Hof - Lioba Happel hat mit neunzehn zu schreiben begonnen. Aus expressiver Not, wie sie sagt. Sie habe versucht, mit existenzieller Grundangst fertig zu werden, und sich manchmal gefragt, wie Menschen überleben können, wenn sie nicht schreiben. Triebfeder für ihre Lyrik waren die Verse von Rimbaud und Verlaine; deren Ton hatte sie gepackt. Auf der Suche nach der eigenen Melodie brütete sie oft stundenlang über einem einzigen, dem richtigen Wort. Zitat aus ihrem jüngsten Buch "land ohne land", das 2009 in der Schweizer Edition pudelundpinscher erschien: "jetzt fällt das schneegitter / im licht sitzen tote // pfeifen einen einzigen ton / den ich nicht erhöre."

Autorin und Erzieherin

Als Tochter eines Forstbeamten wurde Happel am anderen Ende von Franken, in Aschaffenburg, geboren. Aufgewachsen ist sie in unterfränkischen Dörfern. Nach dem Abitur in Würzburg begann sie ein Studium der Sozialpädagogik, erst in Bamberg, dann in Berlin. Doch weil ihr eigentliches Interesse der Literatur galt, wechselte sie nach zwei Vordiplomen, denen sie seither den Status einer Erzieherin verdankt, zur Germanistik über. Während sie in der damals noch geteilten Stadt studierte, von 1981 bis 1986, lernte sie viele Leute kennen, die in der Literaturszene später "etwas geworden sind". Es war, sagt sie, eine unglaublich spannende Zeit. Heute noch leben ihre besten Freunde in Berlin. Einen von ihnen, Ernest Wichner - Autor, Übersetzer, Herausgeber und Leiter des Literaturhauses Berlin -, hat sie jetzt in Hof wiedergesehen, im Hause seines Schwiegervaters, des hiesigen Schriftstellers Claus Henneberg.

Bald nach dem Studium, 1987, erschien beim Literarischen Colloquium Berlin Happels erster kleiner Gedichtband. Er hieß "vers reim und wecker" und brachte ihr den Hungertuch-Preis für die beste Erstveröffentlichung ein. Nach dem zweiten Buch, "Grüne Nachmittage", veröffentlicht im renommierten Verlag Suhrkamp, folgte der Leonce-und-Lena-Förderpreis, und 1991 rief "Literaturpapst" Marcel Reich-Ranicki bei ihr an, um mitzuteilen, ihr sei der Friedrich-Hölderlin-Förderpreis zuerkannt worden. In jenem Jahr legte Happel, wiederum bei Suhrkamp, auch ihren ersten Prosaband vor. Unter dem Titel "Ein Hut wie Saturn" erzählt sie darin mit viel Witz vom Versuch einer Pädagogikstudentin, englischen Unterschichtkindern in Coventry die Grundrechenarten beizubringen.

Es gab positive Besprechungen in Zeitungen, auch mit Stipendien, unter anderem für die Villa Massimo, wurde die junge Autorin verwöhnt. Alles lief gut, aber es blieb nicht so. 1996 kam Happels Tochter zur Welt, sie zog mit Ehemann und Kind nach Lausanne, wo sie gezwungen war, die französische Sprache zu lernen, und den Kontakt zur eigenen weitgehend verlor. So geriet sie mit dem Schreiben "in einen Stau". Von 2001 bis 2008 war sie als Deutschlehrerin an einer Privatschule tätig. Fremdenfeindlichkeit bekam sie zu spüren. Auf unerträgliche Weise wurde eine afrikanische Freundin beschimpft und gemobbt. Die schlimmen Erfahrungen verarbeitete sie in dem Buch "Lucy oder Warum sind die Menschen so komische Leute", das viel gelobt, aber wenig gekauft wurde. Auszüge daraus wurden in einem Schweizer Schulbuch gedruckt.

Mehr und mehr sehnte sich Happel nach Deutschland zurück. 2006 erwarb die Familie ein kleines Haus in Schirnding, wo man zunächst nur die Ferien verbrachte. Später wurden Mutter und Kind ganz dort heimisch, der Ehemann und Vater kam übers Wochenende hinzu. Inzwischen ist die Ehe zerbrochen, Happel suchte darum für sich und die Tochter eine Wohnung in Hof. Einen Job hat sie auch: Seit Beginn des Schuljahrs ist sie für Nachmittagsbetreuung an der Hauptschule in Helmbrechts engagiert. "Das ist ein Traum für jemanden, der wie ich immer am Vormittag schreibt."

Geschrieben hat Lioba Happel in jüngster Zeit sowohl Gedichte als auch Prosa. Ihre Lyrik beschäftigt sich neuerdings viel mit moderner Kunst. Als weitgehend abstrakt bezeichnet sie selbst ihre "Textgebilde", die Aussagesätze meiden und die gewohnte Sprache verfremden. Weg will die Autorin von den Gegebenheiten der eigenen Person. Um Laute, Nebenbedeutungen und Querverweise geht es ihr; viel, sagt sie, komme über die Musik: "Im nächsten Leben werde ich Musikerin."

Ganz anders ist ihre Vorgehensweise in der Prosa: Das Erzählen erscheint der Schriftstellerin, zu deren Vorbildern Jean Paul, Robert Walser und Frank McCourt ("Die Asche meiner Mutter") gehören, nur über Ironie und Abstand zu den Dingen möglich. So gut wie fertig hat sie einen Roman, der den Titel "In Gedanken, Worten und Werken" tragen soll. Erzählt wird von einer katholischen Kindheit, die teilweise ihre eigene ist. Happel hat auch schon vor Publikum daraus gelesen. Überhaupt sieht sie sich auf einem guten Weg zurück in die Szene. Mitte September reist sie für einen Lesetermin in die Schweiz. Und fest versprochen ist nach Erscheinen des Romans - sie hofft auf einen der großen Verlage - eine Lesung in Hof.

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