Veranstaltungstipps Interview

Olaf Neumann
Die New Model Army möchte mit der Kraft der Musik inspirieren und Veränderungen auf persönlicher und politischer Ebene bewirken - sowohl national als auch global. Foto: Benedikt Schnermann

Die New Model Army blickt auf eine fast 40- jährige Karriere zurück - weltweite Fangemeinde und große Hits inklusive. Wir sprachen mit dem Sänger Justin Sullivan.

 
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Sie haben sich in die Einsamkeit der norwegischen Insel Giske zurückgezogen und das neue Album "From Here" innerhalb von nur neun Tagen aufgenommen. Macht es einen Unterschied, wo man eine Platte einspielt?

New Model Army live

Die Briten gehen auf "From Here"-Tour 2019 und sind am 27. Oktober um 20 Uhr im Hirsch in Nürnberg zu Gast. Karten gibt es im Ticketshop unserer Zeitung.


In Giske haben wir das großartigste Studio der Welt entdeckt! Ich möchte das gar nicht an die große Glocke hängen, sonst pilgern dort bald alle Bands hin. Aber vielleicht sollten wir es lieber als einmalige Erfahrung verbuchen. Wenn dir etwas als ganz besonders erscheint, solltest du es lieber nicht versuchen zu wiederholen.

Wie sind Sie nach Norwegen gereist?

Die meisten von uns sind geflogen, aber Lee und ich sind von Nordengland mit dem Auto hoch gefahren. Es dauerte drei Tage. Allein das war schon ein Abenteuer: die Fähre, die verschneiten Berge Norwegens, Schneestürme. Diese Reise befeuerte definitiv den Kreativprozess. Seit 25 Jahren hatte ich nicht mehr so viel Spaß beim Plattenmachen, weshalb die Aufnahmen auch nur neun Tage dauerten. Normalerweise warten wir auf den perfekten Moment. Aber diesmal ging es Schlag auf Schlag.

Wenn Sie neue Musik schreiben, versuchen Sie dann, das Alte von sich wegzuschieben?

Ja. Ich versuche, nicht immer wieder denselben Song zu schreiben. Wir sind in den vergangenen 40 Jahren niemals steckengeblieben. Das hat etwas mit der Fluktuation innerhalb der Band zu tun. Alle fünf bis zehn Jahre stößt jemand Neues zu uns. Eine neue Person verändert die gesamten Beziehungen innerhalb einer Band. Ceri zum Beispiel ist ein ganz anderer Bassist als sein Vorgänger Nelson. Er hat uns in eine ganz neue Richtung geführt. Diesmal haben wir zwar nach denselben Prinzipien wie bei "Winter" und "Between Dog And Wolf" gearbeitet, aber wir machen klanglich etwas ganz anderes.

Wie ist Ihnen dieser Kunstgriff gelungen?

Wir standen schon immer auf rituelle Tom-Tom-Rhythmen, dazu gesellen sich Ceris flüssiges, wenig technisches Bassspiel und meine tiefe Stimme. Das Ganze haben wir kombiniert mit akustischen Gitarren und sauber klingenden Telecasters. So gitarrenlastig wie auf "From Here" klangen wir schon lange nicht mehr. Zwischen die verschiedenen Gitarrenspuren haben wir dann einen fetten Schlagzeugsound gelegt. Ich weiß, das ist eine alte Form, aber sie klingt bei uns irgendwie anders. Sehr majestätisch wie bei Platten von Barry White oder Isaac Hayes. Ich bin eigentlich gar kein Rockmusiker, sondern ein Soul-Guy. Alle wirklich guten Bands kommen mit einen Voodoo-Einschlag daher.

Warum klingt die Platte eigentlich so dunkel?

All unsere Alben klingen ein bisschen dunkel. Wir leben schließlich in düsteren Zeiten. Aber diese Platte klingt vor allem nach Weite.

Jede Platte, die eine Band macht, spiegelt eine bestimme Zeit und einen bestimmten Ort wider. Wo befindet sich New Model Army gerade?

Das müssen die Kritiker beurteilen. Alles, was ich dazu sagen kann, ist, dass die aktuelle Besetzung von New Model Army die bisher geschlossenste ist. So leicht ist mir die Arbeit mit dieser Band noch nie gefallen. Wir vertrauen uns gegenseitig blind, es gibt bei uns keine Ego-Trips. Wir sind sehr gut darin, uns keine Sorgen zu machen und erschaffen vieles aus dem Moment heraus. Vor jeder neuen Tour fragen wir uns, was wir diesmal spielen sollen. Und dann vertagen wir die Entscheidung wieder, bis wir am Ende über Nacht eine Setlist zusammenstellen. Es läuft bei uns schon seit einiger Zeit wie geschmiert, aber es wird sicher nicht immer so weitergehen.

Nächstes Jahr wird New Model Army 40. Kommt da das Album nicht ein bisschen zu früh?

Nein. Würde die Platte erst nächstes Jahr rauskommen, würden alle Journalisten mit mir nur über unsere Bandgeschichte sprechen wollen. Ich will mich aber nicht mit der Vergangenheit beschäftigen, sondern mit der Gegenwart.

Hip-Hop und elektronische Musik sind der Sound der Jugend. Existiert Rock ’n’ Roll noch als Forum für revolutionäre Ideen?

Selbstverständlich! Rockmusik in der konventionellen Form, wie wir sie mit Abstrichen auch machen, ist eigentlich tot. Die meisten Rocker stecken doch irgendwo fest. Es ist heute wesentlich einfacher und billiger, mit einem Computer zu arbeiten. Ich unterscheide nicht zwischen Dance-, Reggae-, Rock- und Soulmusik. Aber es gibt definitiv einen Unterschied zwischen physisch und virtuell hergestellter Musik. Ich kann stundenlang am Computer daddeln und dabei Sounds kreieren, das ist sehr kreativ, aber es ist kein physischer Vorgang wie singen oder Gitarre spielen. Ein von Hand gespieltes Riff klingt jedes Mal anders. Deshalb wird handgemachte Musik auch niemals aussterben, speziell was den Live-Sektor angeht.

Im Studio stehen Sie alle in einem Raum und spielen wie im Proberaum. Was hat Sie in Giske zu dem düsteren Song "End of Days" inspiriert?

Nun, die Welt befindet sich schlicht und einfach am Ende ihrer Tage. Das ist doch abzusehen. Bis zum letzten Knall wird es zwar noch eine Weile dauern, aber die gegenwärtigen politischen Krisen drehen sich ganz sicher nicht um das, was mit unserem Planeten gerade passiert. Seit ich auf der Welt bin, sind 40 Prozent aller Arten ausgestorben. Das ist echter Endzeitstoff! Statt etwas dagegen zu tun, bekämpfen wir Menschen uns gegenseitig. Die Zukunftsaussichten für die Erde sind mehr als düster.

Gibt es auch etwas, das Sie optimistisch stimmt?

Nicht im Geringsten, was die Menschheit betrifft. Der Planet wird uns aber überleben. Jede Generation vor uns hat sich darüber ihre Gedanken gemacht, aber die Menschheit entwickelt momentan eine ungemein destruktive Kraft.

Das Gespräch führte Olaf Neumann

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Das ganze Interview findet sich unter

frankenpost.de/veranstaltungstipps