Hof/Coburg - Schlechte Nachrichten sind gute Nachrichten: Vor allem mit ihnen erregen die Medien Aufmerksamkeit und verkaufen sie gut. Todesnachrichten sind die besten Nachrichten für's Geschäft - könnte man vermuten, wenn man die Verkaufszahlen mancher Bücher beobachtet: Seit der Publizist Roger Willemsen am 7. Februar gestorben ist, steigt der Absatz seiner Titel "sehr stark" an, wie Marlene Hofmann bestätigt, die in Hof die "Buchgalerie" betreibt. Auch Heike Walta von der Coburger Buchhandlung Riemann beobachtet: "Wenn jemand stirbt, wird er interessant."

Im Fall Umberto Ecos sieht's unerwartet anders aus. Zwölf Tage nach Willemsen gab er, Schriftsteller von internationalem Ansehen, den universalen Geist auf. Gleichwohl kam der Umsatz nicht recht auf Touren: Nicht viel häufiger als vorher werde nach seinen Romanen gefragt; mit der "Nullnummer", die im Herbst erschien, habe das Geschäft wenigstens "etwas angezogen", sagt Heike Walta. Auch in Hof, stimmt Marlene Hofmann zu, sei das Interesse am OEuvre des illustren Italieners nur "verhalten" gewach-

sen. Vom "Namen der Rose" gingen höchstens "ein paar Exemplare mehr als sonst" über den Ladentisch.

Anders in der Heimat des Denkers. Gleich am vergangenen Freitag, als sein letztes Werk "Pape Satan Aleppe" erschien, schlug der Handel dort 75 000 Exemplare los. Offenbar kann der Tod eines Autors eben doch einen Beststeller erschaffen. Schon "Der Name der Rose" von 1980, das in aller Welt zigmillionenfach verbreitete Debüt des erfolgverwöhnten Autors, war einer. Noch 1982 aber wollte nicht jeder Fachmann an einen Triumph glauben. Für lächerliche 15 000 Euro hätte Suhrkamp die Übersetzungsrechte kaufen können - und schlug sie aus. "Das war Pech", gibt Cheflektor Raimund Fellinger zu; wahrscheinlich habe damals niemand im Verlag das Buch gelesen. Stattdessen griff Hanser zu: ein grandioses Geschäft.

Die fatale Fehleinschätzung des Suhrkamp-Chefs Siegfried Unseld erinnert an eine ganze Reihe von Autoren, die ausersehen waren, berühmt zu werden, obwohl zunächst Verlage reihenweise nichts von ihnen wissen wollten. Das geläufigste Beispiel: die sieben Streiche des Zauberlehrlings "Harry Potter" - in etwa siebzig Sprachen übersetzt, fast eine halbe Milliarde Mal verkauft. Der einstigen Sozialhilfeempfängerin Joanne K. Rowling beschied der Hype ein Vermögen, größer als das der Windsors. Dabei druckte der kleine Verlag Bloomsbury 1997 vorsichtig erst mal nur hundert Exemplare von Band eins, und auch dies nur, weil das Töchterchen von Verleger Nigel Newton als Erstleserin dem skeptischen Papa bezaubert dazu riet. Mindestens acht Verlage hatten zuvor Nein gesagt.

Über die Häufigkeit solcher Ablehnung berichtet die Mythologie des Buchmarkts oftmals Unglaubhaftes. Über tausend Absagen will der US-Amerikaner Ray Bradbury ("Fahrenheit 451", 1953) erhalten haben. Petra Hammesfahr erzählt von 159 Zurückweisungen, bis Rowohlt ihre "Sünderin" akzeptierte, die ihr 1999 den Durchbruch bescherte. Sieben Jahre zuvor hatte "Schlafes Bruder" reißenden Absatz gefunden; bis dahin hatten freilich schon 24 Verlage das Manuskript dankend an Robert Schneider zurückgeschickt. In Leipzig erbarmte sich schließlich Reclam - und verkaufte alsbald die Rechte höchst profitabel in alle Welt. Sehr ähnlich erging es Patrick Süskind mit dem tödlich duftenden, schließlich von Diogenes edierten "Parfüm", dem Überraschungshit des Jahres 1985; neun Jahre lang führte es der Spiegel auf seiner Bestsellerliste.

Sogar "Pippi Langstrumpf" geriet zur schweren Geburt. Das legendäre Kinderbuch entwickelte die Schwedin Astrid Lindgren aus Geschichten, die sie ihrer Tochter am Krankenbett erzählt hatte. Im Verlag Bonnier allerdings graute dem Chef vor der anarchischen Titelheldin: "Ich hatte selbst kleine Kinder", berichtete Gerhard Bonnier später, "und stellte mir entsetzt vor, was wohl geschähe, nähmen sie sich diese Göre zum Vorbild." Fügsam entschärfte Lindgren die Abenteuer, überließ sie dann aber trotzdem einem andern Verlag. Dazu war Thomas Mann nicht bereit. Als er 25-jährig die weit mehr als tausend handschriftlichen Seiten der "Buddenbrooks" dem Verleger Samuel Fischer offerierte, fand der sich zwar zur Veröffentlichung bereit, aber nur, wenn der noch fast namenlose Jungdichter sein Werk um die Hälfte kürze. Mann blieb standhaft; das Buch erschien wirklich in der Urgestalt, verbreitete sich erst zögerlich, dann umso rascher und trug seinem Verfasser den Nobelpreis ein. Wer nicht wagt, der nicht gewinnt.

Mit einem gewagten Experiment sorgte David Lassman 2007 mächtig für Theaterdonner in der Literaturszene. Den Romanen seiner - auch 190 Jahre nach ihrem Tod viel gelesenen - Landsmännin Jane Austen gab er neue Titel und taufte auch Figuren und Schauplätze um; ansonsten aber ließ er die Texte unverändert. So versandte er sie an Verlage und Agenturen. Nicht ein Werk wurde akzeptiert. Das hätte postum den verzweifelten Herman Melville trösten können, wie Austen heute ein Klassiker englischsprachiger Erzählkunst. Sein "Moby Dick" von 1850 fiel bei der Kritik mit Pauken und Trompeten durch; heute gilt das ozeantiefe, teils dokumentarische Walfänger-Epos als eine der weltgrößten Prosaschöpfungen und als Wegweiser für den Roman der Klassischen Moderne. Auf seine Weise auch ein Bestseller mit Verspätung.

Jenen sensationellen Aufschwung durfte Melville, der enttäuscht als Zöllner endete, nicht mehr erleben. Nicht anders erging es Giuseppe Tomasi di Lampedusa mit seinem einzigen Roman. "Der Leopard" entstand 1954, blieb aber liegen, weil kein Verlagshaus ihn der Veröffentlichung für wert erachtete. 1957 starb der Autor - und wurde im Jahr darauf zum Star: Denn sein Schriftstellerkollege Giorgio Bassani hatte das Manuskript wiederentdeckt und die Herausgabe veranlasst. 1959 legte man dem Verblichenen den begehrten Strega-Preis gleichsam aufs Grab. Recht so. Und doch sind gute Nachrichten, wenn sie zu spät kommen, nicht viel besser als schlechte.

Wer heute meint, er habe genug zu sagen, um ein Buch damit zu füllen, hat es leichter als je zuvor, sein Werk mittels self publishing, also auf eigene Kosten und Verantwortung, unters Volk zu bringen. Auch daraus kann Großes werden. So bezahlte Lisa Genova, von Beruf Neurologin, die 450 Dollar für den Druck ihres Erstlings "Still Alice" - um eine demente Harvard-Professorin - im Jahr 2009 aus eigener Tasche und verkaufte die Bände aus ihrem Auto heraus. Das Internet machte den Roman zum Superseller. An die Verfilmung von 2014 ging gar ein Oscar. Dazu hat es Jean-Jacques Leinwandfassung vom "Namen der Rose" nicht gebracht.

Ab 100 000

Bestseller: Eine verbindliche Definition gibt es nicht. Verlage und Handel gebrauchen den Begriff meist, sobald 100 000 Exemplare eines Titels verkauft wurden. Als Maßstab für literarische Qualität kann er mithin nicht dienen; er bildet nur das Interesse der Kunden ab. Übrigens gibt es das Lehnwort, einen Anglizismus, länger, als man denken sollte: Seit 1889 ist es belegt; 1895 erschien in den USA erstmals eine "Bestsellerliste". Die des Spiegels beeinflusst das Branchengeschäft hierzulande stark.