Herr Raabe, der Titel Ihres neuen Konzertprogramms mit dem Palast Orchester lautet „Das hat mir noch gefehlt“. Worauf ist dieser Satz gemünzt?
Wir haben dieses Lied vor zehn, zwölf Jahren schon einmal gespielt in unserer Revue. Als wir dann für dieses Programm Titel gesucht haben, kam uns die Idee, einfach mal die Leute zu fragen, die immer in unsere Konzerte gehen. Dazu haben wir alle 600 aufführbereiten Titel von uns ins Netz gestellt.

Bringen Sie auch neue Lieder mit?
Für dieses Programm nicht. Ich bin gerade dabei, mit Annette Humpe und anderen zu schreiben. Die Platte wird voraussichtlich Ende dieses Jahres oder Anfang nächsten Jahres rauskommen. Annette Humpe sagte mir, sie wolle kein ganzes Album mehr produzieren. Sie meint, wir hätten über alles, was uns so beschäftigt, schon geschrieben. Trotzdem sind uns schon wieder ein paar Ideen gekommen. Dank der beiden Platten mit Annette Humpe hat unser Publikum sich deutlich verjüngt. Die jungen Leute können jetzt nachvollziehen, was ich an den 20er Jahren so spannend finde. Die neueren Lieder sind eine Fortentwicklung in der Geschichte, die da erzählt wird. Getragen nicht von einem 4/4-Takt, sondern von gemäßigt poppigen Beats.

Sie sagten einmal, ohne Annette Humpe könnten Sie nicht mehr schreiben. Haben Sie es seitdem mal wieder alleine probiert?
Ich habe auch schon mal etwas alleine probiert, aber das kippt sofort in die 30er Jahre, ob ich will oder nicht. Mir macht es inzwischen viel mehr Spaß, mit anderen Leuten zu arbeiten und sich den Ball gegenseitig zuzuwerfen. Mit Leuten, die einen Song von mir auffangen und gut finden, den ich selbst sofort beiseitelegen würde, weil ich nicht an ihn glaube. Andere Leute treiben mich an und schubsen mich in eine Richtung, auf die ich alleine nicht gekommen wäre.

Und wer sind diese anderen?
Davon möchten wir jetzt noch nichts erzählen. Das sind Menschen, die in Berlin Musik machen aus dem Umfeld von Annette Humpe. Vielleicht wird man bei dem einen oder anderen Namen überrascht sein. Mit der Zeit haben sie gemerkt, dass es bei mir mit „Attacke“ nicht getan ist, sondern ich mag es dezenter. Ich lasse mich gern auf die Leute ein, mit denen ich zusammenarbeite. Es wäre dumm, wenn man sich eine Chance verbaute. Bei Annette Humpe dachte ich anfangs, ich bin doch nicht Udo Lindenberg, ich kann das nicht so oder so singen. Sie wiederum dachte, sie lässt sich total auf mich ein und ich hatte das Gefühl, ich versuche etwas zu sein, was ich nicht bin. Durch diese Rangelei entstand etwas ganz Neues. Ich tue nicht so, als wäre ich ein Popkünstler, auch wenn die Beats und Begleitungen poppiger klingen.

Wie groß ist die Gefahr, sich zu wiederholen, wenn man seit über 20 Jahren im Musikgeschäft tätig ist?
Ich glaube, man wiederholt sich nicht. Man holt ja auch eine Platte raus, die man vielleicht vor zehn Jahren das letzte Mal gehört hat, weil man sie unbedingt mal wieder auflegen will. Mit zeitlichem Abstand hört man die Musik anders. Immer wenn ich aus dem Ausland zurückkomme, merke ich, dass ich meine Moderationen und Texte auf eine andere Art wahrnehme. Wenn ich Englisch rede in Amerika, freue ich mich über Lacher an den richtigen Stellen. Aber es ist nicht selbstverständlich. Darum wird es für mich nie langweilig.

Versuchen Sie, sich von Trends fernzuhalten?
Trends sind mir egal. Wenn es aber ums Texteschreiben geht, will ich nicht mit Fachbegriffen jonglieren, von denen ich keine Ahnung habe. Die Texte sind nie autobiografisch, aber so, dass man nachvollziehen kann, dass ich es so sage oder formuliere. Ich will nicht jemand anders sein als ich in Wirklichkeit bin.

Wollen Sie mit Ihren Liedern auch Zustände in unserer Gesellschaft zum Ausdruck bringen?
Das habe ich noch nie gemacht. Es wäre auch gar nicht meine Aufgabe, ich bin ja kein Liedermacher, der versucht, den Leuten die Welt zu erklären. Ich erzähle ihnen meine Empfindungen über die Liebe oder irgendeine komische Geschichte. Eine eigentlich politische Aussage hat es auch in den 20er und 30er Jahren bei diesem Repertoire nicht gegeben. Ich versuche eher, einen ironischen oder merkwürdigen Blick auf eine Situation zu werfen, aber nicht gesellschaftliche Missstände aufzuzeigen.

Als Sie hörten, wer der neue US-Präsident wird, konnten Sie da Ihre berühmte Contenance noch wahren?
Ich habe die Hände überm Kopf zusammengeschlagen wie viele im Land. Ich bin ratlos. Wir fahren im April hin und gucken mal, was das mit den Leuten vor Ort gemacht hat. Aber vielleicht wird es ja nicht so schräg wie wir befürchten.

Lebt man als Künstler in einer Blase?
Wie soll das gehen? Wir werden ja nicht in schwarzen Limousinen vom Hotel zur Halle gefahren. Wir laufen rum und gehen irgendwo Kaffee trinken oder frühstücken. Da kriegt man schon mit, wie die Leute so ticken.

Das heißt, Sie werden auf jeden Fall weiter in den USA touren?
Ja, es sei denn, es werden ausländischen Künstlern künstlich Riegel vorgeschoben. Das kann ja passieren. Berlusconi zum Beispiel hatte während seiner Amtszeit die Mittel für Theater immer weiter gestrichen, so dass irgendwann kein Personal mehr da war und wir 2010 aufgehört haben, nach Italien zu fahren. Äußere Umstände können unser Tourneeverhalten natürlich beeinflussen. Wir brauchen für die USA Arbeitsvisa, und das ist sehr aufwändig. Und wenn das noch komplizierter würde, wäre es für uns eine Überlegung wert. Vielleicht sagt die neue US-Regierung ja, wir haben genug amerikanische Musiker, warum sollen wir da noch welche aus Europa einladen?

Wo haben Sie den größten Kulturschock erlebt?
In China. Weil dort immer eine wahnsinnige Unruhe herrscht. Kinder laufen vorne herum oder gucken mit ihren Mandelaugen über die Bühne, um dann wieder wegzulaufen. Die Stimmung ist dort sehr euphorisch, fast wie in einem Bierzelt. Die Besucher bringen Spruchbanner in roten Farben mit chinesischen Schriftzügen mit und man denkt unweigerlich an die Kommunistische Partei. Aber in Wirklichkeit steht da „Willkommen Max Raabe aus Berlin!“ Und sie stellen einem Blumensträuße auf die Bühne. Und zwar in solchen Mengen, dass man irgendwann überhaupt keine Musiker und keinen Sänger mehr sieht. Für die Zugabe muss man dann das Grünzeug zur Seite schieben.

Zurück zur Musik: Versuchen Sie, Ihren Stil immer mehr auf den Punkt zu bringen?
Ich merke, dass ich in Bewegung bin. Ich habe zuhause seit zwei Jahren Zugang zum Internet, und manchmal stoße ich auf meine eigenen älteren Titel im Computer. Und dann höre ich, dass ich früher immer versucht habe, die 20er Jahre in der Stimmfärbung zu imitieren. Das geht mir heute ein bisschen auf die Nerven. Bei den neueren CDs und auch der Soloscheibe mit Christoph Israel habe ich viel erzählerischer gesungen. So wie ein Cello die Melodie führt. Es wird immer reduzierter und immer deutlicher in der Artikulation. Einfacher und dadurch stärker.

Suchen Sie heute gezielt nach Songmaterial, dass Ihnen dabei hilft, Ihre Stimme immer weiter zu entwickeln?
Nein, nein, nein. Das Wichtigste ist, der Text und die Melodie müssen toll und es muss eine Geschichte sein. Dem ordne ich mich stets unter. Erst dann gucke ich, wie ich das Ganze anlege.

Entdecken Sie in den Archiven noch viel brauchbares Material aus der Goldenen Ära?
Früher sind wir immer in die Archive der Musikverlage gegangen. Das machen wir im Ausland manchmal noch so, aber im Großen und Ganzen bekommen wir heute viele Hinweise von Sammlern. Oder wir werden im Netz fündig. Das schreiben wir dann Note für Note ab und so wächst unser Repertoire stetig an.

Ihre Lieder sind meist sehr humorvoll. Hat Ihre Musik auch eine abgründige, dunkle Seite?
In den Liedern geht es oft um Beziehungschaos oder Fremdgehen. Eine dunkle Seite würde ich aber nicht sagen. Es ist eher ein sehr laxer Umgang mit Treue und Liebe. In den Liedern ist man immer beleidigt, wenn man verlassen wird, aber vorher wird oft gesungen, dass man auch nichts hat anbrennen lassen. Das sind menschliche Regungen und keine Abgründe.

Wird das Leben interessanter je älter man wird, weil man seine innere Stimme immer besser kennt?
Ich fand das Leben schon immer interessant, ehrlich gesagt. Kann sein, dass ich mich an einem Winterabend mit sechs Jahren mal gelangweilt habe. Aber eigentlich habe ich, seit ich denken kann, noch nie einen Moment der Langeweile und des Überdrusses empfunden. Ich kenne auch Momente der Melancholie, aber nie der Langeweile. Unglücklicherweise leben wir jetzt auch in einer sehr spannenden Zeit.

Geht es in Ihrem Leben ausschließlich um Musik oder haben Sie auch Hobbies?
Sie meinen Freizeitsport? Solche Hobbies habe ich nicht. Ich fahre Fahrrad, ich schwimme, aber das mache ich nicht mit sportlichem Ehrgeiz. Die Musik wäre mein Hobby, wenn ich einen ordentlichen Beruf hätte.

Nun besteht das Leben nicht nur aus Kunst. Man muss sich auch um profane Dinge wie den Haushalt kümmern. Sind Sie gut darin?
Ich glaube, man kann mich eher im Wald aussetzen als im Internet. Ich bin nicht altmodisch, was technische Entwicklungen betrifft. Mir ist das einfach nicht wichtig genug. Ich warte darauf, dass mein Röhren-TV-Gerät sich verabschiedet, damit ich mal einen von diesen schickeren Flachbildschirmen habe. Mir gefallen die einfach besser als diese klumpigen Kisten. Wenn meine mal kaputt ist, dauert es wahrscheinlich ein halbes Jahr, bis ich einen neuen Fernseher überhaupt ankriege. Abgesehen davon, dass ich eigentlich so gut wie gar nicht fernsehe.

Ist das gute alte Vinyl demzufolge Ihr Lieblingsformat?
Nein, da bin ich dann schon bei der Kassette! (lacht) Wenn ich zuhause Musik höre, sind das meist Stücke, wo nur zwei oder vier Instrumente mitspielen. Kammermusik höre ich sehr gern. Und natürlich die Originalaufnahmen, wenn ich etwas Neues entdecke. Aber zuhause läuft bei mir ganz wenig Musik, eigentlich nur, um zu arbeiten.

Wie unterscheidet sich Ihr Bühnenklang von dem auf CD?
Bei unseren poppigen Geschichten ist die Rhythmusgruppe quantisiert. Aber wir klingen bei Stromausfall genauso wie mit Elektrizität. Da sind wir dann tatsächlich akustische Musiker. Bei den CDs bedienen wir uns technischer Neuerungen, weil es vieles einfacher macht und erst dadurch der nötige Groove zustande kommt.

Freuen Sie sich schon auf Ihren Auftritt in der Elbphilharmonie?
Die Anfrage bekamen wir schon vor Jahren, die Eröffnung der Elbphilharmonie wurde ja immer wieder verschoben. Und jetzt gehen wir da wirklich hin und alle reden drüber. Das ist schon spannend. Ich bin sehr neugierig auf die Akustik.

Welcher Saal hat weltweit die beste Akustik?
Ich möchte hier kein Namedropping machen. Berühmte Säle tragen ihren großen Namen oft zu Recht. Mir würden eher Säle einfallen, die miserabel klingen, aber wir gehen da nie dahin. Uns zwingt ja keiner. Fantastisch ist für uns in Berlin der Admiralspalast. Das ist wie Eier auf Becher.

Wie viele Konzertsäle haben Sie schon gesehen?
Ich war mal in einer Garderobe, wo die berühmtesten Säle auf Fotografien nebeneinander hingen. Da war ich tatsächlich überall schon drin. Das war mir bis dahin gar nicht so klar.

Heutzutage werden Konzerte über den Bildschirm eines in die Höhe gereckten Smartphones im Videomodus verfolgt. Wie gehen Sie damit um?
Wir möchten eigentlich gar nicht, dass die Leute unsere Konzerte mitschneiden. Ich selber würde es bei anderen auch nicht machen. Andererseits entdecke ich manchmal Aufnahmen von Konzerten aus London zum Beispiel, die ich schon fast vergessen hatte. Das finde ich interessant. Heutzutage laufen Leute ja sogar filmend durch Wien oder Berlin. Dann denke ich immer: „Ihr wart ja gar nicht wirklich in Berlin!“

Max Raabe auf Tour
Mit dem Palast-Orchester und dem Programm „Das hat mir noch gefehlt“ tritt Max Raabe am 17. November um 20 Uhr in der Meistersingerhalle in Nürnberg auf. Karten gibt es bei uns.