„Feel Erfolg“ ist Ihr siebtes Album in 15 Jahren. Wie groß ist die Gefahr, sich zu wiederholen, wenn man so lange im Geschäft ist?
Diese Gefahr ist bei uns nicht sehr groß, denn wir haben weder Konzeptalben gemacht noch uns auf eine musikalische Richtung festgelegt. Das aktuelle Album war für uns wie ein zweiter Frühling. Wir haben in verschiedenen Studios in ganz Deutschland mit neuen Leuten zusammengearbeitet, die zwölf bis 14 Jahre jünger waren als wir. An manchen Tagen sind aus dem Nichts Songs entstanden. Diese Platte hat mir bisher am meisten Spaß gemacht, weil wir so noch nicht gearbeitet haben.

Mit Ihrer Musik haben Sie immer wieder auch Zustände in unserer Gesellschaft zum Ausdruck gebracht. Wie haben sich die Ereignisse der letzten Zeit auf die Platte ausgewirkt?
Die Presse hat schon die Aufgabe, Skandale aufzudecken, aber wenn man jeden Hirnfurz von Donald Trump groß aufbläht aus Mangel an schöneren Nachrichten, dann finde ich das nicht gut. So hat man nämlich den Eindruck, als würde die Welt in fünf Minuten explodieren. In Wahrheit ist sie jedoch besser und sicherer als je zuvor. Das einzige Problem ist immer noch der Mensch. Ansonsten arbeiten wir azyklisch mit Einflüssen von Politik, Umwelt oder Sozialem. 2009 haben wir zum Beispiel das Lied „Schöne neue Welt“ gemacht, in dem wir bestimmte Dinge überspitzt aufzählten. Leider sind all diese Dinge tatsächlich eingetreten. Diesmal haben wir nichts dergleichen thematisiert, weil wir keine Lust mehr haben auf schlechte Nachrichten.

„Ich habe keinen Bock auf die schöne neue Welt“, heißt es in „Cool mit mir selbst“. Was bedeutet es, cool mit sich selbst zu sein?
Das ist vielleicht keine globale Message, aber eine sehr schöne: Man muss sich selbst so akzeptieren wie man ist, egal wie man aussieht! Das tut Donald Trump wahrscheinlich nicht, denn ich glaube, er hasst sich selbst. Wenn man sich selbst nicht akzeptiert, beeinträchtigt das auch das Umfeld.

In dem Lied „Schlager schlägt zurück“ raten Sie augenzwinkernd dazu, sich lieber nicht mit Schlager anzulegen. Warum ist Schlagermusik heute wieder so beliebt?
Es ist ja nicht nur Schlagermusik, auch Gangsta-Rap ist heutzutage sehr erfolgreich. Ich habe dafür eine Theorie: In der Gesellschaft der Steuerzahler verschwindet immer mehr die Mitte. Sehr wenigen Reichen, die immer mehr Reichtum anhäufen, stehen sehr viele Arme gegenüber. Und der Mittelstand wird geschröpft. Auch in der Musik gibt es zwei Extreme: Immer, wenn ich diese konservativen Florian-Silbereisen-Sendungen im Fernsehen sehe, bei denen 20.000 junge Menschen in der Halle stehen und schunkeln, denke ich: „Ey Leute, wenn ihr meine Kinder wärt, würde ich euch eine Schelle hauen. Nehmt doch mal ein paar Drogen oder macht Rudelbumsen, aber geht bitte nicht zu solch einer spießigen Veranstaltung!“ Andererseits ist Rap der Rock’n‚Roll des neuen Jahrtausends. Mit Wörtern wie „Hurensohn“, „Nutte“ und „Koks“ kann man seine Eltern noch schocken. Und zwischen diesen zwei Extremen liegt Culcha Candela.

Wie denken Sie generell über Schlager?
Ich persönlich habe nichts gegen Schlager, außer dass ich diese Musikrichtung nicht mag. Wenn man bereit ist, dafür Geld auszugeben, beschwere ich mich nicht darüber, denn das ist das Gesetz der Marktwirtschaft. Schlagerstars sind eigentlich Gangsta-Rapper: Sie machen auf heile Welt und echte Emotionen, aber sacken dann zehn Echo-Preise ein. Und Leute wie wir, die auch bei der Veranstaltung sitzen, beißen sich auf die Lippe und denken: „Fuck, ich sehe so cool aus, kriege aber keine zehn Echos! (lacht) Eigentlich ist unser Song eine Hommage an die Schlagersänger, denn wir würden gern selbst so sein. Leider verkaufen wir keine zwei Millionen Platten, weil unsere Hörer das Internet für sich entdeckt haben und fleißig unsere Songs downloaden.

Was tun Sie, damit Sie nicht so brav und betulich werden wie der deutsche Schlager?
Wir sind eigentlich ganz normal. An unseren Grundsätzen, gegen Rassismus, Homophobie und Intoleranz zu sein, hat sich seit dem ersten Tag nichts geändert. Wir sind cool mit uns selbst.

Hätte aus Ihnen unter Umständen auch ein Schlagersänger werden können?
Niemals! Ich wollte schon immer das machen, was ich heute mache. Wenn schon eine andere Richtung, dann Rockmusik. Ich höre auch gern Metallica, AC/DC und Rage Against The Machine.

Hand aufs Herz: Würden Sie nicht auch gern mal einen Echo gewinnen?
Der Echo ist eine ziemlich abgekarterte, politische Sache mit einem undurchsichtigen Gremium. Die Nominierten sind immer diejenigen, die am meisten verkauft haben. Die Gewinner werden von einer ominösen 400köpfigen Altherrentruppe gewählt. Und sieben von zehn Echos gehen immer an Künstler des umsatzstärksten Labels. Wenn du bei solchen Award-Shows dabei sein willst, mußt du dem Gremium etwas geben, was du eigentlich gar nicht willst. Und wenn du dann gewinnst, hast du ein Stück weit deine Seele verkauft.

Sie scheinen das Musikgeschäft sehr kritisch zu sehen. Verleidet Ihnen das manchmal den Spaß?
Absolut! Das letzte Mal, als ich Spaß beim Echo hatte, habe ich noch keine Musik gemacht. Das war Ende der 90er Jahre, und ich habe bis neun Uhr morgens gesoffen und wurde später im Grunewald von einem Förster geweckt. Es war eine gute Party! Alles, was danach kam, war langweilig. Der einzige Lichtblick beim Echo war in den letzten Jahren Barbara Schöneberger.

Wie sehen Sie rückblickend Ihre Mitwirken als Juror bei der Talentshow „Deutschland sucht den Superstar“?
Ich bin dankbar für die Erfahrung, dass ich mit solch einer großen und professionellen Produktion zusammenarbeiten durfte. Mir persönlich hat es definitiv etwas gebracht. Ob es auch der Band etwas gebracht hat, weiß ich nicht. Ich hoffe, es hat ihr kein negatives Image eingebracht. DSDS hat mir zwar ein bisschen Geld aufs Konto gespült, aber mit dem Menschen Dieter Bohlen möchte ich überhaupt nichts zu tun haben. Er ist wahrscheinlich einsam und von Selbsthass erfüllt.

Warum haben Sie bei DSDS überhaupt mitgemacht?
Popstars, X-Faktor, The Voice – die haben mich alle gefragt, ob ich bei ihnen mitmachen wolle. Aber ich musste immer absagen, weil wir gerade eine Tour hatten. Als wir dann eine Bandpause einlegten, habe ich schließlich BEI DSDS zugesagt. Vielleicht war das ja mein Schicksal. Sie haben mir das Blaue vom Himmel versprochen und meinten, sie wollten keine Teilnehmer mehr verarschen. Spätestens ab den Liveshows war aber wieder alles anders und ich extrem genervt. Die Fernsehzuschauer hätten es aber nicht verstanden, wenn ich ausgestiegen wäre und mich für arrogant gehalten. Wenn Sie mich fragen: Auch eine schlechte Erfahrung ist eine gute Erfahrung.

Was macht Erfolg mit einem?
Ich glaube nicht, dass er einen verändert. Es sind eher die Menschen um einen herum, die sich verändern. Sie haben zum Beispiel keinen Erfolg, lassen sich hängen, schlagen einen anderen Lebensweg ein oder werden auf einmal neidisch. Und das ist das Problem. Bei uns in der Band ist jedenfalls keiner abgedreht. Ich kann mich glücklich schätzen, diese 15 Jahre durchgehalten zu haben. Ich fühle mich privilegiert, davon handelt auch der Song „Feel Erfolg“. Wenn man das tun kann, was man liebt, wird das Ergebnis auch gut. Weil ich immer an allen Fronten arbeite, bin ich wahrscheinlich sogar zu wenig dankbar. Unter positivem Stress vergisst man manchmal die schönen Sachen, die das Ganze ausmachen. Ich kann zum Beispiel im Urlaub nicht gut entspannen.

Culcha Candelas Bühnenperformance ist nicht nur in sportlicher Hinsicht sehr beeindruckend. Wie sieht Ihr ideales Konditionstraining aus?
Am besten ist es, sich das ganze Jahr über fit zu halten. Ich bin mittlerweile jenseits der 25 und gehe deshalb dreimal die Woche zum Sport und versuche, auf meine Ernährung zu achten. Man muss halt cool mit sich selbst sein.

Wie denken Sie über den alten Leitsatz Sex & Drugs & Rock & Roll?
Rock’n‚Roll fällt bei uns flach, weil wir ja gar keinen machen. Und Drogen, tja. Wir propagieren die Legalisierung von Marihuana, und zwar nicht nur, weil wir es ab und zu selbst rauchen, sondern aus gesamtpolitischen Gründen. Alkohol und Zigaretten sind definitiv die schlimmsten Drogen auf der Welt. Darüber sollte man mal aufklären. Es ist ja schon fortschrittlich, dass medizinisches Marihuana jetzt in Deutschland legal ist. Es gibt zwar noch viele Unklarheiten, aber es ist ein Schritt in die richtige Richtung. Ansonsten halten Drogen sich bei mir in Grenzen. Ich rauche keine Zigaretten und trinke nur wenig Alkohol. Von den drei Dingen mag ich auf jeden Fall am liebsten Sex!

Sie beteiligen sich an der diesjährigen Night Of The Proms-Tour. Wegen der Groupies?
Bei Sitzkonzerten gibt es leider nicht so viele Groupies wegen der nummerierten Plätze. Ansonsten wird es aber sicher eine coole Sachen werden. Wir haben uns das Ganze im Vorfeld mal angeguckt: Night Of The Proms ist eine total geile Nischenerfindung, die zudem mega erfolgreich ist. Das hatten wir gar nicht auf dem Schirm. Manche Besucher kaufen sich eine VIP-Karte mit allem Drum und Dran. Sie lassen sich Backstage die Haare schneiden oder die Nägel machen und essen, trinken und chillen. Abends schauen sie sich dann die Idole ihrer Jugend an, die dort mit einem klassischen Orchester spielen. Das ist so irre, da müssen wir einfach mitmachen! Außerdem ist diesmal Mel C dabei, und vielleicht haben wir mit ihr ja Backstage Sex. Das steht so zwar nicht im Vertrag, aber vielleicht klappt es ja.

Können Sie mit Noten etwas anfangen oder transportieren Sie musikalische Inhalte auf ganz andere Weise?
Ich konnte weder mit Schul- noch mit Musiknoten jemals etwas anfangen, es sind für mich böhmische Dörfer. In der Schule war ich immer der Pausenclown, es gab bei uns auch nur ganz wenige tolle Lehrer. Ich habe nie verstanden, warum ich zu Mathe, Bio oder Physik gezwungen werde und mich nicht frühzeitig spezialisieren kann auf die Sachen, die mich wirklich interessieren. Die habe ich dann immer außerhalb der Schule gelesen.

„In meiner City“ ist eine Hommage an die Stadt, in der Sie leben: Berlin. Warum ist Berlin weltweit so beliebt bei Künstlern?
Berlin ist mittlerweile eine Weltstadt. Dafür, dass es hier so ein großes Angebot an Nightlife, Party und Kultur gibt, ist Berlin mega billig. Die Lebenshaltungskosten sind hier sehr niedrig im Vergleich zu Städten wie Hamburg, München und Stuttgart. In Berlin kriegt man sehr viel für wenig Geld. Wer es schaffen will, geht nach Berlin. Aber die Stadt ist auch sehr hart, in manchen Gegenden wohnt man noch im Hinterhof mit Etagenklo und Kohleheizung. Das ist nicht für jedermann geeignet, aber ich bin es seit frühester Kindheit gewohnt. In keiner anderen Stadt gibt es so viele Graffiti und Kultur. Man wird hier nicht gleich verhaftet, wenn man mal auf der Straße kifft. In Berlin gibt es die größte individuelle Freiheit in Deutschland.

Mussten Sie privat viele Opfer aufbringen, um dahin zu kommen, wo Sie heute sind?
Objektiv betrachtet schon, aber diese Opfer bringt man auch gerne, weil man liebt, was man tut. Natürlich sind bei mir oft Beziehungen in die Brüche gegangen, weil die Musik immer wichtiger war. Weil wir immer unterwegs waren, habe ich meine Familie nur selten gesehen. Aber man kann halt nicht alles haben.

Culcha Candela auf Tour
Die Band gibt am 1. Oktober um 20 Uhr ein Konzert im E-Werk in Erlangen. Karten dafür gibt es im Tickethsop unserer Zeitung.