Wie gehen Sie damit um?
Ich arbeite hart, aber ich gönne mir regelmäßg Auszeiten. Deswegen habe ich einen zweiten Wohnsitz in Los Angeles. Man muss sowas in sein Leben einbauen. Ich will nicht so enden wie mein Vater und mein Großvater. Ich bin ohnehin anders als sie, weil ich bereits mit 18 von Musik besessen war. Ich träumte von einer Karriere als Sänger, aber es passierte lange nichts. Ich war einfach zu verkrampft. Aber es ist ja nur Musik.
Und wie machen Sie es heute?
Wenn ich heute als 37-jähriger Musiker auf eine Bühne gehe, bin ich viel entspannter als früher. Noch vor zehn Jahren habe ich mir vor jedem Auftritt den Kopf darüber zerbrochen, wie ich es schaffe, das Publikum zu begeistern. Inzwischen gelingt es mir, jede einzelne Minute eines Auftritts zu genießen.
In dem Song „Lay Your Worry Down“ heißt es: „Du kämpfst wie der Teufel, aber du lebst kaum noch“. Ist das eine Warnung an Sie selbst?
Ja, ein bisschen schon. Als wir den Song fertig hatten, sprachen Matt Simons und ich über unsere Rolle als Musiker in diesen komplizierten Zeiten. Wir haben eine Verpflichtung gegenüber dem Publikum. Deswegen beschlossen wir, einen Trostlied zu schreiben. Auch wenn ich als einzelner Musiker nichts an den Verhältnissen verändern kann, möchte ich die Menschen daran erinnerm, dass es viele gibt wie mich. Eine schwere Last lässt sich leicht auf viele Schultern verteilen. Hinter „Break The Silence“ steckt eine ähnliche Idee.
Bei „Sing meinen Song“ haben Sie den Protestsong „Weiße Tauben“ von Johannes Oerding gesungen. Warum haben Sie sich ausgerechnt für diesen Song entschieden?
Bei „Weiße Tauben“ hatte ich das Gefühl, der Song könnte auch von mir sein. Ich wollte davon eine Version machen, die den Komponisten mit Stolz erfüllt. Deshalb habe ich ihn ungefähr 100 Mal geprobt, bevor ich ihn den anderen vorspielte. Diese Version ist ja überall zu sehen. Normalerweise würde ich mich nicht so lange mit fremden Songs beschäftigen, aber es war eine sehr interessante Erfahrung. Ich mag Johannes‘ Musik sehr. Wir haben viel gemeinsam: Wir sind beide 1981 geboren, haben jeder sechs Alben gemacht, sind in Kleinstädten aufgewachsen und spielen unheimlich gerne live. Seit Südafrika haben wir den Song ein paar mal im Duett gespielt und seine Botschaft ins Universum geschickt.
Wer oder was hat Sie politisiert?
Ich habe ein Diplom in Politikwissenschaften. Statt Gitarre zu studieren wollte ich damals meinen Blick auf die Gesellschaft schärfen und mich mit bestimmten Themen aus der Geschichte tiefergehend beschäftigen. Ich mochte schon immer Protest- und Politsong. Das ist die schwerste Disziplin für einen Songschreiber. 2011 habe ich einen Titel über die Spannungen zwischen Belgiens Süden und Norden gemacht, er heißt „The Kingdom“. Und auf dieser Platte ist „Loud And Clear“ der politischte Song. Darin beschreibe ich, was ich in den Nachrichten sehe und wie mich das verwirrt.
Wie haben Sie sich auf „Sing meinen Song“ vorbereitet?
Ich wollte mir selbst treu bleiben und die Songs in der Show so singen, wie ich immer singe. Ich wollte zeigen, wie ich wirklich ticke. Ich war sehr überrascht, wie schnell wir uns aneinander gewöhnten. Nach einer Woche hatten wir das Gefühl, uns schon lange zu kennen.
Woran lag das?
Es gab keine Egotrips. Natürlich brauchen wir alle große Egos, um auf eine Bühne gehen zu können. Aber in Südafrika ich habe in keinem einzigen Moment Konkurrenz gespürt. Wir hatten einfach nur Spaß zusammen. Jennifer Haben zum Beispiel ist noch sehr jung und ein bisschen schüchtern. Aber wenn sie ans Mikrofon tritt, spürt man sofort, dass sie dort hingehört. Diese Transformation ist faszinierend. Für mich war es spannend, zu sehen, wie unterschiedlich sich jeder einzelne die Songs der anderen erarbeitete. Sehr inspirierend!
Verbringen Sie eigentlich viel Zeit mit Kollegen?
Nein. In den letzten zwölf Jahren habe ich mich mit keinem einzigen anderen Sänger angefreundet. Als junger Mensch dachte ich immer, Musiker sind alle untereinander befreundet. Die Wahrheit ist, dass man hart arbeitet. Bei Festivals trifft man sich zwar, aber jeder reist nach seinem Auftritt wieder ab. Freundschaften spielen sich oft nur innerhalb von Bands ab. Aber bei „Sing meinen Song“ war es anders. Das Ganze dauerte zwar nur eine Woche, aber es war intensiv. Das ist eigentlich die Basis einer Freundschaft. Ich bin nicht naiv, aber Johannes habe ich seit Südafrika bereits ein paar Mal wiedergesehen.
Sind Sie eigentlich ein überzeugter Europäer?
O ja, das bin ich. Ich profitiere auf vielfältige Weise vom dem Konzept Europa. Ich spiele zwar auch in China, Kanada und den USA, aber mein Fokus liegt auf Europa. Das hat damit zu tun, dass ich hier problemlos Grenzen überqueren kann. Meine Musik wird von den verschiedensten europäischen Sendern gespielt. Mein europäischer Durchbruchsmoment war in 2012, als ich in Oslo bei der Friedensnobelpreisverleihung singen sollte. Das Jahr, in dem die Europäische Union ausgezeichnet wurde. Es passierte zu einer Zeit, in der die Popularität der EU stark gesunken war. Die Populisten in den Mitgliedsstaaten machten die Gemeinschaft für alle Probleme verantwortlich.
Wie haben Sie die Friedensnobelpreisverleihung an die EU erlebt?
Es war ein sehr berührender Moment, mitanzusehen, wie Politiker und andere Menschen für ihr Engagement für Europa ausgezeichnet wurden. So friedlich wie heute war dieser Kontinent noch nie. Das wird viel zu selten erwähnt. Europa mag ein unperfektes Konzept sein, aber als Künstler liebe ich die utopische Idee dahinter. Nach der Griechenlandpleite prophezeiten alle das Ende der EU, aber ich bin glücklich, dass sie immer noch stark ist. Ich habe in Estland, Lettland und Bulgarien gespielt. Dort spürt man mehr Optimismus als in so manchem westlichen Land. Es klingt ein bisschen kitschig, aber ich glaube an Europa.
Milow auf Tour
Der belgische Sänger geht auf „Lean into me Tour 2019“ und gastiert am 4. Oktober um 20 Uhr im Löwensaal in Nürnberg. Karten gibt es in unserem Ticketshop.