Jagger Ihre Rüstung anzuziehen.
Oh nein. Er wäre weggelaufen.
Kiss ist ein erfolgreiches Wirtschaftsunternehmen. Wie fällt man so einen Entschluss, dass die nächste Tour die letzte ist?
Das ging ohne Dramen vonstatten. Und zügig. Wir trafen uns, sprachen über die kommende Tour und auch darüber, dass wir uns nicht vorstellen können, danach noch weiterzuspielen. Wir können nun einmal nicht ewig weitermachen, das muss man auch akzeptieren. Diese Tournee wird die beste und spektakulärste, die wir je unternommen haben. Uns allen geht es richtig gut. Niemand hat Drogenprobleme oder steckt sonst wie in Schwierigkeiten.
Sie selbst sollen Drogen ja nie angerührt haben.
Ich fand es immer bescheuert, besoffen oder breit sein zu wollen. Wofür soll das gut sein? Kein Betrunkener sagt etwas Kluges. Und wenn du dicht bist, benimmst du dich wie ein Idiot, Punkt.
Aber sollte man es nicht mal ausprobieren?
Ich hatte nie den Eindruck, etwas zu verpassen. Im Gegenteil. Ich war in meinem ganzen Leben nie betrunken, ich rauche auch keine Zigaretten, und Drogen nehme ich schon gar nicht. Das interessiert mich alles nicht im Geringsten. Ich hatte übrigens auch noch nie eine Massage. Mir ist es wichtig, gut zu schlafen, gut zu essen und mich ausreichend zu bewegen. Ich mag lange Spaziergänge.
Und ausgerechnet Sie fungieren jetzt als sogenannter „Chief Evangelist Officer“ des Cannabis-Unternehmens Invictus.
Ja, aber ich predige in dieser Funktion ausschließlich über den medizinischen Aspekt. Cannabis kann Epilepsie heilen, das ist ein Meilenstein. Ich selbst nehme kein Marihuana, ich habe noch nie gekifft. Aber die Leute sollten die Möglichkeit haben.
Sie sind an einer ganzen Reihe von Unternehmen beteiligt. Sorgen Sie vor, dass Ihnen nach dem Ende von Kiss nicht die Decke auf den Kopf fällt?
Ich bin an vielen Dingen interessiert und ja, ich verdiene gerne Geld. Daran ist nichts falsch. Ein Rentnerleben ist für mich allerdings so oder so keine Option. Nichtstun ist Mist. Du wirst fett und schwach und fängst an zu sterben. Ich will überhaupt noch nicht sterben.
Was haben Sie sich für die Abschiedstournee denn eigentlich konkret vorgenommen?
Wir werden Songs aus jedem Jahrzehnt spielen, angefangen in den 70ern, bis zu unserem letzten Studioalbum „Monster“ aus dem Jahr 2012. Wir werden eine brandneue Show haben, mit neuer Technologie und nie gesehenen Effekten. Und wir wollen an Orten spielen, wo wir noch nie waren. Die Welt ist ein großer Ort. Wir werden zum ersten Mal überhaupt in meinem Geburtsland auftreten.
In Israel.
Richtig, wir werden in Israel spielen. Und in Afrika, in China, wir werden jeden Stein umdrehen.
Wird das erste Israel-Konzert in der Geschichte von Kiss ein besonderes Ereignis für Sie sein?
Nun, natürlich. Ich erinnere mich noch gut an meine Kindheit in Israel. Wir waren arm, das ganze Land war gerade erst gegründet worden, jeder packte mit an. Aber ich habe das einfache Leben geliebt. Und sogar Fische kehren irgendwann an den Ort zurück, an dem sie geboren wurden.
Sie kamen als Chaim Witz 1949 in Haifa zur Welt und wanderten nach der Trennung Ihrer Eltern mit Ihrer Mutter als Achtjähriger nach New York aus, arbeiteten als Redaktionsassistent bei der „Vogue“ und als Lehrer, bevor Sie Anfang der Siebziger mit dem Gitarristen Paul Stanley Kiss gründeten. Woran denken Sie, wenn Sie sich an die Zeit damals zurückerinnern?
An unser Silvesterkonzert 1973. Wir spielten vor 3000 Leuten in New York, zusammen mit Blue Oyster Cult und Iggy Pop. Sie gaben uns 30 Minuten, und nach einer Viertelstunde fing mein Haar an zu brennen. Ich konnte noch nicht so gut Feuerspucken, wissen Sie. Und dann wollte uns das Publikum nicht mehr von der Bühne lassen, alle waren begeistert, Musikzeitschriften brachten auf der Titelseite Fotos von mir, brennend. Plötzlich lief es sehr, sehr gut. Und dafür, dass es noch kein Internet gab, sprach es rasend schnell herum wer wir sind.
Wussten Sie nach dieser Show, dass Großes passieren würde?
Ich weiß noch, dass ich die ganze Neujahrsnacht vor Aufregung nicht schlafen konnte. Unsere Phantasie kannte tatsächlich keine Limits, unsere Träume waren groß. Doch ich wusste immer, dass man hart arbeiten muss, damit aus Träumen die Realität wird. Und dass du Opfer bringen musst. Es ist ein schweres Leben. Du verlierst Freunde, Ehen zerbrechen, nur sehr wenige Bands überleben 45 Jahre.
Ihre Mutter Flora, eine aus Ungarn stammende Jüdin, die Anfang Dezember mit 92 Jahren verstorben ist, überlebte mehrere Konzentrationslager. Wie ist Ihr Verhältnis zu Deutschland?
Es könnte nicht besser sein. Ich freue mich auf Schnitzel, Apfelstrudel mit Schlag, Gulaschsuppe (sagt das alles auf Deutsch). Ich mag das Essen sehr gerne und liebe die schönen deutschen Frauen.
Und sonst?
Ich bin ein Bewunderer der deutschen Geschichte. Preußen, Bismarck, ich liebe diese Epoche. Deutschland ist ein faszinierendes Land und tatsächlich ja auch ein sehr junges Land. Vor 1870 gab es kein Deutschland in der heutigen Form, denn alle waren immer im Krieg miteinander. Frankreich, England oder sogar die Vereinigten Staaten waren zu dem Zeitpunkt schon längst gegründet und prosperierten.
Kiss auf Abschieds-Tour
Die amerikanische Hardrock-Band kommt unter dem Motto „End of the Road“ nach Deutschland und tritt am 27. Mai um 19.30 Uhr in der Messe in Leipzig auf sowie am 30. Mai um 19.30 Uhr auf dem Königsplatz in München. Karten gibt es im Ticketshop unserer Zeitung.