Veranstaltungstipps Udo Lindenberg: "Ich bin auf einer Mission"

 Foto: Tina Acke

Auch mit 72 Jahren ist Udo Lindenberg noch politisch unkorrekt, authentisch und originell. Er geht mit seinen größten Erfolgen wieder auf Tour.

 
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Herr Lindenberg, Sie haben jetzt zum zweiten Mal in der Reihe „MTV Unplugged“ gespielt. Ist dies das ideale Format für Sie?
Ja, es ist für mich auch ein ideales Format. Es kommt noch näher an den Kern der Lieder ran über die zurückgenommene Instrumentierung. Außen herum ist weniger Klangdeko, weil die E-Gitarren fehlen. Dafür gibt es Streicher und Aku-Klampfe. Viele meiner Songs in den 70er und 80er Jahren hatten auch schon viel Aku-Klampfe. Die haben wir jetzt für uns wiederentdeckt. Ich wollte zugucken, was passiert mit diesen Liedern, die ansonsten im Koffer der Geschichte rumstehen und in Vergessenheit geraten. Es ist aber schade drum, weil in der wahnsinnig durchgeknutschten Zeit der 70er Jahre einfach großartige Songs entstanden sind. Sie haben es verdient, wieder gehoben und einer großen Öffentlichkeit mit der Stimme von jetzt dargereicht zu werden.

Wie kamen heutige Klassiker wie „Hoch im Norden“, „Der Malocher“ oder „Cowboy Rocker“ einmst zu Ihnen?
Ich werde öfter mal gefragt, ob ich diese Lieder eigentlich allein in irgendeiner Kneipe auf einen Bierdeckel geschrieben habe oder ob da jemand hinter mir stand und mitgeschrieben hat. Vielleicht war ich ja nur ein Medium, ein Werkzeug der Götter, hähähä. Dinger wie „Bananenrepublik“ oder „Kleiner Junge“ sind Eingebungen, die einfach so angeflogen kamen. „Kleiner Junge“ erzählt auch ein bisschen meine eigene Story aus Gronau.

In Hamburg wird gerade „Lindenberg! Mach Dein Ding!“ gedreht. Der Film erzählt die Geschichte Ihrer Kindheit bis hin zu Ihrem Durchbruch. Wie gefällt Ihnen der 22-jährige Udo-Darsteller Jan Bülow?
Jan Bülow ist ein begnadeter Stellvertreter auf Erden – päpstlich, prollig, primstenz. Hermine Huntgeburth hat mir ein paar Filme gezeigt und wir haben intensiv schnackedischnack gemacht. Der Frau vertraue ich. Wir sprechen dieselbe Sprache, wir sind Soul-Verwandte. Dieses Filmprojekt ist ein komplexes Ding, und sie kam zwischendurch immer an mit Castings und bezog mich mit ein. Die kennt sich mit Kino richtig gut aus. Jan Bülow spielt den jungen Udo, der als Liftboy nach Düsseldorf abgeordert wurde.

Wie ist es ihm dort ergangen?
Dort begann er eine Kellnerlehre und wusste noch nicht genau, ob es mit der Musik funktionieren wird. Für den Notfall lernte er einen ordentlichen Beruf, den des Schiffsstewards. Frisch vom Acker in die große weite Welt von Düsseldorf. Jan Bülow stellt mich dar bis zum ersten großen Erfolg, dem Auftritt hier in der Musikhalle. Sie drehen dort übrigens heute. Jetzt heißt es Laeiszhalle. Bei diesem Konzert ging es um alles. Entweder es heißt: „A Star is born“ oder sie sagen: „Er ist auf Platte gut, aber live kannst du ihn knicken“. Und dann ging es los.

Wie erinnern Sie dieses für Ihre Karriere bedeutende Konzert von 1973?
An dem Abend bin ich mit 15 Doppelkorn im Kopf im Vampirgang um die Ecke geschlichen. Es ging um alles. Zuhause in Gronau war keine Knete da, mein Vater war gestorben und meine Mutter musste von 300 Mark leben. Okay, sagte ich zu ihr, ich gehe in Hamburg Kohlen holen. Ich wollte eine große Erfindung machen: Rock mit deutschen Texten. Ein Rockstar werden. Ich wollte an die Millionenschecks ran. An dem Abend ging es darum, ob die Rakete abhebt oder ob sie fehl zündet. Genau bis dahin geht der Film: 1973. Die weiteren Entwicklungen, Krisen, Absturz und Wiederaufstieg machen wir dann im nächsten Film. Das wird auch wieder so wie beim Paten.

Wie ist es Ihnen damals als Newcomer gelungen, von der Teldec eine Million Mark Vorschuss zu bekommen?
Damals konnte sich niemand vorstellen, ob Rock in Deutsch überhaupt funktioniert. Alle dachten, das sei eine rein angloamerikanische Sache. Deutsch eigne sich nicht als Straßenrocksprache. Ich hatte auch mal Englisch versucht, aber das ging nicht so gut, weil ich diese Sprache nicht wirklich drauf hatte. Ich sagte mir, es muss auf Deutsch gehen. Und auf meiner ersten deutschen Platte ging es dann auch schon ziemlich gut ab. Aber wir mussten auch zeigen, dass das Panikorchester mit der Nachtigall ein großes Bühnending ist.

Wie ist Ihnen das gelungen?
Es war ein ziemlicher Stress, aber mit vielen Doppelkörnern hat es schließlich hingehauen. Ich weiß noch, wie ich die ganze Nacht durchgeschluckt und durchgegurgelt und am nächsten Morgen in die Zeitung gekiekt habe. Da stand „A Star is born!“, und es kamen auch schon die ersten Telegramme von den Plattenfirmen: „Können wir Ihre Bekanntschaft machen in unseren geheiligten Räumen?“ Und dann bin ich da hin – mit Gamaschen und dem Vorhaben, den Scheck länger zu machen, wenn er mir zu kurz ist. Unter einer Million Mark erübrigte sich für mich jedes weitere Wort. Ein bisschen sportiv war es natürlich auch. Aber man braucht ja auch die Knete.

Und was wollten Sie künstlerisch?
Eine Alternative zum deutschen Schrottschlager mit seiner heilen Welt. Wir haben damals eine Startbahn gebaut für viele große Fluggeräte, die nach uns abgehoben sind.

Bei Ihrem ersten MTV-Unplugged-Album „Live aus dem Hotel Atlantic“ sollen die Produktionskosten im deutlich siebenstelligen Bereich gewesen sein. Wie viel Aufwand haben Sie diesmal betrieben?
Ja, das war schon sehr teuer. Wie teuer, weiß ich gar nicht genau, ich bin da sehr privilegiert. Wenn ich sage, wie ich es gern hätte, kümmern sich meine Plattenfirma und sonstige Partner um die Kohle, und ich mache einfach dieses geile Ding. In dem Making-Of-Film fahre ich mit dem Boot auf dem Atlantik rum und fantasiere, welche crazy Zeitgeister ich für diese Abenteuerreise gerne mit an Bord hätte. Ich wollte gerne Marteria dabei haben, und der kommt dann tatsächlich im Beiboot an. Und Julia und Angus Stone. Von denen hatte ich gehört, dass sie meinen Song „Durch die schweren Zeiten“ in ihr Konzertprogramm aufgenommen und in der Columbiahalle in Berlin vor 5000 Leuten gespielt haben. (singt das Lied mit englischem Akzent) Das ist eine große Geste! Und dann habe ich sie zu MTV Unplugged eingeladen. Und mein Kumpel Alice Cooper war gerade hier mit seinen Hollywood Vampires. Wir kennen uns schon lange aus LA und wollten schon immer mal was zusammen machen. Jetzt hat es endlich geklappt.

Wen wollten Sie ursprünglich noch auf dem Album haben?
Sting. Zu ihm habe ich einen guten Draht, aber er konnte nicht, weil er gerade sein Ding in Kuba laufen hatte, diese Duettnummer. Aber er schickte mir diese geile Band aus Nashville namens Los Bandoleros rüber.

Welche Verbindung hat die Schauspielerin und Dirigentennichte Maria Furtwängler zu Udo Lindenberg und wie haben Sie sie zum Singen gebracht?
Wir haben uns hier im Hotel öfter getroffen und geschnackt. Ich fragte sie, ob sie schon mal einen Agentensong wie „Bist du vom KGB?“ gesungen habe. Dafür brauchte sie natürlich eine geile Klamotte. Ich habe sie dann in meine Hippiebude hier im Hotel mitgenommen, die Villa Kunterbunt. Dort habe ich ihr einen Hut aufgeknallt, einen dicken Gürtel umgebunden und meine schwarzen Hosen angezogen. Maskenball! Passte auch alles bis auf die Unterhosen. Sie fühlte sich auch geil, weil man in den Sachen ganz anders geht. Man hat einen anderen Groove drauf. Ein bisschen verrückt, lässig, easy und so. Also nicht so hoch geschlossene Abendkleider, sondern legerer. Und dann sagte ich zu ihr: „Und jetzt noch singen!“

Hat das auf Anhieb geklappt?
Sie hat noch nie so gesungen, ohne Vibrato. Und plötzlich traut sie sich das! Ich ziehe sämtliche Hüte vor ihr. In ihrer Küche steht ein kleiner Kassettenrekorder und da hat sie für mich was drauf gesungen und mir rübergeschickt. Das war es aber noch nicht so ganz. Ich sagte: Genau so, aber doch sehr anders. Ein bisschen lasziver und tiefer, mehr Sprechgesang. Ein bisschen wie der rauhe Straßenwind, wenn die Kommissarin Lindholm da draußen unterwegs ist. Und dann sang sie tiefer und es war ideal. Unsere beiden Stimmen bilden eine goldene Symbiose.

Und gemeinsam mit Schock-Rocker Alice Cooper singen Sie „No More Mr. Nice Guy“. Wie hat sich das angefühlt?
Lustig, lustig. Wenn wir uns in den 70er und 80er immer im Hollywood Bowl, Whiskey A Go Go oder im Rainbow auf dem Sunset Boulevard getroffen haben, lagen wir meist breit in der Ecke. Aber jetzt standen wir! Haha! Wir können auch im Liegen singen, aber bei Unplugged haben wir es im Stehen getan.

Cooper hatte wie Sie jahrelang mit seiner Alkoholsucht zu kämpfen und ist seit 30 Jahren trocken.
Wir sind wie siamesische Zwillinge. Brothers, die ganz genau die gleiche Scheiße durchgemacht haben. Auch er fing Anfang der 70er mit seinem Schock-Rock an. Und ich war damals ein deutscher Schock-Rocker. Irgendwann hat er seine harten alkoholischen Zeiten aufgegeben, und ich ja auch. Alice trinkt gar nichts mehr und ich trinke gezielt. Mal einen Absinth, mal einen Eierlikör in Verbindung mit geheimnisvollen fernöstlichen Kräutergemixen. Turnt auch gut. Der viele Alkohol hat mich damals ziemlich platt gemacht.

Wissen Sie noch, welche von Ihren 35 Studioplatten Sie nüchtern und welche betrunken gemacht haben?
Ja. Ich habe viel im Liegen gesungen, weil ich es bequemer fand. Ich war gut breit und lag dann sowieso schon. Lass das Mikro mal kommen, ich trällere heute im Liegen. Das klingt auch interessant. Aber vollbreit kriegst du die echte Offenbarung nicht hin. Manchmal kann man im Brausebrand ein paar kesse Texte schreiben, die werden dann nüchtern gegengelesen. Manchmal ist man aber zu weit rausgeschwommen, wenn es zu abstrakt geworden ist. Da kann keiner was mit anfangen. Ich lege Wert darauf, dass die Leute meine Texte auch schnallen. Gelegentlich schreibe ich auch nüchtern und knalle mir dann was rein. Manchmal ist mir das Resultat dann zu dröge. Man ist ja vom Wahnsinn geknutscht. Das muss immer in den Texten mit drin sein.

In Ihrer Biografie „Udo“ gestehen Sie, dass Sie einmal im Waldorf Astoria in New York aus dem Fenster springen wollten. Was hielt Sie letztendlich davon ab?
Ich dachte in dem Moment, das würde meiner Mutter auch nicht gefallen. Sie hätte andere Wünsche an ihren Sohn gehabt. Nämlich dass er sich erholt von dem schweren Schock, den ihr Tod für ihn bedeutete. Meine Mutter war für mich eine extrem starke Bezugspersönlichkeit. Nach ihrem Tod ballerte ich mich ein paar Monate lang richtig weg, bis ich wirklich weiße Mäuse sah. Ich wusste nicht so richig weiter. Aber dann sagte ich mir, meine Mutter würde das nicht sehen wollen und meine Freunde auch nicht. Ich bin viel zu jung, um zu sterben. Und ich bin auf einer Mission.

Auf welcher Mission sind Sie?
Ich habe den Auftrag, geile Musik zu machen. Ich wusste ja, dass ich große Songs schreiben und großen Fusionen wie die Dröhnland-Show mit Peter Zadek hinkriegen kann. Das hat sich dann immer weiterentwickelt über die ganzen Revuen bis hin zu den Stadionkonzerten mit Ufos, die da um die Ecke zischen. Das ist ein Auftrag, da kannst du dich nicht einfach so verpissen und aus dem Fenster springen. So ein Talent verpflichtet auch. Man ist auserwählt von den Gottheiten im Schicksalsoffice, die solche Talente in seltenen Fällen vergeben. Das muss man schützen und pflegen und den Menschen weiterschenken. Und dann haben wir den schönen Film „Panische Zeiten“ gemacht, was wahnsinnig nervenaufreibend war. Ich wusste gar nicht, wie das geht, aber gerade deshalb haben wir Sachen gemacht, die man eigentlich nicht machen soll. Scheißegal. Sei ein Gesetzloser und breche die Gesetze, die du noch nicht mal kennst!

In dem Lied „Wir ziehen in den Frieden“ singen Sie vom Traum einer friedlicheren Welt und von einer Gesellschaft, in der jeder Mensch frei ist. Was gibt Ihnen Hoffnung, dass sich dieser Traum jemals erfüllen wird?
„Wir ziehen in den Frieden“ ist ein utopisches Lied, inspiriert durch Woodstock, Love & Peace und Menschenketten rund um den Globus. 2019 jährt sich Woodstock zum 50. Mal. Wenn man Menschen motiviert, kann man mit Musik wirklich etwas erreichen. Der Vietnamkrieg wurde durch die Friedensbewegung beendet. Eigentlich müsste jetzt schon die Politik der Zukunft gemacht werden. Wenn Politiker sich nicht international organisieren und den Planeten irgendwie retten, gibt es riesige Völkerwanderungen, Dürren und Hungersnöte. Nationalstaaten können das nicht mehr regeln.

Sie haben 2000 die Initiative Rock gegen rechte Gewalt gegründet – und daraufhin Morddrohungen bekommen. Wie gehen Sie damit um?
Ja, da redet man mit Experten, wie man sich da schützen kann. Mit kugelsicheren Westen und Bodyguards, die genauer eingegroovt werden. Und mit Panik-Snipers.

Udo Lindenberg auf Tour

Der Rocksänger geht auf Tour und gastiert am 11. und 12. Juni um 20 Uhr in der Arena in Leipzig. Karten für das Konzert gibt es im Ticketshop unserer Zeitung.

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