HOF – „Dies ist nicht mein Land“, schrieb Lea Fleischmann resigniert vor vielen Jahren. Dabei kam sie hier zur Welt, in Ulm zwei Jahre nach dem Krieg. Doch 1979 kehrte sie, die Tochter jüdischer Holocaust-Überlebender, der belasteten Heimat den Rücken und nahm die Mühe auf sich, eine neue zu erringen. In Jerusalem lebt die Schriftstellerin heute, kehrt aber jährlich nach Deutschland zurück. Am Montag las sie im Saal der Israelitischen Kultusgemeinde in Hof-Moschendorf aus ihrem jüngsten Buch, in dem sie sich „Gedanken zu Deutschland und Israel“ macht. Der Titel klingt wieder resigniert und ein wenig heimatlos: „Meine Sprache wohnt woanders“.

Eingeladen hatten die Autorin der Verein der Israelfreunde und das Ehepaar Lang, das in Hof den Israelladen „En-Gedi“ betreibt; zu dessen zehntem Geburtstag gratulierte musikalisch die Gruppe „M’Yom – L’Yom“ – und Lea Fleischmann schloss sich an. Wie der Laden baut auch sie unverdrossen an „Wegen zur Verständigung“. Freilich offenbaren sich der Reisenden, die Deutschland fast wie eine Fremde mit Israel vergleicht, Unterschiede oft schon im scheinbar Beiläufigen: Hier zu Lande blättern, beispielsweise, die Leute eher gedankenlos in der Zeitung; in Jerusalem mag man sie gar nicht erst aufschlagen: „Die Zeitung macht Angst“, dokumentiert sie doch stets aufs Neue den Terror, mit dem das seit Jahrtausenden umstrittene „Land im Krieg“ lebt. Stattdessen greifen die Israelis gern zu einem Taschenbuch mit Psalmen: Religiosität gehört zu den unverhohlenen Selbstverständlichkeiten. Die Autorin ahnt: Auch die säkulare Bundesrepublik, wo „Gott auf dem Bahnhof peinlich“ wirken würde, hätte mehr Heiligen Geist „bitter nötig“.

Neuer Geist wurde ihr zuteil: neuer geistlicher Halt. Den Geboten der Thora gemäß, lernte sie, den Feiertag zu heiligen: Die ritualisierte Muße des Schabbat, mitsamt dem sacht arbeitsamen Zur-Ruhe-Kommen am „Rüsttag“ davor, gilt ihr als „großes Geschenk“, das Jerusalem ihr gemacht hat.

Vorbehaltlos liebt sie das Land, darin „Milch und Honig“ fließen: Nährmittel der Seele. Vielleicht als Heimat, jedenfalls als „gelobtes Land“ hat Lea Fleischmann sich ihr Israel anverwandelt. Und freilich weiß sie: Das Paradies ist es nicht. Jahrelang überstand sie als Soldatenmutter die existentielle Angst um ihre unter Waffen stehenden Kinder: „Jede gemeinsame Mahlzeit kann die letzte sein.“ Wie eine gestandene Patriotin besitzt sie eine Nationalfahne; höher aber schätzt sie ihr himmlisches Urvertrauen. Die Angst überwinden, sagt sie, heißt „das Leben in Gottes Hand legen“. Israel lieben, sagt sie, heißt Gott lieben.

Nach viel Frömmigkeit klingen Lea Fleischmanns Worte, doch wenig nach Fundamentalismus. Entsprechend sanft, bescheiden freundlich trägt sie ihre unprätentiöse, gleichwohl gewandte, behutsam kolorierte Prosa vor: keine brisanten Reportagen – freimütige Beobachtungen des Ichs und der Anderen, einleuchtende Selbstreflexionen mit Anspruch auf Allgemeinverbindlichkeit. Das ein wenig Blauäugige, Naive gehört bewusst zu den Darstellungsmitteln der Autorin, die keineswegs weltfremd zwischen ihren zwei Welten wechselt. Von beiden weiß sie: Heil ist keine.

Lea Fleischmann, Chaim Noll: Meine Sprache wohnt woanders. Scherz-Verlag, 256 Seiten, gebunden, 17,90 Euro.