Veranstaltungstipps Madsen: "Rock ist wieder Nische"

Das Gespräch führte Steffen Rüth
 Foto: PR

Die Indie-Rock-Band Madsen geht mit dem neuen Album „Lichtjahre“ auf gleichnamige Tour. Wir sprachen mit Sänger Sebastian Madsen.

 
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Sebastian, Sie haben vor einiger Zeit plötzlich Panikattaken bekommen. Wann haben Sie diese Panik zum ersten Mal gespürt?
Vor drei Jahren, während der PR-Reise zu unserem Album „Kompass“. Ich saß mit den anderen im Auto, irgendwo nahe der französischen Grenze, wir hatten Stau, viele Termine, viel Stress, und plötzlich wurde ich überrannt von Herzrasen, Schweißausbrüchen, Fluchtgedanken und, ja, Todesangst. Im ersten Moment dachte ich, ich habe einen Herzinfarkt.

Was passierte dann?
Wir haben alle Termine umgehend abgesagt. Es war undenkbar für mich, ein Radiointerview oder einen TV-Auftritt zu meistern. Ich stand vor dieser Mauer und schaffte es nicht mehr, hochzuklettern. Ich bin sofort zum Arzt gegangen. Er erkannte sehr schnell, was mit mir los war und meinte, dass ich am besten sofort in den Urlaub fahre.

Haben Sie das gemacht?
Ja, ich war mit meiner Freundin in Spanien, aber erst später. Zunächst mal lag ich viel mit abgedunkelten Fenstern im Bett und hatte so ein Gefühl der Lähmung. Ich konnte gar nicht richtig aufstehen, das war schlimm. Ich fing an, Leute anzurufen, zu quatschen, gerade Musikern sind solche Angstattacken häufig nicht fremd. Im Urlaub kam ich dann tatsächlich mal ein paar Wochen zur Ruhe und vergaß sogar, dass ich überhaupt in einer Band spielte. Irgendwann stand da die Gitarre, und ich schrieb „Wenn es einfach passiert“, das erste Stück des Albums und freute mich, dass ich wieder etwas zu erzählen hatte.

Sie singen“Freunde fragten ‚Lebst du noch‘" und über Vögel, die wie Raketen klingen. Das hört sich wirklich ernst an.
War es auch. Alles hat mich überfordert, kein Reiz war positiv. Ich habe einen großen Freundeskreis und einen engen Draht zu meiner Familie, die hatten alle große Sorge um mich. Die konnten das alle nicht einordnen. Ich bin sehr froh, dass diese Zeit vorbei ist und ich wieder Spaß mit Menschen und in Gesellschaft habe.

Können Sie im Nachhinein sagen, was der Anlass war?
Ich habe mir zu viel zugemutet. Mich zu sehr unter Druck gesetzt. Ich wusste nicht mehr richtig zu schätzen, was wir an Madsen eigentlich haben. Es gibt unsere Band jetzt seit 14 Jahren, und ich hatte das Gefühl, so blöde es klingt, dass da noch mehr gehen muss. Wir wollten mit „Kompass“ auf einmal allen gefallen und den sogenannten nächsten Schritt erreichen.

Was soll das genau sein?
Eben. Das ist vollkommener Blödsinn. Ich hatte mich total verkrampft. Dabei hat gerade diese Leichtigkeit, diese naive Spielfreude Madsen immer ausgemacht. Es läuft ja auch nach wie vor sehr gut. Wir machen die Hallen voll und wir existieren wunderbar ohne den einen, großen Radiohit. Wenn du Madsen-Fans fragst, dann hat jeder ein anderes Lieblingslied von uns. Unser Hauptanliegen mit „Lichtjahre“ war also einfach: Eine gute Platte machen, gute Rockmusik spielen, mitreißen und inspirieren. Rock ’n’ Roll hat es ja eh ein bisschen schwer gerade.

Weswegen überhaupt?
Für die Jugend gibt es heutzutage wohl coolere Sachen als aus der Provinz zu kommen und Rockmusik zu machen. Rock ist wieder Nische. Die Teenager werden lieber Influencer, machen elektronische Musik oder Hiphop. Ich habe mir mal ein paar aktuelle Rap-Platten angehört und war ehrlich geschockt, wie sinnentleert und hohl das alles ist.

Songs wie „Ich tanze mit mir allein“ oder „Sommerferien“ wirken sehr unbeschwert. Ein Depri-Album ist „Lichtjahre“ nicht, oder?
Ich finde es faszinierend, wie weit in dieser Frage die Meinungen auseinandergehen. Die einen finden die Platte melancholisch, andere total positiv und freudig. Ich kann mich in beidem voll wiederfinden. „Ich tanze mit mir allein“ verbindet zum Beispiel Melancholie und Euphorie. Das Lied handelt von einem sich einsam und isoliert fühlenden Menschen, der in den Club geht, alleine tanzt und ganz bei sich ist.

Haben Sie die Angsterkrankung überwunden?
Ich hoffe sehr. Ich spüre, wieviel Lust und Aufbruchstimmung wieder in mir steckt. Und ich habe gewisse Strategien, mit denen ich die Angst gar nicht erst so dicht an mich heranlasse. Einfach versuchen, entspannt zu atmen. Oder spazieren zu gehen, so viel wie möglich, auch auf Tour. Außerdem hilft es sehr, sich an frühere Zeiten zurückzuerinnern, in denen alles gut und unbeschwert war.

So wie im Song „Sommerferien“?
Genau. Sechs Woche lang kein Stress und keine Termine, was habe ich das immer geliebt. Letzter Schultag, mit dem Fahrrad nach Hause, dann schwimmen gehen, Musik machen, mit dem großen Bruder abhängen, das war saucool.

Welches war dein bester Sommer?
Besonders toll war der Sommer 1998. Ich hatte meinen Realschulabschluss und lernte beim Abschlusszelten meine erste richtige Freundin kennen. Wir beiden haben viele Teenagersachen zum ersten Mal zusammen erlebt, Partys, Sex, Baggersee, Zelten, das Leben kennenlernen. Ich war 17 und fühlte mich zum erste Mal nicht mehr wie ein Kind, sondern wie ein Erwachsener.

Wie lange waren Sie ein Paar?
Fünf Jahre. Die gesamte Oberstufenzeit und noch eine Weile nach dem Abi. „Mein erstes Lied“ handelt von uns beiden. Manchmal kommt sie noch auf Konzerte von uns, wir leben beide in Berlin, wir mögen uns, aber jeder lebt sein Leben.

Warum ist es auseinandergegangen?
Meine damalige Freundin ist nach dem Abi sofort nach Berlin-Friedrichshain gezogen. Die Mädchen aus dem Wendland waren ein bisschen weltoffener und fortschrittlicher als die Jungs damals, sie auch. Ich fand den Gedanken, nach Berlin zu gehen, damals abstoßend. Ich wollte auf dem Dorf bleiben und mit meinen Brüdern Musik machen, Berlin hat mich damals überfordert.

Aber dann haben Sie den Schritt doch gewagt.
Ja, ich bin vor 14 Jahren nach Berlin gezogen. Ich hatte erst im Wendland noch Zivildienst gemacht, mich dann ein bisschen umgeguckt, parallel fing es mit der Band an, ernst zu werden, bald bekamen wir unseren Plattenvertrag. Ich pendele immer noch viel. Berlin erschlägt mich auf Dauer, das Wendland aber auch. Ich denke, ich habe ein ganz gutes Gleichgewicht gefunden.

Sie sind jetzt 37, es kommen aber nach wie vor viele Jugendliche zu Ihren Konzerten. Woran liegt das?
An unseren Liedern. Das Stück „Vielleicht“ habe ich geschrieben, als ich 16 war. Ich spiele das immer noch wahnsinnig gern und bin ihm auch gefühlsmäßig immer noch nah. Viele Teenies können sich mit den Gefühlen in unseren Songs identifizieren. Die fühlen sich gut bei uns aufgehoben.

Der eine oder andere Song, zum Beispiel „Wo mal Wüste war“, spielt auch auf die angespannte und angsterfüllte Gefühlslage in der Gesellschaft an. Kannst du die Ängste anderer Leute besser verstehen, seitdem du deine persönliche Angstphase hattest?
Nee, das sind ganz unterschiedliche Formen von Angst. Ich habe ja nicht angefangen zu hassen oder versucht, andere zu finden, die verantwortlich sind für meine Situation. Ich kann die Leute nicht verstehen, die für ihre innere Unzufriedenheit Schuldige suchen, die nichts damit zu tun haben. Ich hoffe, dass auch diese Menschen sich irgendwann besser selbst verstehen.

Die Abstände zwischen Madsen-Alben werden größer, kümmert Sie das?
Das ist unvermeidlich. Ich selbst halte mich mit der Familiengründung noch zurück, aber wir haben zwei Väter in der Band. Und die Pausen, die wir machen, sind wichtig, um die Frische zu erhalten, die wir für unsere Musik brauchen. Außerdem machen wir auch andere Sachen. Mein Bruder Johannes und ich, wir haben zum Beispiel gerade das neue Album von Ferris MC produziert. Er nennt sich jetzt Ferris und macht Rock.

Wird es Rockmusik also auch in zwanzig Jahren noch geben?
Daran habe ich keinen Zweifel. Rock ist immer wieder zurückgekommen. In den Neunzigern mit Nirvana, Anfang der 2000er mit den Strokes, ich bin zuversichtlich, dass bald die nächste Welle kommt.

Madsen auf Tour

Die deutsche Indierock- und Punkrock-Band kommt auf ihrer „Lichtjahre“-Tour am 23. November um 20.30 Uhr in die Tonhalle nach München. Karten gibt es im Ticketshop unserer Zeitung.