Veranstaltungstipps Helge Schneider: "Moderne Musik ist niederschmetternd"

Das Gespräch führte Olaf Neumann
 Foto: PR/Helge Schneider

Helge Schneider ist ein Meister des absurden Humors. Er hat die Comedy in Deutschland nachhaltig geprägt. Im Sommer geht er auf Tour.

 
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Herr Schneider, Ihre Geburtstagstournee heißt „Die Wiederkehr des blaugrünen Smaragdkäfers“. Denken Sie manchmal ans Aufhören?
Im Jahr 2020 werde ich 65. Danach kriege ich Rente. (lacht) Ich habe ja immer eingezahlt. Vielleicht reicht das dann ja auch für die Miete. Ich kann aber jetzt noch nicht aufhören. Ich habe schulpflichtige Kinder und jede Menge Garagen gemietet, in denen ich meine Lichtanlage und das ganze andere Zeug lagere.

Wie werden Sie Ihren 65. Geburtstag feiern?
Ich habe meinen 50. gefeiert. Das muss reichen. An meinem letzten Geburtstag war ich auf Tournee. Es ist immer schön, wenn ich dann arbeiten kann, weil ich nicht so gerne Geburtstag feiere. Man muss hinterher immer aufräumen.

Sie wollen wirklich bis zu Ihrem 100. Geburtstag auf Tour gehen?
Ja mindestens! Ich halte mich fit, indem ich spazieren gehe. Ich laufe unheimlich gerne. Eine Zeit lang war ich rudern, aber das Boot muss dringend gestrichen werden.

Ihre Auftritte sind immer noch von Lebenslust und Vitalität bestimmt. Sind Sie ein Getriebener?
Ich bin sehr geerdet, aber ich bilde mir ein, den Leuten etwas zu geben. Und es ist ja auch so. Aber ich kriege auch etwas vom Publikum. Mit anderen Worten: Es macht mir Spaß. Als Künstler hat man immer das Gefühl, noch etwas anderes machen zu müssen, wie zum Beispiel eine Schallplatte. Da sitze ich jetzt auch wieder dran. Ich habe schon ein paar schöne Songs fertig. Komischerweise fällt mir manchmal etwas ein.

Auch heute schon?
Ne, heute noch nicht, weil ich ein bisschen malade bin. Peter Thoms (sein Ex-Schlagzeuger, die Red.) hat gestern seinen 80. Geburtstag gefeiert. Um 12 Uhr habe ich bei ihm ein Glas Sekt getrunken, und dann war der ganze Tag im Arsch. Das ist nicht mein Ding. Aber es kann auch die Kartoffelsuppe gewesen sein.

In den Titel „Die Wiederkehr des blaugrünen Smaragdkäfers“ lässt sich herrlich etwas hineininterpretieren. Was haben Sie sich dabei gedacht?
Ich bemühe mich manchmal, vor der Tournee dem Motto auch gerecht zu werden. Ich habe ein Lied gemacht, das diesen Titel trägt. Es handelt vom Smaragdkäfer, der die Erde beherrschte, als die Menschen noch krochen. Dann wurde er von ihnen eliminiert, aber jetzt kommt er zurück. Er ist ein Hoffnungsträger, kann aber genauso gut das Gegenteil bedeuten.

Fühlen Sie sich manchmal wie ein vom Aussterben bedrohtes Insekt?
Ich habe mich schon gefragt, wo Leute sind, die so etwas machen wie ich. Als ich anfing, gab es noch viele Jugendclubs mit Live-Musik. Ich habe gehört, in Japan rasen die Leute inzwischen in Konzerthallen, in denen Avatare auf der Bühne stehen. Künstliche Figuren, die Musik machen. Ich finde nicht so gut, vor zu vielen Leuten zu spielen, zum Beispiel in einem Stadion, was ich auch schon mal mit Udo (Lindenberg, die Red) gemacht habe. Für mich kommen solche Auftritte nicht infrage. Ich kann in einem Stadion nicht das vermitteln, was ich in einem kleineren Rahmen tue.

Machen Sie sich selbst Druck, indem Sie sich immer größere Ziele setzen?
Nein. Ich interessiere mich eigentlich auch nicht für meinen Geburtstag, aber ich muss halt immer irgendwelche Eckdaten aufmalen. Es macht auch Spaß, sich hinzusetzen und ernsthaft zu überlegen, wie man so eine Tour nennt. Den Satz „Die Wiederkehr des blaugrünen Smaragdkäfers“ habe ich spontan aufgeschrieben und mir erst danach darüber Gedanken gemacht, was er bedeuten könnte.

Und dabei fallen Ihnen neue Lieder ein?
Ja. Bei einem Lied singe ich zum Beispiel immer nur „Yeah“. Zuerst habe ich nur Schlagzeug gespielt, und anschließend zwei Akkorde auf der Gitarre dazu erfunden. Unser Gitarrist Gottfried Puffotter aus Österreich (Wien/Graz) meinte, das sei die Titelmelodie vom blaugrünen Smaragdkäfer. Neben ihm sind noch Slip Ibrahim (USA) am Bass, Eddie Shit (UK) am Schlagzeug, Sergej Gleithmann (RU) an der Geige und Carlito (Venezuela) an Saxofon und Querflöte dabei. Und natürlich Teekoch Bodo (allesamt Künstlernamen!, die Red.). Wir machen jetzt mehr treibende Musik und wollen auch ein paar neue Stücke spielen. Jede Tour ist anders, aber manche Themen tauchen immer wieder auf. Zum Beispiel „Katzeklo“.

Bei Ihren letzten Tournee war „Katzeklo“ kaum wiederzuerkennen.
Ja natürlich, sonst wird es mir ja selbst langweilig. Ich singe doch nicht immer dieselben Texte.

Bekommen Sie noch häufig Anfragen von Firmen, die „Katzeklo“ gern als Werbemelodie haben möchten?
Das interessiert mich gar nicht. Angebote von Werbetypen habe ich immer abgelehnt. Es fragen auch nicht mehr viele, weil heutzutage ein anderer musikalischer Style vorherrscht. Eine Mischung zwischen Rhythm & Blues, Pop, Rap und in Melodieform vorgetragenen Gedichten. Meist ernsthaft und ohne Witz. Die moderne Musik ist niederschmetternd. Ich habe das Gefühl, dass man heutzutage schnell aus dem Geschäft ist, wenn man den üblichen Anforderungen nicht genügt.

Wie entstehen Ihre Lieder?
Ich nehme sie mehr oder weniger alleine auf. Zuweilen hole ich Gottfried Puffotter dazu, und wir spielen zu zweit die Rhythmustracks ein. Den Rest mache ich allein. Manchmal kommen noch zwei, drei Leute für den Chor dazu. Aber mit einer Band arbeite ich nicht gern im Studio. Live ist das etwas ganz anderes. Letztens haben wir eine Live-Platte aufgenommen. Vielleicht ist die zur Tournee schon fertig.

Ist für das Gelingen eines Konzerts der Künstler zuständig?
Ja selbstverständlich!

Gibt es Abende, die misslingen, ohne dass Sie etwas dafür können?
Seit Jahren macht es mir einfach nur Spaß, auf die Bühne zu gehen. So einen Abend vergisst man vielleicht ganz schnell wieder, aber ich habe noch nicht erlebt, dass er sich misslungen angefühlt hat. Das ist wie Schwimmen in einem Becken. Das fühlt sich hinterher auch nicht misslungen an. Wenn der Sound stimmt, macht mir jeder Auftritt Spaß.

Was sollte das Publikum während Ihres Auftrittes auf keinen Fall tun?
Herumgröhlen nervt. Das hatte ich aber schon lange nicht mehr. Ansonsten ist mir jedes Publikum recht. Ich versuche, nicht vor 10 000 Leuten zu spielen. Bei so viel Publikum ist die Reaktionszeit für mich irgenswie zu lang.

Stimmen Aussagen wie „Qualität wird sich immer durchsetzen“ oder „Wer gut genug ist, wird auch berühmt“?
Wenn die Qualität durchhält, wird sie sich auch durchsetzen. Aber oft zerstören die modernen Zeiten die Qualität wieder. In unserer Billiglohnzeit können sich viele gar keine Qualität leisten. Dadurch spielt sie heute nicht mehr dieselbe Rolle wie früher. Aber irgendwann vielleicht wieder, wie der blaugrüne Smaragdkäfer. Ich war noch nie der Ansicht, dass ein guter Künstler zwangsläufig Erfolg haben muss. Van Gogh zum Beispiel war zu Lebzeiten ein unbekannter Maler.

Sind Sie mit 17 Jahren von zuhause ausgezogen, weil Sie sich mit Ihren Eltern nicht mehr verstanden hatten?
Nein, weil das damals in war. Als Hippie oder Langhaariger war es in, Heiligabend den Eltern zu sagen: So, jetzt ziehe ich aus! Das war bei mir der Tag.

Wie haben Ihre Eltern auf Ihren Auszug reagiert?
Sie sagten: Ja mach doch! Ich bin dann wirklich ausgezogen. Ich war unbelehrbar und bin in eine Kommune mit vier Zimmern gezogen. Später habe ich mit dem Fahrrad noch zwei Sachen von zuhause abgeholt. Ich hatte nur drei Rosshaarmatratzen. Die gibt es heute gar nicht mehr. Ich habe ein paar Monate als Polsterer gearbeitet. Bei guten Sachen hat man zum Ausstopfen Pferdehaar genommen.

Wann war Ihr erster Soloauftritt?
Schon 1976 oder 1977 bin ich alleine am Klavier oder mit Gitarre im Ruhrgebiet aufgetreten und habe Musik und Quatsch gemacht. Fast so wie heute. Auch mit 17 oder 18 Jahren gab es bereits Auftritte, aber nicht in der Form. The Art of Swing hieß meine Band mit Peter Thoms. Und unser Duo nannten wir Genie 2000. Mitte der Siebzigerjahre spielten wir oft in Kneipen. Ich konnte ganz viele Lieder von Frank Sinatra zum Vollplayback. Meine Spezialität waren meine selbst gestalteten und selbst gedruckten DinA-1-Plakate. Da stand anfangs einfach nur „Helge“ oder „Helge Schneider Trio“ drauf. 1983 habe ich mit Werner Nekes „Johnny Flash“ gedreht. Für den Film sind Lieder wie „Texas“, „Gefunkt“, „100.000 Rosen“ und „Mädchen wollen küssen“ entstanden. Auf Schallplatte kam die erst vier Jahre später raus.

1976 sind Sie bei einer Vernissage des politischen Karikaturisten Kuro alias Walter Kurowski aus Oberhausen im thüringischen Greiz aufgetreten. War die DDR bereit für Helge Schneider und Kuro?
Wir hatten nur einen Auftritt in der DDR, hochoffiziell. Ich habe zu Kuros Vernissage Klavier und Saxofon gespielt – bei einer Probeausstellung in einem Dorf in Thüringen. Im Anschluss saßen wir mit dem Bürgermeister und dem VBK-Präsidenten der DDR, Willi Sitte, in einer Kneipe zusammen. Willi kam mit einem Volvo aus Italien oder Kroatien angereist, braungebrannt. Dabei wurde entschieden, dass Kuro in der DDR nicht ausstellen darf, sonst käme es zu einem Affront mit der BRD. Kuro war einfach zu provokant. Er hat zum Beispiel Helmut Schmidt mit Raketen-Zähnen gezeichnet. Und Helmut Kohl, wie er Franz Josef Strauß im Arsch leckt. Dann mussten wir die Ausstellung wieder abbauen und mit nach Hause nehmen. Auf dem Rückweg haben wir ganz viele Flugblätter mit Zeichnungen aus dem Auto fliegen lassen.

Haben Sie von der DDR eine Gage bekommen?
Ich bekam 400 Ostmark, davon kaufte ich mir eine Trommel und ein Akkordeon. Die habe ich heute noch. Im Sommer 1989 war ich mit Christoph Schlingensief noch einmal in der DDR. Er zeigte eine Retrospektive seiner Filme. Zu dem Zeitpunkt stand die Mauer noch, aber ich durfte trotzdem im Filmmuseum Potsdam ein Konzert spielen. Dafür gab es 1000 Ostmark, diesmal habe ich das Geld aber nicht angenommen. Was soll ich denn damit. Heute hätte ich diese 1000 Ostmark ganz gerne als Andenken. Schade.

Warum hat die DDR ausgerechnet den unbequemen Westkünstler Christoph Schlingensief eingeladen?
Das Potsdamer Filmmuseum war mit dem Düsseldorfer Filmmuseum freundschaftlich verbunden. Wir waren im Künstlerklub essen. Dort warteten unheimlich viele Potsdamer auf einen Platz, aber wir Wessis durften an der Schlange vorbeigehen. Das war mir so peinlich. Man setzte uns in ein Hinterzimmer, wo uns das Essen an einen großen runden Tisch gebracht wurde. Alle bekamen ein Schnitzel mit Pommes und Erbsen hingestellt. Neben mir saß Peter Thoms. Er sagte: „Oh, ich bin Vegetarier!“ – „Kein Problem!“, antwortete der Kellner, griff sich das Schnitzel mit den Fingern und nahm es ihm wieder weg.

Gab es weitere Auftritte in der DDR?
Vor der Maueröffnung sind wir auch mal in Dresden am Elbufer aufgetreten, wo wir heute noch regelmäßig spielen. Zu dem Zeitpunkt gab es schon den Transitverkehr zwischen Polen und dem Westen. Abends spazierten wir durch die Neustadt. Egal, wo man hinkam – es gab nichts zu essen. Aber die Dresdner waren erfinderisch und hatten ihre Keller zu Bars umfunktioniert. Ganz toll. Wir sind dann in einen Gewölbekeller reingegangen, der hieß irgendwas mit „Plan“. Überall gab es nur Brühwürstchen und eine einzige Pizzeria. Dort stand eine große Eistruhe mit der Aufschrift: „Salami“, „Fisch“, „Spinat“ und den Preisen. Die Pizzen wurden in der Mikrowelle aufgewärmt. Dort ging man hin, wenn man seine Angebetete zum Italiener ausführen wollte. Es war schon ganz schön mager in der DDR, aber die Leute waren unheimlich zuvorkommend und kulturell interessiert. Das ist bis heute so geblieben.

Sehen Sie 30 Jahre nach der Wende noch einen Unterschied zwischen Ost- und Westdeutschland?
Wenn wir in dem Naturtheater in Steinbach-Langenbach spielen, herrscht dort immer eine besondere Atmosphäre. Die machen zum Beispiel die La-Ola-Welle. Die Leute im Osten sind alle so schön frech. Da kommt etwa eine Frau mit Kinderwagen nach vorne und sagt zu mir: „Helge, das ist dein Kind!“ Ich spiele unheimlich gerne in der ehemaligen DDR. Im Fernsehen wurde ja viel berichtet anlässlich des 30. Jahrestages des Mauerfalls. Man sah immer nur große Namen wie Udo Lindenberg und Peter Maffay. Aber die haben drüben gar nicht so viel gespielt wie ich.

Gibt es in Deutschland ein Humorgefälle?
Der Humor im Osten ist ein bisschen anders als der im Westen. Dort gibt es mehr Selbstironie. Wir hatten Verwandte im Osten, mit denen wir immer einen weihnachtlichen Päckchenaustausch hatten. Wir schickten denen Kaffee, Tempotaschentücher und Butterkekse, sie schickten uns Spielzeug aus dem Erzgebirge. Als ich zu meinem 9. Geburtstag eine Puppe eindeutig für Mädchen bekommen hatte, weil der Name Helge ein bisschen zweideutig ist, brachen meine Eltern den Kontakt ab. Irgendwann hat mir ein Großonkel aus Rostock über Facebook geschrieben, das habe ich aber zu spät gesehen, weil ich da fast nie reingucke. Ich nutze das nur beruflich und bin selbst noch nicht mal mit mir befreundet. Ich habe ihm dann ein halbes Jahr später zurückgeschrieben. Vielleicht kommt ja irgendwann eine Antwort.

Helge Schneider auf Tour

Der Komiker geht auf „Die Wiederkehr des blaugrünen Smaragdkäfers“-Tour und tritt am 31. Juli um 20 Uhr auf Schloss Tambach bei Coburg auf. Karten gibt es im Ticketshop unserer Zeitung.