Hof - Als der Maler Giovanni Segantini 1894 nach Maloja im Schweizer Engadin kommt, ist er bereits ein berühmter Mann. Seine Bilder sind gefragt, seine Art zu malen macht Schule. Doch sein Leben ist nicht ohne Probleme: Seit seiner Kindheit ist er staatenlos, deshalb kann er seine Lebensgefährtin Bice Bugatti nicht heiraten, die vier Kinder müssen unehelich und ungetauft aufwachsen, was in einer stockkonservativen, katholisch geprägten Umgebung immer wieder zu Anfeindungen führt.

Ein solch spannungsvolles Leben ist wie geschaffen für einen Roman, und man muss sich wundern, dass es so lange gedauert hat, bis sich ein Autor dieses Sujets angenommen hat. Die Schriftstellerin Asta Scheib hat das Leben von Giovanni Segantini und Bice Bugatti als Vorlage für einen Roman genommen. Der Titel "Das Schönste, was sich sah" ist
ein Zitat von Nietzsche und bezieht sich auf das Engadin,
das den in Oberitalien und Mailand aufgewachsenen Ma-
ler Segantini zutiefst beeindruckt hat. "Am Engadin hat meinen Großvater vor allem das Licht fasziniert. Das Licht gab der Farbe das Leben. Und so lebten auch seine Bilder. Er hat nie das gemalt, was er gesehen hat, er hat das gemalt, was er ausdrücken wollte", sagt seine in Hof wohnende Enkelin Gioconda Leykauf über ihren berühmten Großvater.

Sie hat für Asta Scheibs Roman viel Material zur Verfügung gestellt, und ihr gilt auch die erste Danksagung in dem Buch, für ihre "Freundlichkeit, Offenheit und Unterstützung". Gioconda Leykauf ist die Tochter des ältesten Segantini-Sohnes Gottardo, dessen lebensbedrohlichen Unfall und jahrelanges Leiden Asta Scheib in dem Roman dramatisch schildert.

Der Schriftstellerin, die mit Büchern über bedeutende Frauen wie Katharina von Bora, die Ehefrau Martin Luthers, und Ottilie von Faber-Castell bekannt geworden ist, gelingt in dem Buch das Doppelporträt eines ungewöhnlichen Paares, das bis zum frühen Tod des Malers im Jahr 1899 durch eine ungewöhnlich innige Liebe verbunden bleibt. Giovanni Segantini, geboren 1858, wächst in großer Armut auf und verliert bereits mit sieben Jahren seine Mutter. Der Halbschwester in Mailand, zu der ihn sein Vater bringt, ist er eine Last, derer sie sich entledigt, indem sie das Kind in eine Besserungsanstalt steckt. Dort lernt er weder lesen noch schreiben, doch sein Talent für Farben und Formen fällt auf. Nach der Ausbildung an der Kunstakademie Brera hat er schnell Erfolg mit Porträts. Mit seiner Lebensgefährtin zieht er in die Alpen, zuerst nach Savognin und danach nach Maloja. Er malt vorwiegend im Freien, sommers wie winters. Heute gilt er neben Ferdinand Hodler als herausragender Künstler der Schweizer Berge.

In St. Moritz erinnert ein viel besuchtes Museum an den Maler. Dort hat kürzlich Boris Becker seine Hochzeit mit Lilly Kerssenberger gefeiert. Der Maler hätte sich über diesen Rummel wohl gewundert, denn als Künstler hat er in der Stille das "Wesen der Dinge" und das "vollkommene Urbild der Natur" zu ergründen versucht. Beerdigt ist Giovanni Segan-
tini auf dem kleinen Dorffriedhof von Maloja - dort, wo seine Enkelin Gioconda Leykauf die alte Dorfkirche renoviert und zu einem Kulturzentrum ausgebaut hat.

Asta Scheib: Das Schönste, was ich sah. Hoffmann und Campe, 360 Seiten, gebunden, 22 Euro.