Veranstaltungstipps Michael Bublé: "Wir haben die Hölle erlebt"

Das Gespräch führte Steffen Rüth
 Foto: Evaan Kheraj

Leberkrebs-Diagnose beim eigenen Sohn: Michael Bublé hat harte Zeiten hinter sich. Jetzt meldet er sich mit dem neuen Album „Love“ zurück.

 
Schließen

Diesen Artikel teilen

Sie haben Ihr neues Album „Love“ genannt. Warum?
Ich habe mich schwergetan mit dem Titel. Wir haben eine schreckliche Zeit hinter uns, und wenn das Schlimmste vorbei ist, spürst du, wie langsam deine alte Persönlichkeit wieder zu Vorschein tritt. Irgendwann bekam ich wieder ein Gefühl dafür, wer ich bin, was mir meine Arbeit bedeutet, wie sehr ich doch an diesem ganzen Leben hier hänge. Und mitten in all diesen Überlegungen sagte mir jemand, dass „Love“ einfach der allumfassende, passgenaue Begriff für meine Gefühle sei.

Ist „Love“ ein Konzeptalbum?
Ja. Dieses Wort ist magisch, es hat so unendlich viele Bedeutungen. Die Liebe ist nicht immer romantisch, sie kann auch verletzend, gewalttätig und hasserfüllt sein, von Eifersucht geprägt, tragisch. Über „When I Fall In Love“ sagen alle, „Was für ein romantischer Song.“ Ja, ist es, aber zugleich ist das ein sehr einsamer Song. Ein Song, in dem ich als Erzähler nach sechs Drinks in der Bar hocke und davon träume, die Frau zu finden, die ich lieben kann. In „I Only Have Eyes For You“ dagegen dreht sich alles um die körperliche Anziehungskraft am Beginn einer Beziehung. Du bist so auf diesen anderen Menschen fixiert, dass du außer seiner oder ihrer Schönheit rein gar nichts mehr wahrnimmst. Das ist ein tolles Gefühl, aber wir wissen, es ist nie von Dauer.

Die Arrangements der neuen Songs sind teils recht mächtig und überwältigend, auch orchestraler als man es zuletzt von deiner Musik gewohnt war.
Ich hatte für jeden Song ein cineastisches Konzept im Kopf, ich wollte, dass die Lieder groß klingen. Bei „La Vie En Rose“ läuft bei mir ein Film ab, der viel zu hat mit meiner Frau und mir. Luisana ist Argentinierin, ich bin Kanadier durch und durch, und am Ende des Songs ist das Paar assimiliert, so wie auch wir viel von der Kultur des jeweils anderen angenommen haben. In „Such A Night“ hatte ich die geilste, heißeste Nacht des Lebens im Sinn, ein Erlebnis, von dem du für den Rest deines Lebens zehren wirst. Und „My Funny Valentine“ fasst für mich so ziemlich alles zusammen, was Liebe heißt – von der romantischen Besessenheit, dem Willen, ewig gemeinsam durchs Leben zu gehen bis hin zu wirklich üblen Verletzungen und Beleidigungen, fasst Hass – das alles steckt in diesem Song.

Ist „Love“ ihr bislang reifstes und erwachsenstes Album?
Nach allem, was ich durchgemacht habe – ja, ganz klar. Wie könnte es überhaupt anders sein? Ich habe alle meine Ängste, meinen Schmerz und meine Dankbarkeit genommen, geschrieben, arrangiert, bin einfach dorthin zurückgegangen, wo ich mich über all die Jahre am Sichersten fühlte. Ich bin so stolz auf „Love“, ich meine, ich habe nie besser gesungen, und ich bin als Künstler nun komplett.

Inwiefern komplett?
Ich bin fähig, in diese geschundenen Charaktere innerhalb der Songs hineinzuwandern und ihre Emotionen zu verstehen. Ich hatte früher so viel Freude, so viel Glück in meinem Leben, doch jetzt habe ich Zugang bekommen zu einem Ausmaß von Schmerz und Verzweiflung, welches ich nie auch nur annähernd gekannt hätte. Aber ich würde mir so sehr wünschen, dass „Love“ ein Scheißalbum wäre und die vergangenen zwei Jahre nie passiert wären. Ich würde alles geben, um diese Erlebnisse rückgängig zu machen. Ich kann das nicht so richtig gut erklären, ich habe Schwierigkeiten, über all dies zu sprechen.

Sie müssen nicht.
Was würde ich mir wünschen, wieder so leichtherzig und unbeschwert zu sein wie früher. Aber so werde ich nie wieder sein. Nie wieder. Und das ist in Ordnung, weil Mensch sein eben nicht nur „alles super“ bedeutet. Sondern auch das glatte Gegenteil davon sein kann.

Sie haben nach der Krebsdiagnose Ihres Sohnes die Karriere auf unbestimmte Zeit unterbrochen, Ihre Frau, die Schauspielerin Luisana Lopilato, ebenfalls. Wie haben Ihre Erfahrungen Ihren Blick auf Michael Bublé, den Sänger und Superstar, verändert?
Das Verrückte ist: Mir ging es schon vorher nicht gut. Als ich vor gut zwei Jahren mein Album „Nobody But Me“ rausbrachte, war die ganze Lust, die Freude am Singen und Michael-Bublé-sein verschwunden. Die Lockerheit war weg, ich hatte null Spaß, wurde immer verbissener.

Weswegen?
Ich hatte Angst, dass mir die Karriere davonflutscht. Dass es abwärts geht. Meine künstlerischen Entscheidungen fußten auf Furcht, nicht auf Lässigkeit und Selbstvertrauen. Ich dachte, Mist, ich bin nicht mehr so angesagt, was ist, wenn ich immer weniger Alben verkaufe, wollen die Leute mich noch sehen, all sowas. Und ich las wie ein Irrer die Kritiken im Internet, ich nahm auf einmal total wichtig, was alle anderen dachten. Im Nachhinein bin ich überzeugt, dass ich auf dem Weg war in Richtung Burn Out und Zusammenbruch. Und dann kam Noahs Diagnose.

Plötzlich hatten Sie mit zwei lebensverändernden Krisen zu tun?
Nein. In dem Augenblick, als ich von Luisana erfuhr, dass unser Großer Krebs hat, wurde ich in eine andere Dimension geschleudert. Meine eigene Krise platzte wie eine Seifenblase. Mit absoluter Klarheit dachte ich „Worüber machst du dir eigentlich Sorgen, du Arschloch?“ Darüber, was die Leute im Internet schreiben? Wie viele Konzerttickets du pro Tag verkaufst? Ob du auf Platz Zwei oder auf Platz Vier in den Charts stehst? Ich saß auf diesem Krankenhausflur in Los Angeles, und ich schämte mich. Ich entschied, niemals wieder die sozialen Medien zu nutzen, nichts zu schreiben und nichts zu lesen. Ich kann mich noch genau an den Tag erinnern, Halloween 2016.

In „Forever Now“, das Sie selbst geschrieben haben, singen Sie „I’m Always Gonna Lift You Up“. Wer hat Ihnen selbst durch die schreckliche Zeit geholfen?
Ihr alle. Die Menschen. Wir haben so unfassbar viel Liebe und Mitgefühl bekommen, von überall her auf der Welt. Die Weise, wie man meine Familie behandelt hat, gab mir den Glauben an die Menschheit zurück. Meine Frau und ich, wir wussten, da draußen beten die Menschen für uns, für Noah, da war überall so viel Zuneigung, so viel Herzlichkeit, Mann. Ich hatte aufgehört, Zeitungen zu lesen, aber manchmal musste ich halt raus, einkaufen gehen, in den Supermarkt. Und dann habe ich halt doch mal reingeschaut und sah, mit wieviel Würde uns die Medien behandelten. Also: Ihr alle habt uns durch diese Zeit geholfen und ward für uns wichtiger, als ihr vielleicht glaubt. Und „Love“, dieses Album, ist auch so ein wenig mein Dankeschön an alle. Ich wollte ein wirklich schönes und friedliches Album in eine Welt bringen, die ja auch ganz allgemein durch schwere Zeiten geht.

Sie wollen den Hass mit Liebe besiegen?
Das ist die Idee, ja. Wie sonst? Ich will den Menschen helfen, so wie die Menschen mir geholfen haben. Sie ein bisschen aufbauen, streicheln, das Album sollte glitzern und Helligkeit bringen.

Haben Sie sich Ihren Optimismus während der Behandlung Ihres Sohnes bewahren können?
Nein, das habe ich nicht. Nein. Wir haben die Hölle erlebt. Dein Leben verändert sich unwiderruflich, wenn du mit deiner eigenen Sterblichkeit oder der Sterblichkeit eines Menschen konfrontiert wirst, den du über alles auf der Welt liebst. Meine Familie bedeutet mir alles, diese Angst aushalten zu müssen, es zerreißt dich. Ich bin nicht mehr derselbe Mensch, und das ist okay so.

Haben Sie „Forever Now“ für Ihre Frau geschrieben?
Ja. Aber der Song geht über uns beide hinaus. Schlussendlich ist es ein Lied über die Zeit. Die Zeit, die schon vergangen ist, so schnell und so plötzlich. Die Zeit, die wir noch haben. Unsere Zeit auf Erden ist endlich. Niemand weiß, wann sie für ihn endet. Während wir hier sind, während wir leben, lasst uns die schönste Zeit haben, die wir haben können. Lasst uns einander lieben. Alles andere ist Zeitverschwendung.

Noah hat vor zwei Monaten seinen fünften Geburtstag gefeiert. Was habt ihr unternommen?
Wir hatten sogar zwei Geburtstagspartys. Eine, zwei Wochen vorher, für all seine Verwandten aus Buenos Aires, die für ihn nach Vancouver gekommen waren. Wir sind zusammen in einen Indoor-Trampolin-Park gegangen. Man darf sagen, wir alle hatten großartig viel Spaß. Und an seinem eigentlichen Geburtstag haben wir ein Piratenschiff gemietet und sind damit losgefahren. Wir haben ungefähr 87 Mal das Piratenlied gesungen.

Ende Juli sind Sie zum dritten Mal Vater geworden. Wie geht es Töchterchen Vida?
Sie ist wunderschön. Meine Frau ist so glücklich. Sie ist richtig verliebt. Und ich auch. Unser kleines Babymädchen. Ihren Name Vida (das Leben) haben wir sehr bewusst ausgesucht. Sie ist unser Wunder. Dass aus so einer furchtbaren Zeit so etwas Schönes wie unsere Tochter entstehen kann, puh. Luisana und ich, wir sind uns sehr darüber im Klaren, das alles auch hätte anders ausgehen können für uns. Irgendwer sagte uns, 92 Prozent aller Paare würden sich in einer solchen Situation trennen. Weil es alles zu viel für sie ist, weil sie es nicht schaffen, ihre Liebe füreinander zu erhalten. Mann, wir haben offenbar Schwein gehabt, dass wir uns nicht scheiden ließen.

Nicht nur das.
Ja, und ein Baby. Unser Onkologe meinte mal zu uns: Passt auf, entweder ihr trennt euch, oder ihr bekommt bald ein Baby. Ich weiß noch, wir beiden schauten ihn damals an und meinten nur „Ja ja, ganz bestimmt“.

Seid ihr euch als Paar noch nähergekommen?
Ja, aber auch anders näher. Ich habe meine Frau immer bewundert, doch mehr denn je habe ich mich tief in sie verliebt, nicht nur als Partnerin, auch als Mutter, als Mensch an sich. Luisana hat Übermenschliches geleistet. Dieser Stress, den wir hatten, die Ängste, all die Nächte. Ich darf gar nicht daran denken.

Wer so etwas zusammen durchsteht, der schafft alles.
Mein Lebensplan ist diese Frau, sind diese drei Kinder. Das ist alles. Ich will nie wieder in meinem Leben ein Date mit einem anderen Menschen haben müssen. Nie mehr. Ich habe großes Glück. Ich habe eine phantastische Frau geheiratet.

Sie sind gerade umgezogen in eine Villa in Burnaby, einem Vorort von Vancouver. Angeblich haben Sie sogar ein Eishockeyfeld im Keller.
Angeblich? (holt sein Handy raus, zeigt ein Video, auf dem er mit Kumpels Eishockey spielt) Das ist bei uns im Keller. Ein echter Lebenstraum. Ich hasse das Fitnessstudio. Ich halte mich beim Hockey fit.

Welche väterliche Leidenschaft haben Ihre Jungs geerbt – Sport oder Musik?
Bei Elias sind wir uns noch nicht sicher, und Noah? Der hat gerade seinen ersten Song geschrieben. Im Auto sang er plötzlich los, irgendwas mit „Daddy stinkt“. Und er spielt super gerne Klavier (zeigt noch ein Video, Noah, mit langem Wuschelhaar, am Piano). Das ist mein Junge.

Michael Bublé auf Tour

Der Sänger kommt mit seinem neuen Album nach Deutschland und tritt am 9. November um 20 Uhr in der Arena in Leipzig au sowie am 10. November um 20 Uhr in der Olympiahalle in München. Karten gibt es in unserem Ticketshop.