Hof - "Jeder stirbt für sich allein" heißt ein Roman über die Nazi-Zeit von Hans Fallada. "Beim Sterben ist jeder der Erste": Das erfuhren 1972 in einem US-Spielfilm (von John Boorman) vier Abenteurer, die sadistischen Hinterwäldlern in die Fänge geraten. Zwei Titel, die Unwiderlegliches behaupten: Im Angesicht des Todes steht jeder hilflos für sich.

"Wenn Rosenblätter fallen": Dass sich in diesem Musical gleichfalls eine Tragödie verbirgt, verrät der sentimentale Titel nicht. Mit der Produktion, die am Sonntag die neue Studio-Linie des Theaters Hof einleiten wird, mutet Regisseur Karsten Jesgarz dem Publikum einen schonungslos ernsten Stoff zu: Erzählt wird davon, dass zu einem selbst bestimmten Leben womöglich auch ein selbst bestimmter Tod gehört - Autor Kai Hüsgen und der Komponist Rory Six griffen das menschlich wie politisch brisante Problem der Sterbehilfe auf.

In einem Musical? In einer Gattung, die fast ausschließlich der Unterhaltung dient? Dass hier hundert Minuten lang über nichts Geringeres als ein Tabu-Thema verhandelt wird, gibt der Regisseur zu, auch dass es dabei um Trauer geht und um die Bewältigung von Schuldgefühlen.

Immerhin: Nebenbei ergeben sich "Schmunzelmomente", beruhigt er, und "nicht ausschließlich vom Sterben ist die Rede, sondern von junger Liebe auch". Die verbindet den 19-jährigen Till mit Iris (in Hof: Benjamin A. Merkl und Birgit Reutter). Fatal erinnert ihn das Mädchen an seine Mutter, die unlängst einem Krebsleiden erlag und den Sohn untröstlich zurückließ. Die Ähnlichkeit erweist ein Porträt, das Till von der Toten malte. Und das Bild erwacht zum Leben - die Erinnerung konfrontiert den jungen Mann noch einmal mit seiner Zuneigung zur Mutter, ihren Qualen und dem Abschied: Ihren Wunsch nach einem gnädig erlösenden Tod half er zu erfüllen. Nach der Uraufführung 2010 in Amsterdam ging das Stück 2011 mit großem Erfolg in Hamburg und Wien über die Bühne und wurde mit Preisen ausgezeichnet.

"Was würde man selber in Tills Lage tun?": Darüber soll, wenn es nach Karsten Jesgarz geht, der Zuschauer nachzudenken beginnen. Als "eine mögliche Form des Musiktheaters" beschreibt er das aus der Art schlagende Musical, das nicht als Bühnenshow auftrumpft, sondern sich als "intimes Kammerspiel" genügt. Des weichlichen Titels ungeachtet haben Autor Hüsgen und Komponist Six auf Kitsch verzichtet.

Damit kein Runterzieher daraus wird, hielt Rory Six die Musik - die Kapellmeister Roland Vieweg leitet - absichtsvoll leicht: "Sie hilft, die aufwühlende Emotionalität in den Griff zu kriegen", sagt Jesgarz. "Um den schmerzlichen Stoff spielerisch durchlässig zu machen, ist ihre Eingängigkeit das richtige Mittel." Als weiteres Merkmal des Melodrams hebt er dessen "Schauspiellastigkeit" hervor - also braucht es Sänger, die auch als Darsteller genügen. Zu jener Sorte gehört bekanntermaßen Stefanie Rhaue, die als Mutter ein Eck des Gefühls-Dreiecks gibt (und deren im Jugend-Ensemble des Hauses groß gewordene Tochter Despina als Regieassistentin und Abendspielleiterin mitarbeitet). "Mich hat das Stück sehr angegriffen", bekennt die Künstlerin, die "eine Weile brauchte, um mich in der Rolle zurechtzufinden". Als Opernsängerin führe die Aufgabe sie an ihre schauspielerischen Grenzen: "Verlangt ist ein großer Reichtum an Facetten."

Die Authentizität der Darstellung bestätigt der Hofer Hospizverein, der als Partner der Produktion firmiert und, in Jesgarz' Worten, die "Realitätsebene" herstellt (siehe Informationskasten). "Aufrichtig und wirklich traurig" nennt der Regisseur das Stück: "Es rührt einen mächtig an. Acht Stunden täglich kann man so etwas nicht proben."

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Premiere am Sonntag um 19.30 Uhr im Studio. Die Parkplatz-Situation rund ums Theater ist gegenwärtig sehr prekär.

Zum selbst bestimmten Leben gehört ein selbst bestimmter Tod: Regisseur Karsten Jesgarz und Stefanie Rhaue, die Darstellerin der Mutter, in Beata Kornatowskas Szenerie. Foto: Michael Giegold


Mich hat das Stück sehr angegriffen.

Sängerin Stefanie Rhaue


Acht Stunden täglich kann man so etwas nicht proben.

Regisseur Karsten Jesgarz


Der Hospizverein

... in Hof ist Partner der Musical-Produktion. Von der zweiten Aufführung am Samstag, 28. September, an laden Mitglieder des Vereins, Karsten Jesgarz und die Schauspieler nach jeder Vorstellung zu einem Nach- und Nachtgespräch über das Thema Sterben, Tod und Sterbehilfe ein. Regisseur Jesgarz: "Viele Menschen trauen sich nicht, den ersten Schritt zur Hospizbewegung zu tun. Hier nun besteht Gelegenheit, sie kennenzulernen."


Der Autor

... Kai Hüsgen durchlief eine Musical-Ausbildung an der Bayerischen Theaterakademie August Everding in München und spielte an renommierten Häusern, so in Weimar, Kassel und Essen. Erste Erfahrungen als Übersetzer und Buchautor machte er bei seiner Ein-Mann-Show "Die letzten vier Jahre". "Wenn Rosenblätter fallen" ist das zweite Stück, für das er den Text schrieb. 2011 war er am Theater Hof in der Doppelrolle Jekyll und Hyde erfolgreich.