Veranstaltungstipps Max Giesinger: "Ich finde Toleranz sehr wichtig"

Das Gespräch führte Steffen Rüth
 Foto: Christoph Köstlin

Ob „80 Millionen“ oder „Wenn sie tanzt“: Max Giesingers Songs werden im Radio rauf und runter gespielt. Mit neuem Album geht er bald auf Tour.

 
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Max, kann es sein, dass Ihre Stimme ein Stück weit rauer und irgendwie männlicher klingt auf dem neuen Album „Die Reise“?
Und ob das sein kann! Ich habe so unglaublich viel gesungen in letzter Zeit, allein 2017 habe ich 180 Konzerte gespielt. Das ist nicht spurlos an meiner Stimme vorbei gegangen.

Überhaupt macht das Album einen etwas weniger glatten, dafür persönlicheren Eindruck als „Der Junge, der rennt“.
Das war jetzt keine bewusste Entscheidung von vornherein, aber man entwickelt sich naturgemäß auch weiter und bekommt Lust, andere Dinge auszuprobieren. Ich wollte mich auch nicht wiederholen und finde im Nachhinein, dem letzten Album hätten ein paar Ecken und Kanten mehr ganz gutgetan. Also habe ich auf „Die Reise“ versucht, nicht den ganz sicheren Weg zu gehen und Songs zu machen, die so sehr offen sind, dass sich wirklich jeder mit ihnen identifizieren kann. Sondern ich habe verstärkt über Themen gesungen, die mich selbst betreffen und interessieren, in „Australien“ zum Beispiel erzähle ich über meine Reise, die ich vor über zehn Jahren nach dem Abitur gemacht habe.

Was war das Besondere daran?
Die Unbeschwertheit. Wir sind in einem Camper-Van durch die Einöde gefahren und hatten so wenig Kohle, dass ich morgens einen Apfel und eine Banane aß und mir mittags ein Sandwich kaufte, das für den restlichen Tag reichen musste. Mit zunehmendem Alter und den Millionen von frischen Erinnerungen, die ich ansammeln durfte, mache ich mir gleichzeitig mehr Gedanken darüber, wie es einmal war.

Ein Song wie „Lieber geh ich“, in dem es darum geht, dass Sie Ihre Freundin kein weiteres Mal enttäuschen wollen, ist nicht nur inhaltlich, sondern auch musikalisch interessant, fast ein wenig jazzig.
Ja, da spielen wir den Drumbeat nur auf der Gitarre, das macht es originell. „Lieber geh ich“ oder auch „Die Reise“ habe ich, in Zusammenarbeit mit meinen Songwriting-Kollegen in Mannheim und Berlin, schon ziemlich früh geschrieben, im Februar 2017. Ich wollte diesem Druck, irgendwann schnell eine neue Platte machen zu müssen, ausweichen, indem ich einfach dranblieb und die Songs in Etappen aufnahm. Das hat auch wirklich prima funktioniert.

In „Wir waren hier“ lassen Sie noch mal Ihren bisherigen Werdegang Revue passieren, vom Jugendlichen, der in der Fußgängerzone Oasis-Songs singt bis zu dem Popstar, der mit „80 Millionen“ den Sommerhit 2016 landete und jeden Abend vor tausenden von Leuten spielt.
Ich bin damals gerne nach Baden-Baden gefahren und habe mich mit der Gitarre in die Fußgängerzone gestellt. Ich wusste, das ist ertragreich, denn dort wohnen eine Menge reicher Leute.

Und anschließend ins Kasino?
Nein, ich bin nicht so der Zockertyp. Ich bin eher ein Sparfuchs. Mein Auto habe ich meinem Bruder geschenkt, weil ich in Hamburg keins brauche. Ich fahre lieber Bahn als Taxi, denn Taxifahren finde ich irgendwie zu teuer. Materielle Güter machen mich nicht wirklich glücklich.

Was macht Sie denn glücklich?
Wenn backstage in der Halle, in der wir auftreten, eine Tischtennisplatte steht.

Haben sich die Auftritte in der Fußgängerzone rentiert?
Manche haben mich gesehen und dann direkt als Hochzeitssänger engagiert. Das ist erst zehn Jahre her, aber es kommt mir viel länger vor. Dann kam „The Voice“, ich nahm mein erstes Album per Crowdfunding auf, immer hungrig auf den Erfolg, der sich lange nicht so recht einstellen wollte und auf der Suche nach Bestätigung und Anerkennung. Und plötzlich erfüllt sich vor zwei Jahren auf einmal mein Lebenstraum.

Denken Sie jetzt „Ich habe es geschafft“?
Das ist eine zweischneidige Angelegenheit. Wenn du dir jahrelang den Arsch abarbeitest, damit in der Karriere endlich mal was läuft, dann bist du glücklich, wenn dein Song im Radio läuft, du in der U-Bahn zehn Selfies pro Fahrt machen musst und in vollen Hallen spielst. Aber du gewöhnst dich auch sehr schnell daran, erfolgreich zu sein. Wenn du an sieben Abenden pro Woche vor 5000 Menschen spielst, dann empfindest du das als ganz normal. Irgendwann kickt dich das nicht mehr so und du beginnst, dich nach einer Balance zu sehnen, nach Privatleben, vielleicht mal nach einer Freundin.

Sollte sich doch machen lassen.
Aber dann denke ich schnell wieder, ich bin noch ziemlich weit weg davon, zur Ruhe zu kommen, irgendwo sesshaft zu werden. Letztens hatte ich das Baby von Michael Schulte im Arm, der dieses Jahr sehr erfolgreich für Deutschland beim ESC angetreten ist. Michael ist ein Jahr jünger als ich, wir haben jahrelang zusammen in einer WG gelebt, doch für ihn war immer klar, dass er schnell eine Frau finden und eine Familie gründen will. Auch von den Leuten, mit denen ich zur Schule gegangen bin, haben einige schon Kinder.

Sowohl im Song „Die Reise“ als ich in „Zuhause“ singen Sie darüber, ankommen zu wollen. Einerseits haben Sie diese Sehnsucht, andererseits ist Ihnen das Leben in geordneten Bahnen aber nicht ganz geheuer?
So kann man es ausdrücken. Beruflich bin ich angekommen, privat sicher noch nicht. Ich habe seit vielen Jahren dieselben Freunde, mit den Musikern aus meiner Band bin ich seit sieben Jahren befreundet, wir haben alles zusammen erlebt und aufgebaut. Ich bin definitiv nicht abgehoben oder arrogant geworden. Aber das mit dem „ankommen“ ist wieder so zwiespältig. Was ist das genau? Wird das Leben dann öde? Ist es die letzte Station, bevor du in den Sarg kletterst? Oder lebst du mit Frau, zwei Kindern und Hund in einem Haus am See und bist immer noch der Typ, der auf der Bühne steht und sich beruflichen Herausforderungen stellt? Ich weiß es nicht zu beantworten. Vielleicht findet man das Ankommen auch in den kleinen Dingen.

An was denken Sie?
Mit meinem Vater und meinem Bruder war ich vor kurzem auf einer Bergtour, wir sind durchs Karwendel-Tal gewandert, haben in Berghütten geschlafen, es war gigantisch entspannt.

Im Frühjahr 2018 sind Sie tatsächlich auf eine längere Reise gegangen, Sie waren sechs Wochen in Thailand. Wie fällt Ihr Fazit aus?
Gemischt (lacht). In Thailand wollte ich testen, ob ich noch normal bin und ob ich überhaupt noch alleine sein kann.

Und?
Ich glaube der Kontrast zwischen dem rasanten Leben hier und der Stille in Thailand war zu viel für mich. Das Abschalten von hundert auf null hat nicht so gut geklappt wie erhofft. Die erste Woche bin ich mit einem Kumpel gereist, das war schön. Aber die restliche Zeit war ich ganz allein unterwegs, und das ist mir schwergefallen, teilweise war ich echt einsam. Ich bin einfach nicht runtergekommen, und ich war auch nicht immer in Stimmung, Leute anzusprechen. Viele meiner Begegnungen waren sehr oberflächlich. Manchmal habe ich mich richtig gefreut, wenn andere Deutsche da waren und mich mit „Hey, Max Giesinger, was geht?“ begrüßten. Weil ich so abends merkte, dass ich den ganzen Tag noch nichts gesprochen hatte. War aber auf jeden Fall eine lehrreiche Erfahrung – noch mal fahre ich nicht allein so lange weg.

Jan Böhmermann hat Sie in einem Beitrag über die deutsche Musikbranche in ein sehr schlechtes Licht gerückt und ein Stück weit lächerlich gemacht. Wie sind Sie damit zurechtgekommen?
Seinen Song „Menschen Leben Tanzen Welt“ und das Video fand ich sehr witzig, das ist mein Humor. Hart war nur, dass er mir praktisch abgesprochen hat, dass ich Songs schreibe und ein Künstler bin. Er hat mich dargestellt als jemanden, der von der Plattenfirma erschaffen wurde. Das war einfach falsch, und es hat mich getroffen. Die Leute recherchieren das auch nicht nach, und gerade in etwas alternativen Kreisen werde ich jetzt ein bisschen belächelt.

Haben Sie mit Böhmermann gesprochen?
Ja, wir haben gequatscht, und er meinte auch, dass er da vielleicht ein bisschen den Falschen erwischt hat. Deutsche Musiker reden nicht gerne darüber, aber ich kenne keinen, der seine Songs nicht auch mit anderen zusammen schreibt. Das scheint ein Tabu zu sein. Aber wenn an einer Nummer von Beyoncé 16 Leute mitkomponieren, dann stört das keinen.

Politische Themen kommen in Ihren Songs nicht vor. Halten Sie die Politik bewusst raus?
Also, wenn mir was extrem Cooles einfallen würde, dann würde ich das auch machen. Ich habe natürlich eine Haltung, bloß sehe ich die nicht so in meiner Musik. Wenn ich jetzt einen politischen Song aufnehmen würde, nur, weil das gerade alle machen und man mehr oder weniger dazu genötigt wird, dann gäbe es doch nur wieder einen Shitstorm. Und ehrlich: Ich würde mir ein solches Lied selbst nicht abnehmen. Kann aber sein, dass ich in einigen Jahren anders darüber denke.

Was ist denn Ihre Haltung?
Ich finde Toleranz sehr wichtig und hasse es, wenn Menschen ausgegrenzt werden. Aber wer braucht es denn gerade wirklich, dass ihn auch noch ein Max Giesinger mit politischen Inhalten zuballert? Das macht einen doch nur kirre. Es ist doch auch mal ganz schön, nicht mit Politik behelligt zu werden.

Sie zählen in „Die Reise“ eine ganze Menge von Freunden auf und sagen grob, was aus ihnen geworden ist. Wissen die allesamt Bescheid?
Etwa die Hälfte weiß es, und die andere Hälfte wird es nun wohl erfahren. Diese Gedanken wie „Was ist eigentlich aus Susanne geworden?“ beschäftigen einen halt in unserem Alter, Ed Sheeran hat das ja in „Castle On The Hill“ ähnlich umgesetzt.

Max Giesinger auf Tour

Der Sänger gibt unter dem Motto „Die Reise“ Open-Air-Konzerte und gastiert am 5. Juli um 19.30 Uhr auf Schloss Pürkelgut in Regensburg und am 2. August um 18.30 Uhr im Strandbad in Spalt-Enderndorf. Karten gibt es bei uns.