Veranstaltungstipps Deichkind: "Wir brauchen Reibung"

Das Gespräch führte Olaf Neumann
 Foto: PR

 
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Ihr außergewöhnlicher Song „Quasi“ mit den Gästen Jan Böhmermann und Olli Schulz machte mich neugierig auf das neue Album „Wer Sagt Denn Das?“ Was braucht man, um den eigenen Weg zu finden?
Kryptik Joe: Wir brauchen Reibung. Und die gibt es überall: In der Gesellschaft, in der Band, in einem selber. Reibung ist manchmal schmerzhaft. Weil man sich auseinandersetzt und verschiedene Positionen gegenüberstellt, aber das macht die Ideen aus, die wir umsetzen. Das verbildlicht die Nummer „Quasi“, die wir zusammen mit Gereon Klug geschrieben haben, der auch schon an „Leider geil“ beteiligt war. Gereon Klug ist innerlich zerrissen, von daher war es sehr passend.

Ist Jan Böhmermann jemand, der Deichkind künstlerisch nahe steht?
Kryptik Joe: Böhmermann und Schulz haben den Song einfach nur performt, aber nicht geschrieben. Deren Podcast „Fest & Flauschig“ gefällt uns sehr gut. Sie thematisieren darin auch die innere Zerrissenheit.
Porky: Sie haben beide ein ähnliches Alter wie wir und Olli Schulz bewegte sich schon immer in unserem Dunstkreis. Sie streiten sich miteinander und haben einen satirischen Ansatz.

Wie finden Sie es, oft nur als Partyband wahrgenommen zu werden?
La Perla: Wir sind mit Deichkind immer dann mit einem Song oder einer Bühnenshow auf den Punkt gekommen, wenn alles gleichzeitig passierte: Das Schreckliche und das Schöne. Das Prollige und das Intellektuelle. Das Dumme und das Schlaue. Lowtech und Hightech. Bei uns geht es immer um Kontraste. Deswegen bringen wir wahrscheinlich so viele unterschiedliche Leute an einen Ort: Wir fangen gleichzeitig den Feuilletonisten und den Späti-Kioskrumlungerer ein und lassen sie zusammen schwingen.

Was ist Ihnen bei der künstlerischen Arbeit wichtig?
Kryptik Joe: Eine Platte braucht ungefähr anderthalb Jahre bis zur Fertigstellung. Eigentlich bräuchte ein Albumcover genauso lange, um es in derselben Qualität hinzukriegen. Dieses Bewusstsein muss man einfach haben. Wir haben diesmal sehr darauf geachtet, dass wir gute Leute um uns herumscharen von Kostümbildnerinnen bis Bühnentechniker, damit wir damit nicht immer wieder von vorne anfangen müssen.

Haben Sie die ganzen Lehrbücher, die hier vor uns auf dem Tisch liegen, durchgearbeitet?
Kryptik Joe: Während des Songschreibprozesses ist zum Beispiel dieses Buch von Sheila Davis zum Einsatz gekommen. Darin geht es um Kreativität und wie Gehirnhälften funktionieren.

Schreiben Sie alle Songs ohne künstlerische Kompromisse oder längere Diskussionen?
La Perla: Mir ist es wichtig, eine gewisse künstlerische Integrität zu bewahren. Ich könnte mir denken, was ich handwerklich machen müsste, um erfolgreich zu sein, aber das ist mir zu einfach. Wenn ich weiß, dass etwas funktioniert, dann sträube ich mich dagegen und versuche es möglichst anders zu machen.

Denken alle in der Band so?
Kryptik Joe: Ich bin da anders. Ich hatte immer auch Lust, einen Hit zu schreiben, der im Radio läuft. Aber ich funktioniere am besten, wenn ich mich im Deichkind-Kosmos selber ausdrücke und etwas Kryptisches mache. Das passt viel besser. Deswegen habe ich bei dieser Platte bewusst davon abgesehen, Nummern wie „Porzellan und Elefanten“ oder „Der Mond“ zu schreiben. Das waren Versuche über einen Mainstream-Song, die nie richtig funkioniert haben.

Woran liegt das?
La Perla: Weil du das Handbuch „Der schnelle Weg zum Nr. 1 Hit“ von KLF entweder nicht gelesen oder die Anleitungen nicht genau befolgt hast.

Ist die Nummer „Wer Sagt Denn Das?“ aus Ihren gesellschaftlichen Beobachtungen heraus entstanden?
La Perla: Die Nummer saugt wie ein Schwamm alles auf, was da gerade so an Konflikten, Kloaken, Ängsten, Verunsicherungen, Filterblasen, Denkfaulheit und Engstirnigkeiten existiert. Das alles wurde von uns ausgewrungen und in einen Song gegossen. Die einzelnen Geschmacksrichtungen sind dabei im Schwamm dringeblieben, um sie hinterher noch rausschmecken zu können. Aber es ist ein Gericht draus geworden.
Kryptik Joe: Für mich ist es der wichtigste Song auf dem Album, weil der Inhalt relevant ist und uns am längsten beschäftigt hat. Die Zeiten sind wirklich sehr komplex und schwierig geworden, was Rechtspopulismus und gesellschaftliche Spaltung mit Klimawandel betrifft. Das sind alles Dinge, die uns beschäftigen.

Wie wollten Sie diese Themen künstlerisch verarbeiten, ohne dabei den Zeigefinger zu erheben?
Kryptik Joe: Wir wollten Fragen stellen und damit klarstellen, dass wir dazu eine Haltung haben.
La Perla: Diese Themen müssen aufs Tablett. Man kann nicht mehr so tun, als würden sie sich von selber regeln.
Porky: Man sieht in unserem Genre die völlige Resignation. Der absolute Flachköpper in den Konsum und die Drogen. Ich hau mir rein, der haut sich rein, das zieh ich mir, das kauf ich mir! Wir wollen uns lieber wirklich mit Problemen auseinandersetzen und das Gefühl der Ohnmacht, das viele gerade spüren, sichtbar machen. Mit der Frage „Wer sagt denn das?“ erhoffe ich mir, dass eine Pause entsteht vom mentalen Lärm und mehr ist als nur Konsum.

Welche Lösungsvorschläge haben Sie?
La Perla: Wir als Gesellschaft müssen neu lernen, miteinander ins Gespräch zu kommen und Argumenten zuzuhören. Wir dürfen wissenschaftliche Fakten nicht aus Bequemlichkeit ignorieren. Wir müssen uns Gewalt in der Sprache bewusst machen und diese hinter uns lassen.

Haben Sie damit schon bei sich begonnen?
La Perla: Wir haben uns gefragt, wie wir miteinander umgehen. Aber mit solchen Songs wollen wir das Problem auch nach außen sichtbar machen. Wir haben nicht die Antwort auf all diese Probleme. Wir formulieren die Frage und lassen sie offen. Hier muss die Gesellschaft in den nächsten Monaten und Jahren ran.

Was kann man zum Beispiel gegen Fremdenfeindlichkeit tun?
La Perla: Viele Leute, die Rechtspopulisten auf den Leim gehen, sind selber Seelen in Not. Es hilft diesen Menschen nicht, sie zu beschimpfen, weil sie auf einem Irrweg sind.
Porky: Auch in meinem Umfeld und in der Musikszene kommen Menschen an ihre Grenzen. Da ist keine Evolution, sondern es herrscht Stillstand. Das ist dumpf und nur noch gegen etwas. Hass verursacht am Ende nur Gegenreaktionen bis hin zum roten Knopf. Wir würden deshalb gerne auf diese Leute zugehen und ihnen eine Tür aufmachen, damit sie zurückkommen können.

Wie ticken die Leute, über die wir gerade sprechen?

La Perla: Ich selber werte mich auf, indem ich mich von anderen abgrenze. Mit einer Gruppe von Nachbarn und Kumpels schwinge ich mich auf das gleiche Wertesystem ein und alle anderen finde ich scheiße, egal in welchem politischen Lager ich bin. Das finde ich sehr schwierig.
Porky: Mit Slogans wie „All Cops are Bastards“ kann ich genauso wenig anfangen wie mit „Ausländer raus“. Das ist ignoranter, überholter Quatsch.

Wie erreicht man ein Umdenken?
Porky: Mit einem trojanischen Pferd. Mit Entertainment. Mit einer Party. Mit einer Show. Mit Freude. Mit Sachen, die sie nicht erwarten. Mit Farben. Mit Texten, die man sich reinziehen kann, die man aber auch mit Leichtigkeit übertanzen kann. Mit mehreren Einstiegsmöglichkeiten.

Was ist Rassismus?
La Perla: Psychologisch gesehen ist es die Angst vor dem Fremden. Diese liegt grundsätzlich in der menschlichen Natur. Wahrscheinlich archetypisch. Man kann sie aber durch positive Erfahrungen überwinden. Viele kommen vielleicht nicht aus ihrer Komfortzone heraus, um gewisse Erfahrungen zu machen. Aber in unserem Dunstkreis kann man durchaus irgendetwas Neuem und Ungewohnten begegnen. Und dann heißt es natürlich ganz schnell: „Was soll der mit Migrationshintergrund hier? Aber der Döner, der schmeckt gut!“ Deshalb ist es wichtig, diese Erfahrungsräume für alle Leute zu erweitern. Das sehe ich zumindest als einen legitimen Versuch, in diese Richtung etwas zu verändern.

„1000 Jahre Bier“ ist eine Hommage an den Gerstensaft. Worum geht es Ihnen beim Bier?
Kryptik Joe: Diese Nummer ist ein gutes Beispiel für das Trojanische Pferd. Viele Leute aus allen gesellschaftlichen Ecken lieben diesen Gerstensaft und vielleicht auch diese Nummer. Dann kaufen sie sich ein Deichkind-Ticket und wir schwingen die Regenbogenflagge. Es gibt Refugees-Welcome-Pullover. Die Swing-States können dann sagen: „Ich fühle mich hier nicht fremd“. Dieses Gefühl wollen wir mit „1000 Jahre Bier“ auslösen.

Welches bierselige Festival beschreiben Sie eigentlich in „Bude voll People“?
Porky: Der Titel ist ein Wortspiel mit „Beautiful People“ von Marilyn Manson. Es geht um Massenfang. Horrormäßiger ökologischer Fußabdruck. Das Vieh wird ans Gatter getrieben und mit Gin Tonic getränkt.
La Perla: Deichkind gehört einfach in die Mehrzweckhalle. Der Hurricaneforscher muss ins Auge des Vulkans, um dort zu gucken. Da gehen wir hin. In der Mehrzweckhalle findet der Schmelzpunkt der Gesellschaft statt. Den wollen wir uns mit der Lupe angucken, während die Leute hoch springen. Wir haben Messsensoren installiert. Wir sammeln gerade die Daten, um sie auszuwerten.

Drückt „Keine Party“ den Zwiespalt aus, in dem Sie sich selbst befinden? Man erwartet von Ihnen, dass Sie ständig Party machen, aber aus dem Alter sind Sie eigentlich raus.
Kryptik Joe: Das ist die eigene Ambivalenz. Wir sind aber Partyprofis. Was anderes können wir eigentlich nicht. Nichtsdestotrotz erforschen wir gerade das Leben nach der Party. Das soll zusammengemischt sein in solch einem Song. Ein interessanter Ausgangspunkt für Inszenierungen, weil wir uns hier in einen Bereich hineinbegeben, der sich außerhalb unserer Komfortzone befindet. Um dann damit umzugehen und etwas Tolles daraus zu machen.
Porky: Und der Song hat ein Gewand. Wir versuchen, unsere Karrieren mit Hässlichkeit zu beenden. Das Lied hat etwas, was mich erschaudern lässt. Es ist ein musikalischer Harakiri. Ein Zombie sozusagen.
Kryptik Joe: Es ist wie eine Glühbirne, in die Fliegen fliegen: Man weiß, dass man dabei stirbt, aber man kann der Lampe nicht widerstehen.

Deichkind auf Tour

Die Hip-Hop- und Electropunk-Formation kommt auf ihrer „Tour 2020“ am 22. Februar um 20.30 Uhr in die Arena nach Nürnberg. Karten gibt es bei uns.