Frau Pehnt, haben Sie sich gefreut, dass Sie zur Poetik-Professur in Bamberg eingeladen wurden?

Und wie! Das ist eine große Ehre. Diese Professur hat eine lange Tradition, schon viele von mir geschätzte Autoren haben sie gehalten. Es geht darum, über sein eigenes Schreiben nachzudenken. Diese Auseinandersetzung war für mich eine wirkliche Herausforderung.

Welche Einsichten haben Sie bei den Vorlesungen in Bamberg gewonnen?

Ich habe versucht, die ganze Komplexität meines Schreibens für mich in ein Bild zu fassen: in die Pilgerschaft. Eigentlich ist das ein religiöses Bild. Aber ich habe versucht, die Religion aus dem Spiel zu lassen und das Ganze als eine Art Suchbewegung zu beschreiben.

Sehen Sie das Schreiben als Pilgerreise? Sind Ihre Romanfiguren Pilgernde?

Ja, etwas vereinfacht schon. Das, was eine Pilgerreise kennzeichnet, nämlich eine gemeinschaftliche Suche mit einem eigentlich verbindlichen Ziel - für mich ist das der Text -, das ist mein Schreiben. Natürlich bedeutet dies die Suche nach mehr als nur nach einem tollen Buch. Es geht um die Grundsatzfrage: Warum schreibe ich überhaupt? Warum entsteht so etwas wie Literatur?

Wie waren die Reaktionen im Seminar?

Die angeregten Diskussionen waren toll. Es sind ja durchaus provozierende Bilder durch diese ganze religiöse Metaphorik.

Wie befriedigend ist Schreiben für Sie?

Es geht nicht ohne für mich. Es ist für mich existenziell. Ich könnte mich ohne Schreiben nicht wirklich definieren. Ich brauche es einfach: Es macht mich aus. Nur im Schreiben habe ich das Gefühl, so etwas wie vollkommen zu sein. Im Schreiben kann ich etwas Eigenes konturieren.

Kann man als Schriftsteller in der heutigen Zeit finanziell gut auskommen?

Ich kann davon nicht leben, ich habe drei Kinder. Natürlich ist das von der jeweiligen Veröffentlichung abhängig. Ein neues Buch dauert etwa zwei Jahre und in dieser Zeit kommt halt nichts. Also muss ich irgendetwas zusätzlich machen: Gastprofessuren oder verschiedene Schreibaufträge. Ich habe auch noch an der Hochschule bei uns in Freiburg eine halbe Stelle.

Wie finden Sie Ihre Themen?

Ich arbeite nicht nach aktuellen Themen. Ich denke nicht: Ach, jetzt müsste ich mal über Mobbing schreiben. Es ist ein Gemisch von eigenen Erfahrungen, von Bildern, die ich sammle, von Wahrnehmungen, die ich schon länger mit mir herumtrage. Daraus entsteht dann irgendwann ein erster Satz.

Sie erzählen in Ihren Romanen von Menschen, die aus der Spur gekommen sind. Interessieren Sie verzweifelte Menschen mehr als glückliche?

Ja, klar. Mein Interesse gilt den Hungrigen. Die Satten sind halt satt - und fertig. Da gibt's dann auch nicht mehr viel zu sagen.

Denken Sie beim Schreiben an den Leser?

Nein, ich schreibe nicht auf einen Leser hin, das wäre auch fatal. Damit macht man sich die Texte kaputt. Da schreibt man ja das, was man glaubt, dass der Rezensent gerne hören oder der Professor gerne deuten möchte.

Sie haben mit ihrem Buch "Insel 34" beim Bachmann-Wettbewerb in Klagenfurt den Preis der Jury erhalten. Wie ist es dort?

Das ist ein Spiel. Natürlich ein sehr aufregendes Spiel. Aber man macht sich da echt auch die Nerven kaputt. Es ist natürlich schön, dort eine Auszeichnung zu bekommen. Aber wenn es nicht der erste Preis ist, erhält man auch nicht diese Medienöffentlichkeit. Also habe ich mein Preisgeld genommen und bin relativ erschöpft nach Hause gefahren. Jedem meiner drei Mädchen habe ich einen Roller davon gekauft.

Nehmen Sie sich Kritik sehr zu Herzen?

Ja, total. Ich bin leicht kränkbar. Vor allem was Rezessionen im Feuilleton angeht. Die lese ich durch bis zum letzten Komma und nehme es den Schreibern auch persönlich. Wenn die Kritik gut begründet ist, kann ich mich natürlich damit auseinandersetzen.

Gibt es bald einen neuen Roman von Annette Pehnt?

Ja, im Frühjahr. Um was es geht, verrate ich aber noch nicht. Da bin ich abergläubisch.

Das Gespräch führte Andrea Herdegen.

Zu Person und Aufgabe

Seit 1986 lädt der Lehrstuhl für Neuere deutsche Literaturwissenschaft alljährlich namhafte Autoren an die Otto-Friedrich-Universität ein, um dort im Rahmen der Bamberger Poetik-Professur vier öffentliche Vorlesungen zu halten und in Seminaren mit Studierenden zu diskutieren. Zuletzt waren dies Adolf Muschg (2003), Uwe Timm (2005), Hanns-Josef Ortheil (2007) und Wilhelm Genazino (2009). Die Poetikprofessur 2011 hat die Freiburger Schriftstellerin Annette Pehnt, 44, übernommen. Einem großen Publikum bekannt wurde sie, als sie 2002 für ihren Roman "Insel 34" den Preis der Jury beim Bachmannwettbewerb in Klagenfurt erhielt. Im Roman "Mobbing" von 2007 schreibt sie über einen Familienvater, der an seinem Arbeitsplatz gedemütigt wird. 2010 veröffentlichte sie einen Erzählband mit dem poetischem Titel: "Man kann sich auch wortlos aneinander gewöhnen, das muss gar nicht lange dauern" (alle Bücher sind im Piper Verlag erschienen). Ihre vier sehr gut besuchten Abendvorträge in Bamberg standen unter dem Motto "Evagatorium/Umhergeschweift: Schreiben als Pilgerschaft". ah