Hof - Es steht Schiller drauf. Und Schiller ist auch drin. Dennoch hat es mit Schiller nichts zu tun. Oder doch, schon: indem es dem, was der Dichter wohl hat sagen wollen, in allen Teilen widerspricht.

Sapir Heller macht Theater aus Stücken, die man einigermaßen kennen sollte, um sie in den Inszenierungen der hochbegabten Regisseurin wiederzuerkennen. In der vergangenen Spielzeit dekonstruierte sie aufs Eindrucksvollste "Des Teufels General". Jetzt, seit der mäßig besuchten, aber reich beklatschten Premiere am Freitag, führt sie dem Publikum des Theaters Hof neuerlich Bühnenkunst von fesselnder Zeitgenossenschaft vor, ganz anders als vor Jahresfrist, aber mit dem gleichen Ergebnis: überwältigend.

Sie hält Friedrich Schillers "Jungfrau von Orleans" für "eines der größten Stücke in der deutschen Literaturgeschichte". Man muss ihr nicht zustimmen. Man braucht es nicht, um ihrer Inszenierung folgen zu können. Ihre Regiearbeit, die sie gemeinsam mit der kongenialen Ausstatterin Ursula Gaisböck konzipierte, nimmt Schiller beim Wort, um ihn gegen ihn selbst anzuwenden: gegen seine wirr-fixe Idee eines "gerechten", womöglich gar "heiligen" Krieges; 1801 formulierte er sie als deutsche Antwort auf den französischen Imperialismus eines Napoleon Bonaparte. Jeanne d'Arc, das 18-jährige Schäfermädel, das die Franzosen siegreich in Befreiungsschlachten gegen die englischen Besatzer führte: Auch in Hof steht sie unter einem schwebend leuchtenden Heiligenschein. Doch nach 90 Spielminuten hat die junge Regisseurin die als "heilige Johanna" weltberühmte Titel-Antiheldin gründlich und aus gutem Grund demontiert.

"Da passiert etwas Grausames, warum verkauft man es als etwas Gutes?", fragt sie im Programmheft, in dem Dramaturg Thomas Schindler ihre Inszenierung zu Recht "pazifistisch" nennt. Das "Grausame" ist der Krieg, der um Johannas rotierendes Rundpodium herum unförmige Fleischberge aufschichtet. Nicht als letztes Mittel der Politik, sondern als ihr verabscheuungswürdigstes entlarvt ihn Heller.

Archaischer Mittel bedient sie sich dafür. Oder sind es doch moderne? Agitprop-Produktionen der Sechziger und Siebziger arbeiteten so, desgleichen das Schauspiel der griechischen Antike: Nur zwei Akteure gestalten ihre Rollen zu Figuren - wenn auch nicht zu Charakteren - aus, Marina Schmitz die Johanna, Oliver Hildebrandt den König, sozusagen als Protagonistin und Antagonist wie vor 2500 Jahren. Und so wie damals begleitet die beiden ein Chor, als Stichwortgeber oder Kommentator, Claqueur oder Anwalt der Gegenseite: die Damen Bryant und Stange, die Herren Bals und Brammer, Bregenzer und Hocke, Kampschulte und Stickel.

Gleichgeschaltet sind sie in der Sprache der Texte wie in Ton und Tönung ihres Sprechens: ein Trupp Uniformierter in orangen Kitteln; durch das schwarze Langhaar ihrer gleichförmigen Perücken verlieren sie buchstäblich das Gesicht. Wie Puppen lässt Johanna sie tanzen: lässt sie antreten und marschieren in komplizierten Formationen (Choreografie: Ewelina Kukushkina). Die Einförmigkeit bedeutet keine Monotonie: In der bestechend komponierten Klarheit des Bühnen-Bilds - gefärbt wie Frankreichs Trikolore Blau-Weiß-Rot/Orange - tun sich zwischen Chor und Spielern und auch innerhalb der Gruppen des Chors Spannungen und Spaltungen konfliktschwanger auf.

Schwanger wird Johanna selbst. Das (wie auch der eine oder andere von Tamara Pietsch hinzuerfundene Vers) steht bei Schiller nicht drin. "Der reinen Unschuld ihres Angesichts" handelt Marina Schmitz in der Haupt-, Heiligen- und "Heldinnen"-Rolle hartnäckig zuwider: Kein "Weib" will sie sein, zynisch schwelgt sie in einer macho-maskulinen Kampfbereitschaft, die keinen um sein Leben Flehenden verschont und die man, wie ihre Hände triefend kundtun, Blutdurst nennen darf. Sie nimmt für sich in Anspruch, "die Kriegerin des höchsten Gottes" zu sein, aber es klingt, als sagte sie "des bösen Gottes". Dann allerdings verfällt ihr hartes Herz doch einem "Engelländer" - und "Liebet eure Feinde", das christlichste Gebot des guten Gottes, wird ihr zu mehr als nur zur Sünde, wird zum Fluch.

Von ihrem König kommt keine Hilfe: Hoch auf einem Quader hampelt, kreischt und gruselt sich Oliver Hildebrand durch die Höhen und Tiefen des Kriegsglücks seiner Truppen, ein jammerlappig-infantiler Möchtegern-Monarch à la Ubu. Im Schmerz bleibt die unheilige Johanna allein: im Seelenschmerz der restlos Einsamen ("Liebt mich, doch betet mich nicht an"), im Todesschmerz ihrer perversen messianischen Mission, wenn sie erhöht an Seilen hängt wie eine Gekreuzigte. Im Geburtsschmerz: Ihr Nachwuchs (Sarina Burger, herzhaft) tritt verkleinert wie sie selber auf, ein Kriegerinnen-Klon.

Das wollte der Dichter wohl nicht sagen: Es geht so weiter und so weiter; auch wo Frieden draufsteht, ist oft Krieg drin; der Schoß ist fruchtbar, aus dem das Böse fortzeugend immer Böses muss gebären.

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Nächste Vorstellungen: Mittwoch, Freitag, Samstag, jeweils um 19.30 Uhr.