Veranstaltungstipps Melissa Etheridge: "Ich liebe Amerika"

Das Gespräch führte Olaf Neumann
 Foto: Veranstalter

Melissa Etheridge ist seit den 1980er Jahren als Rockröhre bekannt. Und außerdem als Ikone der Homosexuellenbewegung. Die Grammy- und Oscar-Preisträgerin geht auf Tour.

 
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Im Sommer gehen Sie mit „The Medicine Show“ auf Tournee. Wollten Sie mit der Platte an Ihre größten Erfolge anknüpfen?
Mein letztes Album war „Memphis Rock and Soul“. Darauf habe ich Songs von Otis Redding, Mavis Staples und Sam & Dave gecovert. Also eine eher untypische Platte für mich, weil sie keine persönlichen Songs enthielt. Als es dann Zeit für ein neues Album wurde, fing ich an, Inspirationen zu sammeln. Und 2017 machten wir im Homestudio meines Bassisten und in den Concord-Records-Studios in LA erste Demos. Die eigentlichen Aufnahmen machte ich 2018 mit meinem Produzenten John Shanks.

Die Songs drehen sich um Gesundheit, um Wohlbefinden, um Cannabis, um einen Paradigmenwechsel. Ein Konzeptalbum?
Könnte durchaus sein, ja. Gesundheit ist mir sehr wichtig. Es ist ein großes Thema in meinem Leben. Ich interessiere mich für alternative Heilmethoden und Pflanzenmedizin. Ich bin glücklich verheiratet und immer noch sehr verliebt. Ich kann keine Beziehungssongs mehr schreiben. In meinem Alter wird das Thema Gesundheit immer wichtiger. Aber auch die Liebe und die kleine Welt um mich herum bedeuten mir sehr viel.

Seit 2016 ist der Konsum von Cannabis in Kaliforneien legal. Bauen Sie Ihr eigenes Marihuana an?
Das habe ich vor ein paar Jahren tatsächlich getan, inzwischen schwöre ich auf meine eigene Marke. Sie heißt Etheridge Farms und stellt medizinische Produkte für Patienten in Kalifornien her.

Der Song „Faded By Design“ ist eine Ode an Cannabis. Ziehen Sie gerne einen durch?
Es gibt viele Songs übers Highsein. Ich aber habe einen Song gemacht über Cannabis als Heilpflanze. Sie kann sehr nützlich sein, wenn man zum Beispiel ein stressiges Leben führt. Es gibt in den USA immer mehr Mediziner, die ihren Patienten Cannabis verschreiben, weil diese Heilpflanze inzwischen sehr gut erforscht ist.

Was ist der Unterschied zwischen Cannabis und Opioiden?
Der Unterschied ist immens. Cannabis kann Menschen wirklich helfen, ohne dass es sie abhängig macht. Beim regelmäßigen Konsum von Opioiden kann sich hingegen rasch eine körperliche und physische Abhängigkeit entwickeln. Der Konsum von Cannabis kann zur Gewohnheit werden, klar, aber nach einem Joint ist man ganz sicher nicht abhängig. Ich bin wahrscheinlich eine Gewohnheitsraucherin. In jedem menschlichen Körper befinden sich endocannabinoide Botenstoffe, die positiv auf Cannabis reagieren. Sie schützen den Körper vor übermäßigem Stress. Möglicherweise hilft Cannabis auch Abhängigen, von Opioiden loszukommen.

Ist Cannabis eine Kreativdroge?
Oh ja. Jeden Tag. Cannabis öffnet das Gehirn für neue Gedanken und stellt gleichzeitig den inneren Kritiker ruhig. Es hilft mir definitiv, kreativ zu sein.

Als weltweit erfolgreiche Künstlerin sind Sie sicher sehr rastlos. Reicht Cannabis allein aus, um den Stress aus Ihrem Leben zu nehmen?
Stress ist wahrscheinlich das wichtigste Thema im Leben. Man kann sich noch so gut ernähren, aber wenn man gestresst ist, gerät das ganze System durcheinander. Deshalb achte ich sehr darauf, dass ich mir möglichst keine Sorgen mache, indem ich meinen Verstand kontrolliere. Denn Sorgen und belastende Gedanken wird man so schnell nicht wieder los. Das nennt man „Mindfulness“. Dabei huldigt man dem Moment in größter Aufmerksamkeit auf Gedanken, Gefühle, Körper und Umgebung. Zudem setze ich Prioritäten, was mein Beruf und mein Privatleben angeht.

„Here Comes The Pain“ dreht sich um den Missbrauch von Opioiden in Nordamerika. Wie groß ist das Problem?
Es ist ein riesiges Problem in Amerika. Opioide können in kurzer Zeit Leben zerstören. Es ist eine Droge, die bewusst abhängig machen soll. Das ist wirklich kriminell. Und sehr traurig.

Was tut Trump gegen die Opioidkrise in den USA?
Trump tut gar nichts. Alles nur Worte und keine Taten.

Der Song „Shaking“ handelt von der Fassungslosigkeit nach der letzten Präsidentschaftswahl. Wie fühlen Sie sich heute, zweieinhalb Jahre später?
Es gibt immer noch Momente, in denen ich denke: „Oh mein Gott, wie konnte das nur passieren?“ Ich bin aber auch dankbar, dass es in meinem Land noch so viele Menschen gibt, die sich für die Demokratie und die Ideale Amerikas stark machen. Wir sind ein Land von Immigranten. Es gibt nur Einheit in der Verschiedenheit. Trumps Zerstörungswut hat dazu geführt, dass die Vernünftigen heute wieder im Vordergrund stehen. Und das ist auch gut so.

Leben wir trotz oder gerade wegen Trump in inpirierenden Zeiten?
Ja, ja, ja, definitiv. Jeder Künstler ist von dieser Entwicklung betroffen. Die Aufgabe des Künstlers ist, die Verhältnisse zu reflektieren und die Menschen zu inspirieren und aufzumuntern. An der Musik, die gerade en vogue ist, kann man erkennen, in welchen Zeiten man lebt.

Sind Sie schon einmal gefragt worden, ob Sie nicht Lust hätten, für ein politisches Amt zu kandidieren?
Oh nein! Ich bin aber bei den Demokraten registriert und sammle für sie Spenden. Eigentlich wollte ich mich nie politisch engagieren, ich wollte immer nur Musik machen und andere inspirieren. Aber ich bin trotzdem ein politischer Mensch geworden.

Der Schluss-Song Ihres Albums – „Last Hello“ – verneigt sich vor den Überlebenden des Schulmassakers von Parkland. Glauben Sie, dass es unter einem weiblichen Präsidenten weniger Gewalt in den USA gäbe?
Ja. Das Waffengesetz steht ganz oben auf der Agenda aller Präsidentschaftsbewerber. Und überhaupt ist der erste Instinkt einer Frau Kooperation und nicht Konkurrenz. Wir Frauen wissen, dass Kooperation das Beste für alle ist.

Wie verhält es sich mit dem Songschreiben, wenn man älter wird?

Das Songschreiben ist für mich auch nach 35 Jahren noch ein Mysterium, weil dabei etwas aus dem Nichts entsteht. Es ist wirklich keine leichte Aufgabe, aber ich habe heute mehr Zutrauen in meine eigenen Fähigkeiten als früher, weil ich in meinem Leben schon so viel geschrieben habe. Ich habe trotzdem keine Ahnung, welche Methode zu den besten Ergebnissen führt. Meine Erfahrung ist, dass die besten Songs immer ganz schnell zu einem kommen. Diese Songs haben etwas Wahrhaftiges.

Wie lange haben Sie an dem Album gearbeitet?
Etwa ein Jahr. Ich habe mich nicht beeilt, ich habe es einfach passieren lassen. Idealerweise schreibe ich Songs allein in einem Raum mit etwas zu Essen und zu Trinken. Und einer Gitarre. Mehr braucht es nicht. (lacht)

Wie lautet Ihre Philosophie als Künstler?
Ich bin nicht gegen irgendwen oder irgendwas, sondern für neue Gedanken, für Cannabis, für Gesundheit.

Befindet Amerika sich an einem Wendepunkt?
Oja. Wir haben gerade eine wichtige Lektion gelernt: nämlich die, dass es nicht selbstverständlich ist, dass die Guten gewinnen. Es ist echt gruselig, dass jemand wie Trump so weit kommen und Chaos verbreiten konnte. Das Gute daran ist, dass wir Amerikaner jetzt wieder gewissenhafter sind, was unsere Demokratie betrifft. Immer mehr Menschen definieren Amerika wieder als eine Einwanderernation, als einen Ort des Gesetzes, der Freiheit und Unabhängigkeit. Das sind alles Dinge, an denen man unbedingt festhalten sollte.

Würden Sie sich als Patriotin bezeichnen?
Oh yeah, ich liebe Amerika! Die Ideale unserer Vorfahren sind mir extrem wichtig.

Wie hart arbeiten Sie?
Ich liebe meine Arbeit, aber ich bin kein Workaholic. Ich bin gerne erfolgreich, dafür tue ich alles. Ich will Dinge verändern, ja.

Was ist produktiv? Angst? Wut?
Wut kann durchaus etwas verändern, aber sie ist nicht mein Antrieb. Das wäre ungesund. Mich treiben Gefühle wie Hoffnung, Schmerz oder Angst um. Ich mag es aber nicht, mich darin zu suhlen. Ich will diese Gefühle hinter mich bringen.

Kann ein Song wirklich etwas bewirken?
Absolut. Ein Song kann einen Menschen dazu inspirieren, etwas zu verändern.

Welches ist Ihr wichtigster Song?
2006 habe ich einen Song für den Dokumentarfilm „Eine unbequeme Wahrheit“ über Al Gores Aufklärungskampagne zum Klimawandel geschrieben. Er heißt „I Need To Wake Up“. Das Thema ist seitdem omnipräsent. Aber eigentlich sind mir alle meine Songs wichtig.

Warum gibt es so viele Klimawandelleugner?
Ich glaube, die meisten Leugner des Klimawandels sind schlicht und einfach schlecht informiert. Das christliche Dogma lautet, dass dem Menschen die Kontrolle über die Erde gegeben wurde. Das funktioniert aber nicht. Es ist schwierig, Menschen in Nordamerika oder Mitteleuropa zu vermitteln, was es bedeutet, dass die Polkappen schmelzen. Sie bekommen davon ja gar nichts mit, weshalb sie sich darüber auch keine Sorgen machen. Hätte die globale Erwärmung aber eine regionale Auswirkung, würden sie etwas tun.

Warum wollten Sie Rockmusikerin werden? Ging es Ihnen darum, reich und berühmt zu werden?
Ich bin in den 1960er und 1970er Jahren mit den Beatles, Led Zepellin, Rolling Stons, Janis Joplin und Bruce Springsteen aufgewachsen. Ich liebte alle Arten von Musik, und dann fing ich selbst an, in Bands zu spielen. Ich liebe es bis heute, auf dieser Straße zu wandeln. Keine Ahnung, warum.

Sind Sie bis heute Fan geblieben?
Und wie! Ich liebe es, wenn ein Song mich berührt. Es gibt kein schöneres Gefühl. Oh yeah!

Haben Sie Ihre größten Idole im Lauf Ihres Lebens persönlich getroffen?
Die meisten ja. Am nachhaltigsten beeindruckt haben mich Bruce Springsteen, Stevie Wonder und Aretha Franklin. Diese Stimme! So beseelt! Eine ganz wichtige Künstlerin.

Wie halten Sie Ihre Stimme frisch?
Ich trinke viel Wasser und esse nach 20 Uhr nichts mehr. Meine Stimme hat ganz viel mit meinem Magen zu tun. Wenn der gesund ist, klingt auch meine Stimme gut. Ich rauche zwar Cannabis, aber ohne Tabak. Das schadet nicht. Ich bin definitiv nicht leiser geworden. Kritiker sagen sogar, dass meine Stimme immer besser klingt.

Was ist das Wichtigste an der Musik?
Sie mit anderen zu teilen. Wenn Musik wahrhaftig ist, dann umgeht sie unser Gehirn und zielt direkt in unser Herz. Musik bietet die Chance, dass tausende zusammenkommen und gemeinsame Erfahrungen machen. Das ist sehr menschlich.

Was mögen Sie am Live-Spielen?
Es gibt für mich nichts Schöneres, als zwei Stunden mit Menschen in einem Raum zu sein, denen meine Musik etwas bedeutet und die Teil ihres Lebens ist. Dieser Energieaustausch in einem fremden Land und in einer fremden Sprache inspiriert und schüttelt mich durch.

Wovon träumen Sie?
Ich träume davon, dass „The Medicine Show“ ein großer Erfolg wird. Nicht, weil ich damit viel Geld verdienen will, sondern weil ich diese Songs mit so vielen Menschen wie möglich teilen möchte. Es wäre wunderbar, wenn die Platte einen Hit wie „Bring Me Some Water“ abwerfen würde.

Melissa Etheridge auf Tour

Die Rocksängerin geht 2020 mit ihrem neuen Album „The Medicine Show“ auf gleichnamige Deutschland-Tour und gastiert am 29. Juni um 20 Uhr in der Meistersingerhalle in Nürnberg. Karten gibt es im Ticketshop unserer Zeitung.