Veranstaltungstipps Oliver Polak: "Wir Menschen sind unser größter Feind"

Das Gespräch führte Olaf Neumann
 Foto: Olaf Heine

Der mit dem Grimme-Preis geehrte Stand-up-Comedian Oliver Polak erschüttert etablierte Strukturen mit schamlosem Humor. Wir trafen ihn zum Interview.

 
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Herr Polak, in Ihrem Buch „Gegen Judenhass“ gibt es viele Fragen und viele weiße Seiten. Warum?
Das sind die Fragen, die mir immer wieder gestellt wurden. Mit dieser Selbstdefinition will ich den Leser an das Thema heranführen. Ich arbeite gerade an meiner neuen Standup-Show „Der Endgegner“, die im Januar Premiere hat. Aber dann häuften sich diese judenfeindlichen Vorfälle an wie der Anschlag auf die französische Holocaustüberlebende, die in ihrer Wohnung erstochen und angezündet wurde. Jüdische Restaurantbesitzer wurden angegriffen. In Chemnitz flogen Molotowcocktails durch Fenster. Jüdische Schüler wurden auf Schulhöfen gejagt. Das habe ich auch mit sieben oder acht Jahren erlebt. In den Achtzigern hieß es, das sei jetzt alles vorbei, das seien die letzten Ausläufer. Das sind aber nur Worthülsen gewesen. Ich habe gerade das Gefühl, dass alles noch da ist. Warum ist beim Echo niemand wirklich aufgestanden? Der einzige, der etwas gesagt hat, war Campino, aber am Ende nahm er den Preis trotzdem entgegen. Mir fehlt Klarheit.

Was erhoffen Sie sich, mit dem Buch zu erreichen?
Ich habe versucht, ein Buch zu schreiben, so wie ich es mir von jemand anderem wünschen würde. Ich wollte das große, schwere Thema runterbrechen auf das Wesentliche. Es ist dünn und bunt geworden und der Preis ist nicht sehr hoch, damit man es eher mal in die Hand nimmt. Es ist der Versuch, Dinge zu erklären.

Warum können Juden nicht ohne antisemitische Klischees wahrgenommen werden?
Ich habe darauf keine richtige Antwort gefunden. Eine Geschichtsaufarbeitung gab es in Deutschland vielleicht theoretisch, aber die Lehrer, die anfangs unterrichtet haben, kämpften selber noch in der SS und waren selber traumatisiert. Jahre nach dem Holocaust stand die Deutsche Geschichte zwischen 1933 und 1945 nicht auf dem Lehrplan. Und diese Typen sollten den Geschichtsunterricht voranbringen, das ist absurd! Ich glaube, in diesem Land gab es keine emotionale Aufklärung. Man spürt nicht, dass es den Leuten wirklich daran gelegen ist, dass so etwas wie der Holocaust nie wieder passiert. Deswegen schwirren die Vorurteile gegenüber Juden noch überall herum, und die Leute glauben immer noch, dass Juden immer wohlhabend seien und die Welt beherrschten. Entweder stellt man den Juden als Opfer dar oder man macht ihn groß. Als Jude hast du hier eigentlich oft verloren.

Sehen Sie Parallelen zwischen der Nazizeit und heute?
Diese üblen Vorurteile stammen natürlich aus der Nazizeit. Zum Beispiel, wenn mich ein Comedian abends anruft und mich ernsthaft fragt, ob wir Juden ein Mittel gegen Krebs hätten, was wir dem Rest der Welt vorenthalten. Und ich ihm dann 30 Minuten lang erklären muss , dass dem nicht so ist.

Sind Sie ernsthaft von einem ehemaligen Musikfernsehmoderator als „Judenschwein“ beleidigt worden?
Natürlich war das als Provokation gemeint, aber das ist ja wurscht. Die Bedeutung dieses Wortes bleibt ja dieselbe. Ich habe bewusst vermieden, in dem Buch Namen zu nennen, weil man dann nicht über den Antisemitismus geredet hätte, sondern über diese Leute. Er kommt in allen Gruppen der Gesellschaft vor. Vor zwei Wochen war ich auf einer Ausstellung eines Freundes in London, wo ich neben einem Münchner Ehepaar saß. Die Dame attestierte Juden eine besondere Intelligenz. In dem Moment dachte ich: Geht’s noch? Ich werde dann nicht aggro, aber ich möchte gern mit sowas in Ruhe gelassen werden.

Was kann ein erster Schritt sein im Kampf gegen Antisemitismus?
Es geht ja auch um Rassismus, Flüchtlingsabscheu, Sexismus, Homophobie. Ich schreibe in dem Buch: „Das Ende von Menschhass beginnt mit dir!“ Jeder Einzelne kann anfangen, empathischer und achtsamer zu sein. Aber ich wünsche mir auch eine Klarheit von der Politik. Krassere Gesetze, die einen als Juden mehr schützen. Ich wünsche mir, dass mein Buch Schullektüre wird.

Wie gehen Sie persönlich mit Beleidigungen um?
Als ich einmal mit meinem letzten Buch „Der jüdische Patient“ in einer Talkshow war, wurde ich im Trailer nur als Jude, Jude, Jude vorgestellt. Aber ich war eigentlich wegen einem Buch über Depressionen da, auf dessen Titel das Wort „jüdische“ durchgestrichen war. Es hat mich teilweise krank gemacht, weil ich eigentlich Standup-Comedy mache, aber es wurde immer wieder versucht, an mir eine Geschichtsaufarbeitung anzudocken. Als ich das dem Moderator sagte, antwortete er: „Sorry, das Jüdische ist dein Unique-Selling-Point, da musst du jetzt durch!“ Das war relativ eklig und ich frage mich im Nachhinein, warum ich da überhaupt aufgetreten bin. Als Kind habe ich solche Sachen oft einfach weggelächelt. Ich war eh schon einsam. Wäre ich auf die ganzen Leute eingegangen, die komische Sachen gemacht haben, wäre ich noch einsamer gewesen. Aber danach habe ich mich oft schlecht gefühlt. Das passiert mir heute nicht mehr so. Ich glaube, dass man manche Ältere nicht mehr retten kann, weshalb der Fokus meines Buches auf den Jüngeren liegt.

Kürzlich marschierte eine Gruppe schwarz gekleideter Menschen durch Dortmund, die schwarz-weiß-rote Flaggen trugen und Parolen wie „Wer Deutschland liebt, ist Antisemit“ skandieren. Warum haben sich die Neonazis ausgerechnet auf Juden eingeschossen?
Ich glaube, sie meinen damit, dass man nicht mal mehr sein Land lieben darf. Denn dann ist man gleich ein Antisemit. Oder sie meinten es als Aufforderung. Wahrscheinlich wussten sie es selber nicht, sie dachten nur, es reimt sich. Die Polizei hat in Dortmund nicht eingegriffen, weil es keine Straftat gewesen sei. Deswegen meine ich, dass es vom Gesetz her eine Klarheit geben muss.

Stimmt es, dass arabischstämmige Comedians auf deutschen Bühnen den Holocaust leugnen?
Ja, das gibt es wirklich. Man findet es auch im Netz, wenn man Schlagworte wie „Olympia“ eingibt. Ich habe die besagte Nummer im Wortlaut transkribiert. Bei dem entsprechenden Video sieht man ein vorwiegend migrantisches, johlendes Publikum. Ein Freund von mir hat dieselbe Nummer in Hamburg vor einem deutschen Publikum gesehen, und da war es relativ ruhig.

Worin unterscheiden sich arabischer und europäischer Antisemitismus?
Der eine ist europäisch, der andere arabisch. Die Wurzeln sind anders. Der deutsche Antisemitismus war nie weg, und der arabische nährt sich sehr durch den Israelkonflikt und Weltverschwörungstheorien. Aber auch da muss man sagen, dass nicht alle Menschen so sind.

Welche antisemitischen Klischees sind am gefährlichsten?
Ich finde, man sollte sich frei machen von jeglichen Stereoptypen, Vorurteilen und Klischees. Es fängt mit Gedanken an, die werden zu Worten und dann zu Taten. In einem Vorurteil steckt immer auch eine Bewertung mit drin, die meistens eher negativ ist und gekoppelt ist mit einem Gefühl, so dass man es wirklich glaubt. Zum Beispiel „Muslime sind kriminell“ oder „Juden sind geldgierig“. Wir haben alle Vorurteile, aber das muss man sich immer wieder bewusst machen.

Wie sind Ihre Lehrer damit umgegangen, dass Sie als Schüler auf dem Schulhof antisemitisch beschimpft worden sind?
Das war auch so ein gestörtes Verhältnis. Die Lehrer hatten überhaupt nicht thematisiert, warum und wieso diese Beschimpfungen passiert sind, nur dass sie vielleicht aufhören sollen. Es gab nie eine richtige Auseinandersetzung mit dem Antisemitismus. Meinen Eltern habe ich davon bewusst nichts erzählt. Gerade meinen Vater, der sieben Jahre in einem Konzentrationslager war, wollte ich damit nicht belasten. Und meiner Mutter habe ich nichts gesagt, weil ich wusste, dass sie dann die Schule anzündet. Das wollte ich auch nicht. Wobei das im Nachhinein wahrscheinlich die beste Lösung gewesen wäre. Dann hätte meine Mutter sich eingereiht in die Bundeswehr im Emsland, die ja auch gerade viel Schutt und Asche im Moor hinterlassen hat.

Wie geht Ihre Tante in Amerika mit dem neuen Antisemitismus um?
Meine Tante, zu der ich ein sehr gutes Verhältnis habe, war auch in Gefangenschaft und ist anschließend nach New York ausgewandert. Wir telefonieren alle paar Tage miteinander. Ich habe ihr ein paar Sachen erzählt, aber sie konnte es nicht glauben. Vor ein paar Jahren gab es in Bielefeld eine notorische Holocaustleugnerin, die behauptete, im KZ Stutthof sei nichts Schlimmes passiert. Das hat meine Tante sehr gekränkt, weil sie da war und wirklich alles miterlebt hat.

Hatte Ihre Tante in den letzten 60 Jahren in New York judenfeindliche Begegnungen?
Nie. Als sie das sagte, war ich auch überrascht.

Sie schreiben, Deutschrapper verdienten mit antisemitischen Klischees viel Geld. Hat sich daran etwas geändert, seit der Echo abgeschafft wurde?
Nein. Ich glaube schon, dass die Musikbranche ein bisschen hellhöriger geworden ist. Aber alles in allem ist nichts passiert. Ich erwarte, dass die Bundesregierung und der Antisemitismusbeaufragte jetzt endlich handeln. Heiko Maas, Volker Beck umd Cem Özdemir sind die einzigen Politiker, die sich sehr schnell und sehr deutlich zu Antisemitismus äußern. Aber auf Worte müssen Taten folgen. Da ist leider ein Loch.

Werden die jüdischen Nachfahren ihrer Aufgabe gerecht, die nächste Generation wachzuhalten?
Es ist absurd, dass man selber dafür verantwortlich ist. Eigentlich wünsche ich mir, dass es andere machen. Zumindest die jüdischen Menschen, die ich kenne, wachsen mit einem bestimmten Bewusstsein der deutschen Geschichte auf. Mit meinem Buch versuche ich Leuten, die von Antisemiten gejagt werden, eine Stimme zu geben.

Verändern die fremdenfeindlichen Proteste in Städten wie Chemnitz und Köthen etwas an Ihrem Deutschlandbild?
Wenn ich höre, dass zum Beispiel im thüringischen Themar Rechtsrockkonzerte stattfinden und die Neonazis sich organisieren, denke ich mir: Nee, ich habe einfach keinen Bock mehr! Das kann es nicht sein! Die Polizei bewacht zwar das Ganze, aber es werden trotzdem tausende von Hitlergrüßen gemacht. Was muss denn noch passieren? Ich würde sagen: gescheitert! Komplett fehlgeleitet!

Ist Antisemitismus eine Frage von Bildung?
Nein, auf Antisemitismus trifft man überall. Dazu möchte ich die Erste Allgemeine Verunsicherung zitieren: „Das Böse ist immer und überall“.

Bald gehen Sie wieder auf Comedytour unter dem Motto „Endgegner“. Wer ist das eigentlich?
Wir Menschen sind unser eigener Endgegner und unser größter Feind. Am Ende sind wir selber die Terroristen, nämlich Lifestyle-Terroristen. Wir bauen unseren Wohlstand auf der Ausbeutung anderer aus.

Oliver Polak auf Tour

Der Komiker geht auf „Der Endgegner“-Tour und gastiert am 26. März um 20 Uhr im E-Werk in Erlangen. Karten gibt es im Ticketshop unserer Zeitung.