Arzberg Die Netze brauchen Entlastung

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Photovoltaik liefert mehr Strom als wir brauchen. Zu viel elektrische Energie belastet die Leitungen. Das Projekt "Smart-Grid-Solar" versucht Lösungen für die Zukunft zu finden. Vier Experten erklären in Arzberg das Modell.

 
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Arzberg - Rund sechs Millionen Euro hat die Stadt Arzberg in den vergangenen Jahren in die Erzeugung erneuerbarer Energien und energetische Sanierungen verschiedenster Gebäude investiert. "Nachhaltiger Ressourcenschutz ist eine globale Aufgabe. Aber ein großer Teil wird in den Kommunen entschieden", sagte Bürgermeister Stefan Göcking bei einer Informationsveranstaltung zum "Smart-Grid-Solar"-Modellversuch am Dienstag in der Bergbräu in Arzberg. So stammen 42 Prozent des Strombedarfs der Stadt aus erneuerbaren Energien. Wind, Wasser und Biogas erzeugen den elektrischen Strom, vor allem aber die vielen Photovoltaikanlagen. Deren Anzahl steigt weiter rasant an und sorgt so für eine Überlastung der Niederpannungsnetze, also der Netzbereiche, die den Endverbraucher versorgen.

Der "Smart-Grid-Solar"-Modellversuch in Arzberg und Hof wird koordiniert vom Bayerischen Zentrum für angewandte Energien (ZAE) und versucht Lösungen zu finden, wie das Verteilnetz in Zukunft aussehen muss, um den Belastungen standzuhalten. "Die Entscheidungen über die Infrastruktur müssen heute getroffen werden", sagte Michael Neswal, Projektleiter von Smart-Grid-Solar. Neswal war einer der Referenten der Veranstaltung. Neben ihm legten Dr. Roland Hofer von der Bayernwerk AG, Marco Siller, Produktmanager bei IBC Solar und Jana Hörmann von der Energievision Franken (EVF) ihre Sicht der Dinge dar.

Die Vorgabe der Bundesregierung, bis 2050 rund 80 Prozent des elektrischen Stroms aus erneuerbaren Energien zu erzeugen, nannte Dr. Roland Hofer ein "äußerst ambitioniertes Ziel, das an unseren Netzen nicht spurlos vorbeigehen wird". Wind und Sonne seien volatile Energiequellen, also nicht vorhersehbar. "Photovoltaik liefert nachts keinen Strom, das ist das Einzige, worauf wir uns verlassen können", so Hofer. Dagegen kehre sich der Lastfluss in den Netzen in den Mittagsstunden um, das heißt der Strom fließt zurück zu den Umspannwerken, was zu hoher Netzbelastung führt, sagte Hofer: "Die Stromerzeugung durch Photovoltaikanlagen übersteigt den Verbrauch um ein Vielfaches." Das Bayernwerk beteiligt sich an dem Modellversuch, weil sich der Energieversorger Antworten auf zahlreiche Fragen erhoffe, sagte Hofer. "Unter anderem müssen Überschussenergien nutzbar gemacht und Angebot und Nachfrage in Einklang gebracht werden." Weiter gelte es, Erzeuger und Verbraucher auch geografisch näher zusammenzubringen. "Der Verbrauch in der Nordsee geht gegen null", stellte Hofer die Windkraftanlagen im Wattenmeer infrage.

Ähnlich sprach sich auch Marco Siller aus. Er glaube nicht, dass Zehntausende Kilometer neuer Stromleitungen nötig seien. "Wir brauchen dezentrale Lösungen", sagte Siller. Nur Ausgleichsmengen müssten dann in ein großes Übertragungsnetz eingespeist werden. Ein Ansatz, den das Smart-Grid-Solar-Modell verfolge. sei, durch containergroße Ortsspeicher Stabilität in den Niederspannungsnetzen zu schaffen. "Dazu brauchen wir intelligente Techniken, die Lastprofile der Verbraucher kennen und erlernen können", so Siller. "IBC Solar erhofft sich aus dem Modell zum Beispiel eine Antwort zu finden auf die Frage, ob der Netzausbau durch den Einsatz von Batterien gemindert werden kann", sagte Siller. Zudem müssten auch Wirtschaftlichkeit und Lebensdauer der Speichersysteme erprobt werden. Siller: "Mit Smart-Grid-Solar können wir unter Praxisbedingungen testen."

Laut Michael Neswal soll mit dem Projekt, ausgehend von der derzeitigen Situation, bis in das Jahr 2050 vorausgeblickt werden. Beginnend bei der Planung und Simulation der Netzstruktur sollen auch Regelungsmöglichkeiten für die Erzeugung und Speicherung der Energie erforscht werden. Ebenso haben die Forscher die zeitliche Verschiebung des Strombedarfs durch Lastenmanagement im Auge. "Es geht aber auch darum, wie unsere Erkenntnisse in den Markt eingegliedert werden können", sagte Michael Neswal.

Das Gesamtprojekt "Smart-Grid-Solar" sei bis Mitte 2017 konzipiert, sagte Neswal. Erste Messungen im Niederspannungsnetz sollen im Herbst beginnen. Daraus erhoffen sich die Forscher Rückschlüsse über Netzbelastung und Stromflüsse. Ergänzt werden diese Erkenntnisse durch Wetterdaten. An verschiedenen Stellen sollen Batterien in das Netz integriert werden. Zur Stabilisierung, aber es stelle sich künftig auch die Frage, welche Variante günstiger sei: Der Netzausbau oder der Einsatz von Stromspeichern. Weiter sollen Photovoltaikanlagen optimiert werden. Und letztlich wolle man klären, ob sich Verbraucher dazu bewegen lassen, ihre Energiebedürfnisse dem Angebot im Netz anzupassen. "Elektrische Energie ist wertvoll, wir müssen sie gut einsetzen und lokal verwerten", so Neswal.

Elektrische Energie ist wertvoll. Wir müssen sie gut einsetzen und lokal verwerten.

Michael Neswal


Das Klimaschutzkonzept des Landkreises Wunsiedel

Jana Hormann stellte anschließend in der Bergbräu in Arzberg das Klimaschutzkonzept des Landkreises Wunsiedel vor. Vor dem Hintergrund, bis 2020 den Kohlendioxidausstoß um 40 Prozent zu verringern, seien etwa das Erneuerbare-Energien-Gesetz oder die Wärmeschutzverordnung erlassen worden. "Wir versuchen nun die Effizienz zu steigern sowie die Energieproduktion und deren Einsatz in Einklang zu bringen", sagte Hörmann. Anhand der Bevölkerungsstatistik, Gewerbestruktur, Landwirtschaft und Wohnflächenanalysen ermittelt die vom Landkreis engagierte Energievision Franken die Basisdaten. Danach wird der Energieverbrauch analysiert. In einigen Kommunen liefen dazu bereits Befragungen, sagte die Projektmitarbeiterin. Danach würden Einsparpotenziale berechnet und aufgezeigt. "Und wir suchen nach Flächen, die für die Erzeugung erneuerbarere Energien genutzt werden können," so Hörmann. Aus all dem resultieren Handlungsempfehlungen, die den Kommunen an die Hand gegeben werden und nach Möglichkeit auch umgesetzt werden sollen. Geplant sind Infoveranstaltungen und Projektgruppen, um die Bürger auf dem Weg mitzunehmen. "Wir hoffen auch auf viele Ideen aus der Bevölkerung", schloss Jana Hörmann.


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