Bamberg - "Bamberg Symphony - The first 70 Years" steht auf der Schachtel. Das klingt, als blickte da ein Unsterblicher auf sein Frühwerk zurück. Die 17 CDs der Box dokumentieren Marksteine in der Geschichte der Bamberger Symphoniker. Jetzt, heute, so suggeriert der Titel, starten sie in die nächsten "70 Jahre" mit Konzerten daheim und in aller Welt.

Ein "Reiseorchester". Am Wochenende aber blieben die Musiker zu Haus. Denn gebührend galt es zu feiern. "Open house": Am Geburtstag selbst, dem gestrigen Sonntag, öffneten sich alle Haupt- und Nebenräume der Konzerthalle an der Regnitz kostenlos für festfrohe Freunde jeder Couleur. Vornehmer indes ("Um angemessene Kleidung wird gebeten") ging es am Vorabend vor zahlendem Publikum zu.

Da beehrte Joachim Gauck, begleitet vom bayerischen Ministerpräsidenten Horst Seehofer, die Musiker, ihren scheidenden Chefdirigenten Jonathan Nott und die Zuhörer im so gut wie voll besetzten Joseph-Keilberth-Saal mit seiner Anwesenheit. Das jährliche "Konzert des Bundespräsidenten" hatte der Staatschef im Jubiläumsjahr in die oberfränkische Weltkulturerbestadt gelegt. Für die Deutsche Hospiz- und Palliativ-Stiftung und den Hospiz-Verein Bamberg ein Glücksfall: An sie fließt der Erlös des Benefizabends; künstlerisch ein überwältigendes Erlebnis: Nach dem dröhnenden Schlussakkord lassen die Besucher, sämtlich stehend, Wogen tosenden Beifalls übers Podium branden.

Gauck gibt sich in seinem Grußwort launig gelöst. Zwei Vorzüge Deutschlands streicht er heraus: das "feste Netzwerk des ehrenamtlichen Engagements"; und den Reichtum der Kultur. Ihr trügen die Bamberger Symphoniker mit ihrer "regionalen Bindung" ebenso wie mit ihrer "Weltoffenheit" wahrhaft "Wunderbares" bei. Die Hospizbewegung in Bamberg und andernorts mache sich verdient um die "liebevolle Begleitung" Sterbender auf ihrem letzten Weg - und das Orchester würdige die guten Taten nun mit einem "lebensvollen Konzertprogramm".

Vor allem mit Gustav Mahlers siebter Symphonie als Hauptwerk. Auf sie bezieht sich Horst Seehofer: Einen "Ausblick in eine bessere Welt" habe der Komponist mit ihr öffnen wollen - so wie es der Hospiz- und Palliativ-Bewegung mit ihrem "segensreichen Dienst" gelinge.

Demgemäß zwischen Dunkel und Licht, Vergänglichkeit und Lebenszuversicht spannen die Symphoniker - ein "Aushängeschild am weißblauen Kulturhimmel", auf das Seehofer "mächtig stolz" ist - die drei Werke des Programms aus. Mit schweren Schicksalsschlägen des Orchesters steigt Dirigent Jonathan Nott überfallartig in die Ouvertüre zu Wolfgang Amadeus Mozarts "Don Giovanni" ein - um sodann das Dasein umso frischer, stürmischer zu feiern. In drängenden Wellen scheint sich ein Gewitter über "Böhmens Hain und Flur" zusammenzubrauen; die Musiker unterwerfen Bedrich Smetanas Tondichtung heftigen Wechselfällen, wie jedes Leben sie kennt. Aber alles geht "gut aus". In Mahlers Symphonie auch. Und wie.

Wer sich ihrem Finale aussetzt - man muss ihm nicht "lauschen", es überrollt einen unabweislich frenetisch -, der meint fast, sich falsch zu erinnern, wenn er zurückdenkt zur Trauermarsch-Motivik, mit der Nott den Kopfsatz dereinst begann. Auf dem anderthalb Stunden langen, bedrohlich wechselvollen Weg durch die fünf ereignisreichen Sätze entfalten die Symphoniker eine Eindringlich- und Eindrücklichkeit, die sie für katastrophale Ein-, Um- und Abbrüche so tauglich macht wie für die mystische Schau ins Transzendente. Naturimpressionen einer ländlich-sittlichen Natur werden mit Herdenglockengebimmel laut, Idyllen mit Mandolinen-Gezirp und Gitarren-Gezupf.

Alle Grade gedanklicher Feinheit und farblicher Facettierungskunst lässt der temperamentvolle Dirigent mit herzlichen und emphatischen Gebärden die Musiker durchmessen. Im stockend vorwärtsrollenden Scherzo, das er wie eine danse macabre, wie einen "schattenhaften" Walzer inszeniert, flattern Klangfetzen wie Dunst und Nebel. Solch meisterliche Differenzierung in Ton und Ausdruck wendet Nott schließlich aufs schmetternd überschwängliche Finale an: Auch ohrenbetäubende Euphorie lässt er zu, aber selbst ekstatischem Jubel bewahrt er einen Rest von Sinn und Verstand.

Angemessener Abschluss fürs Jubiläums- und Benefizkonzert. Zur Feier des Geburtstags darf's schon mal Trara, Tamtam, Getöse sein: Tue Gutes - und rede darüber.

Die Bamberger Symphoniker tragen zur Kultur wahrhaft Wunderbares bei.

Bundespräsident Joachim Gauck


Ein Aushängeschild am weißblauen Kulturhimmel.

Ministerpräsident Horst Seehofer


Komm mit, Dichterin

"Man reist mit einer Schwarmintelligenz": Dies Privileg genoss Nora Gomringer während zweier Jahre. 2014 und 2015 machte sich die aus Wurlitz bei Rehau im Landkreis Hof stammende Autorin, Leiterin des Bamberger Künstlerhauses Villa Concordia und Bachmann-Preisträgerin des vergangenen Jahrs, mit den Musikern des "Bamberg Symphony" auf durch die Republik und die Welt, über Prag bis nach Peking: "Komm mit, Dichterin!" Explizit als Lyrikerin, zugleich unverkennbar in ihrem Humor beschreibt sie Momenteindrücke: "Dieses Orchester klingt karamellfarben, nach Sahnebonbon und ist im Lustzentrum des Gehirns doch durchaus salzige Lakritze ..."; und sie gelangt zu tieferen Einsichten: "Vergessen darf nur keiner, dass es ein durch und durch europäisches Orchester ist, angesiedelt im Herzen der Bündnisse."

Gomringers Texte kommentieren etwa neunzig sorgsam stilisierte Foto-Schnappschüsse von Andreas Herzau. Eine ansehnliche Kombination aus Licht- und Wortbildkunst - zugleich eine opulente Werbebroschüre fürs Orchester. thu

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Nora Gomringer, Andreas Herzau: Bamberg Symphony. Verlag Hatje Cantz, 152 Seiten, Großformat, gebunden, 39,80 Euro.