Sein Ruhm beruhte auf einem Missverständnis: Dem Roman „Lolita“ von Vladimir Nabokov, der 1955 zunächst im Pariser Underground-Verlag Olympia Press veröffentlicht wurde, eilte der Ruf voraus, obszön, pornografisch und also skandalös zu sein. Ein Verbot in den USA trug dazu bei, das Buch zum Welterfolg zu machen. Wer aber „scharfe Stellen“ darin suchte, wurde enttäuscht: Der Autor, ein genialischer Außenseiter der Weltliteratur, erzählte eine schöne und subtile Liebesgeschichte, an der freilich ungewöhnlich war, dass ein erwachsener Mann ein sehr junges Mädchen liebte. Schon vor „Lolita“ hatte Nabokov – erst auf Russisch in Berlin, dann auf Englisch in Amerika – einiges geschrieben, was ihn hätte berühmt machen müssen. Doch sein Frühwerk wurde kaum wahrgenommen. Der Autor, 1899 in St. Petersburg geboren, war ein Junge aus reichem Hause, ein Millionär – aber das blieb er nicht lange. In der Emigration führte er nach eigenen Worten „ein Leben in materieller Armut und intellektuellem Luxus“. Insgesamt schrieb er 18 Romane, in denen er früh schon das „Lolita“-Thema der Abhängigkeit, der Hörigkeit, der Leidenschaft und der Obsession aufgriff. Doch Gedanken oder gar „Botschaften“ zählten für ihn weniger als Stil; Neuerfindung der Realität hieß sein Programm. Nebenbei war er ein leidenschaftlicher und international geschätzter Schmetterlingsforscher. Freude an Tennis und Fußball hatte er auch, und im Schachspiel sah er Analogien zur Literatur: „Täuschende Eröffnungen, falsche Fährten, trügerische Lösungswege, mit Scharfsinn und Liebe entworfen.“ Über sein hochkomplexes Alterswerk „Ada oder Das Verlangen“ schrieb Kollege Gerhard Zwerenz: „Wer wissen will, was ein erotischer Roman ist, hier kann er’s lernen.“ Und als Nabokov heute vor 30 Jahren in der Schweiz, wo er seit 1962 in einem Hotel gewohnt hatte, gestorben war, nannte ihn der Literaturkritiker Marcel Reich-Ranicki einen „Dichter der Liebe“ und „einen der größten Erotiker des 20. Jahrhunderts, weil er uns alle Grade und Schattierungen der Zuneigung eines Menschen zu einem anderen sehen und spüren lieߓ.