Hof - "Mystik ist modern", sagt Johannes Taig. Er sagt es skeptisch: Viele, die ihr Heil in zeitgeistiger Esoterik suchen, meinen, ein bisschen Mystik könne dabei nicht schaden. "Wir aber zünden nicht ein paar Kerzen an und sorgen für keine mysteriöse Stimmung", bekräftigt Taig. Wir: Damit meint er den "Studienkreis Meister Eckhart", den er als Pfarrer an der Hofer Hospitalkirche leitet. Monatlich einmal geht es hier um nichts Geringeres als "um Erkenntnis". Und dann, fügt Claus Henneberg, Taigs Partner im Geiste, hinzu, "dann wird's ernst".

"Ernst" macht der Kreis mit Meister Eckhart, der vielen als bedeutendster deutscher Mystiker gilt. Allerdings nennt Henneberg, in Hof lebender Schriftsteller, den großen Gelehrten, Philosophen und Theologen lieber einen "Lesemeister" und "Lebemeister": Von 1293 an hielt er akademische Vorlesungen, als Hochschuldozent einer streng rationalen Methodik verpflichtet; aber er half auch, unmittelbar das Leben zu meistern: Seine auf Deutsch abgefassten Predigten und Schriften treffen empfängliche Menschen unmittelbar in ihrem Dasein und Denken, Empfinden und Tun. Man könne durch sie, sagt Henneberg, "Weisheit schmecken".

Auch heute noch. Zum Studienkreis treffen sich, in wechselnder Zahl und Besetzung, 25 Frauen und Männer der Hospitalgemeinde, aber auch aus Naila oder dem Dekanat Wunsiedel. Als Grundtext liegen ihnen allen die "Deutschen Predigten und Traktate" Eckharts (in der Übersetzung Josef Quints) vor. Zu jeder Sitzung vertieft sich ein Mitglied in einen der Texte, referiert dann darüber und schlägt Deutungen vor. "Danach", berichtet Johannes Taig, "diskutieren wir, denn Eckhart regt nach wie vor zum Austausch an. Zum Schluss gibt's einen Schoppen Wein."

Zeit zur Ernte bietet heuer der 750. Geburtstag der Hospitalkirche: 1264 wurde das Hofer Gotteshaus errichtet; fast zur selben Zeit, um 1260, kam Eckart von Hochheim zur Welt. Zum Jubiläum haben der Pfarrer, Claus Henneberg und der Studienkreis ihre Referate als stattliches Buch vorgelegt. 300 Seiten - einschließlich "Beigaben": Mehrere moderne Predigten aus Eckharts Geist gehören ebenfalls dazu; desgleichen ausgewählte Aphorismen aus seinen Schriften: "Poetische Brocken".

Während eines Spaziergangs über den Theresienstein brachten Henneberg und Taig die Idee für den Studienkreis zur Welt. Initiator war der Schriftsteller. Der, heute 85, beschäftigt sich seit 1944 mit dem Meister: damals erwarb er einen "Münchner Lesebogen" mit Denksprüchen Eckharts "für sechzig Pfennig". Bis in die Gegenwart, sagt Taig, reiche die Wirkungsgeschichte des Theologen. Auch die Nationalsozialisten versuchten ihn zu vereinnahmen. "Und Erich Fromms berühmte Abhandlung über 'Haben oder Sein' wäre nicht denkbar ohne ihn."

Also doch ein Denker vor allem für einschlägig Vorgebildete? Keineswegs, versichern die beiden. Als "liebe- und fantasievollen, sprachmächtigen geistlichen Führer" durchs eigene Leben verehren sie ihn, der in zahlreichen seiner Überlegungen überdies "auch für Agnostiker anschlussfähig" sei. Eckhart mache "ernst mit einer Existenz, die sich aus dem Glauben versteht und daraus lebt", hat Pfarrer Taig erfahren, dem sich durch ihn "das Tiefe und Wunderbare" des Daseins erschließt. "Das ganze materielle Drumherum ist nur Nebensache." Auch Henneberg bekennt, er fühle sich, angeleitet von Eckhart, "aufgehoben und in guter Hut, wenngleich ich wahrlich kein Heiliger bin. Ich sehe alle Dinge gelassen, auch den Tod: Er ist ein Aus-der-Welt-geboren-Werden, in eine andere, geistige Welt hinein."

"Gelassenheit": ein Kernbegriff des Meisters. Den Menschen fordert er auf, von jeder fesselnden Bindung an die Welt zu "lassen", auch von dem Versuch, "Gott zu denken". Ein derart "lediges Gemüt" kann sich aufmachen, um "auf dem Seelengrund" mit Gott eins zu werden ...

Spekulativ klingt das. Wirklich hat man es mit einem nicht eben leicht fasslichen, folglich interpretationsbedürftigen Autor zu tun. Ans "Wort" sei Eckharts Theologie gebunden, betonen Henneberg und Taig - ans Wort Gottes in der Heiligen Schrift, und an Jesus Christus, dessen Erdenwandel sein poetischster, spekulativster Biograf, der Evangelist Johannes, so umschreibt: "Das Wort ward Fleisch und wohnte unter uns." Die Arbeit an Eckharts "Worttheologie", das Studieren und Um-ihn-Kreisen lohnt den Erkenntnisaufwand: Seine Gedanken, sagt Taig, bleiben nicht trockene Gottesgelehrsamkeit. "Er hat Theologie ins Leben hineinbuchstabiert."

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Claus Henneberg, Johannes Taig u. a.: Meister Eckhart. Ein Lesebuch. 302 Seiten, gebunden, 19,90 Euro. Erhältlich in den Hofer Buchhandlungen und über das Pfarramt der Hospitalkirche (Telefon 09281/2868; dort auch Informationen über den Studienkreis).

Aus der Werkstatt


Ein Lesemeister und ein Lebemeister.

Claus Henneberg


Das Wort ward Fleisch und wohnte unter uns.

Der Evangelist Johannes


Meister Eckhart

Geboren um 1260, vielleicht in Hochheim bei Gotha. Schon in der Jugend Dominikanermönch. Studium in Köln. Ab 1293 Universitätsdozent in Paris, 1302 dort Magister. 1303 Ordensprovinzial (Vorsteher mehrerer Klöster). 1313 in Straßburg, dort als Prediger für seine Überzeugungskraft berühmt. Ab 1322 in Köln. 1326 Inquisitionsverfahren: Als ketzerisch verwirft die Amtskirche seine Lehre, das menschliche Ich könne unmittelbar, ohne kirchlichen Beistand, Zugang zu Christus und Gott erlangen bis hin zur "mystischen Vereinigung". Zur Verteidigung reist Eckhart zum Papst nach Avignon. Wohl dort 1328 gestorben.