Veranstaltungstipps Rea Garvey: "Wir sollten das Leben auskosten"

Das Gespräch führte Steffen Rüth
 Foto: Universal Music

Auf seinem neuen Album „Neon“ schlägt Rea Garvey andere Töne an und baut Hip-Hop-Elemente in die Songs ein. Mit den neuen Songs geht er auf Tour.

 
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Rea, wir sind hier in Ihrem Entspannungszimmer. Brauchen Sie ein bestimmtes Ambiente, um mal runterzukommen?
Der Raum ist wirklich schön. Hier kann ich gut bei mir sein und zur Ruhe kommen. Insgesamt fällt es mir aber schwer, die Balance zu halten. Ich arbeite sehr viel, ich gehe super gerne feiern, und ich habe eine Familie. Die Waage schlägt mal zur einen, mal zur anderen Seite aus.

Schaffen Sie es, ein ganzes Wochenende nicht an die Arbeit zu denken?
Bis jetzt nicht, nein.

Sind Sie arbeitssüchtig?
Nein, das glaube ich nicht. Manche Freunde von mir, die Riesenerfolge feiern, die haben viel geopfert für diesen Erfolg. Das finde ich sehr traurig. Ich möchte meinen Erfolg auch genießen können, und das funktioniert nur, wenn du auch Zeit hast, um durchzuatmen. Ich gebe unheimlich viel und schufte hart, aber ich könnte noch viel mehr machen an Shows oder Auftritten. Ich will aber nicht weniger Zeit mit den Menschen verbringen, die ich liebe – mit meiner Familie.

Sind Sie glücklich mit Ihrem Leben?
Ja. Allerdings bin ich immerzu damit beschäftigt, mein Leben zu verbessern und zu optimieren Ich stelle vieles in Frage, aber ich merke, ich sollte das Leben stärker umarmen und mich nicht immer wieder neu unter Druck zu setzen.

Sie sind gerade in Südafrika gewesen, um dort die neue Staffel von „Sing meinen Song – Das Tauschkonzert“ aufzunehmen. War das mehr Spaß oder mehr Stress?
Sowohl als auch. Ich hatte das Angebot, dort teilzunehmen, zweimal abgelehnt. Denn ich war nie gut beim Karaoke. Lieder zu singen, die andere gemacht haben, ist nicht unbedingt meine Stärke. Aber ich hatte tierisch Freude dabei zu versuchen, die anderen mit meinen Versionen ihrer Lieder zu beeindrucken.

In „Kiss Me“ geht es um die Leidenschaft in einer langjährigen Beziehung. Handelt das Lied von Ihrer Frau Josephine und Ihnen? Sie sind ja seit 17 Jahren ein Paar.
Ja, da spreche ich auch über mich. In erster Linie ist „Kiss Me“ ein Song darüber, wie wichtig es ist, die Wirklichkeit zu spüren. Das Leben dauert nicht ewig, wir sollten es auskosten. Und die Online-Welt, in der wir uns alle bewegen, ist sehr unecht, oft fake. Aber ein Kuss zwischen zwei Menschen, die in echter Liebe verbunden sind, ist etwas Echtes, Wahrhaftiges und Wertvolles.

Was sind denn für Sie besonders kostbare zwischenmenschliche Erlebnisse?
Die Spaziergänge mit meiner Frau. Abends auf dem Land in Hessen, wo meine Frau herstammt, zu jeder Jahreszeit. Solche Momente mit jemandem zu teilen, den du liebst, das ist das Größte. Solche Erlebnisse kannst du für kein Geld der Welt kaufen.

So einen Song wie „Is It Love?“ hat man vorher nie von Ihnen gehört. Wieso machen Sie plötzlich Hip-Hop?
Ich bin ein heimlicher Fan von Beats und mag diese Rap-Attitüde schon immer. Ich war neugierig darauf, HipHop in meine Musik einzubauen. Stilistisch will ich mich nicht einengen. Ich muss mich frei fühlen und will für alles offen sein. Rage Against The Machine finde ich genauso geil wie Neil Diamond oder Dolly Parton. Außerdem ist Savas ein wirklich cooler Typ. Wir beide sind befreundet und führen wirklich sehr gute, tiefe Gespräche.

Überhaupt fällt auf, dass „Neon“ ein sehr positives Album geworden ist. War das ein bewusster Plan?
Das hat sich wirklich während der Arbeit so herauskristallisiert. Ich habe für dieses Album Reisen nach Island, Schweden, Miami, London und Dublin unternommen, überall in diesen Metropolen habe ich mit anderen Songwritern gearbeitet, immer versucht, Neues zu entdecken und Ideen zusammengetragen. Alles in allem habe ich bestimmt fünfzig Lieder geschrieben Doch irgendwie führte mich das Gleis auf dieser Reise zurück nach Berlin, zurück nach Hause. Für mich ist „Neon“ ein urbanes Berlin-Album. Ich bin über meine Grenzen hinausgegangen und am Ende doch wieder zu Hause angekommen.

Welcher Gedanke steckt in dem Albumtitel „Neon“?
Es sollte erst „Black Light“ heißen, aber meine Tochter fand, „Neon“ klinge cooler. Recht hat sie. Das Schwarzlicht wurde erfunden, um all das sichtbar zu machen, was das bloße Auge nicht erkennen kann. Ich wollte einen Titel haben, der neue Perspektiven eröffnet, der inspiriert und Lösungen aufzeigt.

Ihr vorheriges Album hieß „Prism“. Sie bleiben titelmäßig also der Lichtbrechung treu.
Farben faszinieren mich. Wir haben deshalb Angst vor der Dunkelheit, weil wir dann die Farben nicht mehr sehen können. Und vieles wird heute nur noch als schwarz oder weiß angesehen. Das funktioniert aber bei vielen Fragen und Problemen nicht, das Leben hat unendlich viele Farbtöne und Schattierungen.

Welche Geschichte steckt hinter dem Lied „Hometown“?
Ich schrieb den Text nach einem Besuch in Dublin. Als ich in den Neunzigern nach Deutschland kam, war die Stadt arm, dann kam der Boom, dann die Bankenkrise, und jetzt scheint sich die Stadt gerade sehr zweizuteilen. Du hast viele Menschen, denen es sehr gut geht, die bei Großkonzernen wie Amazon oder Google arbeiten. Diese Unternehmen sind gut für Irland, keine Frage, die bringen viele Jobs und Wohlstand. Aber sie reinigen sozusagen auch die ganze Stadt. Die rauen Ecken werden aufgeräumt, die Häuser immer teurer verkauft, es fehlt die Lässigkeit von früher. Und nicht jeder kommt mehr mit. So viele Zelte mit Obdachlosen wie zuletzt habe ich in Dublin noch nie gesehen.

Bedrückt Sie das?
Sehr. Früher war es leichter, wieder aufzustehen, wenn du mal hingefallen warst. Heute stehen viele Menschen nicht mehr auf. Ich habe selbst zwei Nächte meines Lebens auf der Straße geschlafen, das war am Anfang meiner Zeit in Deutschland. Man denkt „Ach, was soll’s?“, aber die Kälte, die Feuchtigkeit, es war hart. Ich habe viel Respekt für die Menschen, die so ein Leben aushalten.

Ist das an U2 erinnernde „Beautiful Life“ Ihre Reaktion auf den verbreiteten Frust in der Gesellschaft?
Ja. Es gibt so viel Positives. Der amerikanische Präsident repräsentiert für mich zum Beispiel nicht Amerika. Der „Women’s March“ repräsentiert für mich Amerika, der ist viel typischer und maßgeblicher für das Land. Ich halte “#MeToo“ sowieso für eine Superbewegung. Es ist wichtig, dass sich die Frauen wehren. Ich bin als einziger Bruder von sieben Schwestern aufgewachsen, bei uns Kindern hat das Geschlecht nie eine Rolle gespielt. Irgendwann verlieren die Menschen leider diese Naivität.

Wie gelingt denn das „Beautiful Life“, das schöne Leben?
Das liegt an jedem von uns selbst. Irgendwann bist du erwachsen genug, um die Kontrolle über dein Leben zu haben und um selbst zu spüren, was du erreichen kannst. Bei mir war auch nicht alles toll, ich bin in einem sehr konservativen System aufgewachsen, die katholische Kirche in Irland war für meinen Geschmack zu dominant, aber man muss trotz aller Schäden, die man im Leben erleidet, mutig bleiben, rausgehen und sich dem Leben stellen.

Sind Sie ein Feminist?
Ich bin für Gleichberechtigung. Wir haben Menschenrechte. Punkt. Von Geschlecht, Hautfarbe, Herkunft oder sonst irgendwas ist da nicht die Rede. Ich denke, die Generation meiner Kinder wird das verinnerlicht haben. Ich kann mir zum Beispiel nicht vorstellen, dass man in zwanzig Jahren noch über ungleiche Bezahlung von Männern und Frauen streitet.

Rea Garvey auf Tour

Der irische Sänger geht auf „Neon“-Tour und tritt am 18. September um 20 Uhr im Haus Auensee in Leipzig auf. Karten dafür gibt es im Ticketshop unserer Zeitung.