Hof - Einen Tag, bevor David Bowie starb, brach in Hof ein Balkon von der Hauswand. An jenem 11. Januar, als die Nachricht vom Tod der Pop-Ikone durch die Medien geisterte, befasste ich mich also mit dem Thema Mietrecht, hing am Telefon, sprach mit Rechtsanwälten. Ich hatte an jenem Morgen verschlafen. Das Radio war ausgeblieben, die Facebook-Timeline ungecheckt. Neben einem Artikel mit einer Überschrift der Art "Welche Urteile Sie als Mieter kennen sollten" muss sich die Schlagzeile dann in meinen Augenwinkel gemogelt haben: "David Bowie ist tot."

Das konnte nur ein Scherz sein, dachte ich. In einer Stunde würde die Richtigstellung veröffentlicht. Stunden verstrichen. Kein Dementi. Unglaube wich Akzeptanz und Trauer. Zu Hause legte ich "Hunky Dory" auf, eine meiner liebsten Bowie-Platten, stellte mich vor den Spiegel und schmetterte mit einer leeren Wasserflasche als Mikro-Ersatz: "Is there life on maaaaa-ha-ha-ha-hars?" Und ja: Es flossen Tränen.

Rückblende in die späten Nullerjahre: Mein Teenage-Ich sitzt, geplagt von Akne und dem ersten Liebeskummer, vor dem PC. Ich hatte Heavy Metal zu meiner Musikrichtung erkoren. Die Cello-Metaller Apocalyptica waren die Band der Stunde. Auf YouTube hörte ich mich durch ihr aktuelles Album. Ein Song ließ mich aufhorchen: "Helden", ein Cover von Bowies "Heroes". Schnell machte ich den Original-Interpreten ausfindig, der mich von diesem Moment an nicht mehr loslassen sollte.

Als echter Metalhead hatte ich mir die Haare beinahe bis zu den Ellenbogen wachsen lassen. Statt jedoch auszusehen wie einer der von mir verehrten hypermännlichen Extrem-Metaller, wirkte ich mangels sekundärer Geschlechtsmerkmale, die mich eindeutig als Junge ausgewiesen hätten, am Ende vor allem: ziemlich fraulich. Die Häme der Klassenkameraden war mir sicher. Ich machte mir einen Spaß daraus, meinem Ruf den letzten Sargnagel zu verpassen, um fortan, wie es das Sprichwort will, völlig ungeniert zu leben: Ich kam mit kajalbewehrten Panda-Augen, lackierten Fingernägeln und abenteuerlichen Föhnfrisur-Kreationen in den Unterricht. Das Geschlechtergrenzen überwindende, sich ständig mit neuen Alter Egos versehende Zwitterwesen Bowie kam mir auf der Suche nach meiner eigenen Geschlechteridentität als Orientierungshilfe gerade recht. Denn aus dem gesamten Schaffen des Exzentrikers spricht eine Botschaft: "Du bist okay so, wie du bist."

Wir schreiben das Jahr 2017. Leonard Cohen ist tot. Prince ist tot. George Michael ist tot. Die Akne ist verschwunden und den Kajalstift hole ich nur noch vor Gothic-Konzerten raus. Ausnahmsweise habe ich mir einen guten Vorsatz gefasst: Ich muss meine alternden Helden live sehen. Dass ich niemals die Gelegenheit dazu bekommen werde, dem Mann, dessen Werk mich viele Jahre lang begleitet hat, gegenüberzustehen, fühlt sich an wie eine klaffende Wunde in meinem Dasein als Musik-Fanatiker, die sich nun nicht mehr schließen kann. Zumindest gibt es ein Gegenmittel gegen den pochenden Schmerz: "Let's dance" auflegen und wild durchs Zimmer tanzen - es Bowie gleichtun: Leben. Ohne Hemmungen. Ganz ungeniert.

Der Autor

Unser Volontär Nico Schwappacher ist Musik-Sammler, Sänger und Bowie-Fan. Auf dem Gymnasium hat er sich in einer Seminararbeit mit dem Titel "David Bowie - Leben, Wirken und Nachwirken des einflussreichsten Beeinflussten der Popgeschichte" wissenschaftlich mit dem Werk der Pop-Ikone auseinandergesetzt.