in dem, was man tut. Letztendlich habe ich mich extrem hinterfragt, die Zweifel an mir selbst zugelassen, nach und nach abgeschüttelt und die Platte so fertiggemacht, dass ich jetzt zufrieden bin. Das letzte Jahr war nicht immer eine schöne, aber eine wichtige Zeit für mich.

Sie deuten in den neuen Texten einige Male an, dass Sie fast alles hingeworfen hätten.
Ich werde gerade öfter darauf angesprochen, dass das jetzt so durchschimmert. Ich selbst hatte aber nie das Gefühl, dass ich aufgeben wollte. Wahrhaftige Kunst fällt nicht leicht, und in den Momenten, in denen sie besonders schwerfällt, träumt man vielleicht davon, lieber Tischler zu werden. Macht man dann aber doch nicht.

Was treibt Sie an?
Gegen den Strom zu schwimmen. Ich hätte es mir sehr oft viel leichter machen können. Ich hätte das Konzept von „XOXO“ zwanzig Mal wiederholen können, und es hätte zwanzig Mal funktioniert. Ich entscheide mich offenbar immer wieder für den Weg des größten Widerstands.

Warum ist das so?
Ich wollte immer, dass Casper dafür steht, dass man alles erreichen kann, was man erreichen will. Ich komme aus einem kleinen Dorf, habe Musik gemacht, für die sich keiner interessiert hat. Aber ich habe mich daran festgebissen, und heute kann ich davon leben.

Sehr gut vermutlich.
Ich lebe nicht reich. Ich habe auch nicht das Gefühl, reich zu sein.

Wie waren Sie als Jugendlicher? Der coole Typ mit dem amerikanischen Vater?
Ich war immer ein bisschen der Klassenclown, weil ich eine große Fresse hatte. Ansonsten war ich nicht der Schönste, nicht der Hässlichste, nicht der Beliebteste, nicht der Unbeliebteste. Ich bin Skateboard gefahren, konnte mit den Fußballern abhängen, aber auch mit den Metal-Kids. Später in der Rap-Szene hatte ich einen schweren Stand, aber der war ja selbstgewählt.

In „Lass sie gehen“ sprechen Sie darüber, dass Sie Abstand brauchen, nicht angelabert werden, Ihre Ruhe haben wollen. Nervt es manchmal, so eine Art Popstar zu sein?
Ja. „Mein Erfolg verfolgt mich“, sage ich in dem Song, da ist was dran. Es gab eine Welle des überschwänglichen Interesses, die mich überfordert hat. Wenn die Kids vor deiner Haustür campen, ist das nicht so supertoll. Plötzlich wird dann auch das Privatleben Gegenstand des öffentlichen Interesses, das geschah gegen meinen Willen. Das hat mich sehr entmutigt, weil ich denke, auch wenn ich ein sehr ehrlicher und private Blicke zulassender Musiker bin, habe ich in meinen Liedern immer selbst in der Hand, was ich erzähle und was nicht. Sobald das entgleitet, entsteht eine gewisse Form von Ohnmacht.

Hat das Boyband-Ausmaße?
Ja, teilweise war das so.

Sie haben die deutsche und die amerikanische Staatsbürgerschaft. Verfolgen Sie, was drüben mit „Ihrem“ Präsidenten passiert?
Er ist auf jeden Fall nicht „mein“ Präsident. Am Tag der Wahl spielte ich in New York ein Konzert mit der befreundeten Band Portugal. The Man, wir standen gerade am Times Square, als das Ergebnis verkündet wurde. Mich hat das sehr traurig gemacht, und mein nicht nur subjektives Empfinden ist, dass dort im Weißen Haus ein Wahnsinniger sitzt, der jederzeit den falschen Knopf drücken könnte. Wir sprachen vorhin über meine Ängste. Aktuell ist es eine sehr große Angst von mir, dass ich morgens aufwache, und ein Idiot hat über Nacht Bomben auf einen anderen Idioten geworfen.

Die Platte fängt sehr unruhig und beängstigend dunkel an, im letzten Lied „Flackern. Flimmern“ jedoch siegt die Liebe. Ist das auch Ihre Überzeugung?
Ja. Ich denke schon, dass der Mensch im Grunde eher gut als schlecht ist. Ich möchte glauben, dass am Ende das Gute siegt.

Casper auf Tour
Der Rapper geht auf „Lang lebe der Tod“-Tour und macht am21. November um 19 Uhr in der Arena in Leipzig Station. Karten gibt es in unserem Ticketshop.