Berlin (dpa) - Liza Cody hat ihren Kriminalroman «Miss Terry» schon einige Jahre vor dem Brexit verfasst. Doch ihr jetzt auf Deutsch erschienenes Buch ist aktueller denn je. Vordergründig geht es darin um einen Babymord, aber die eigentlichen Themen sind Alltagsrassismus, Diskriminierung und Polizeiwillkür. Am Beispiel einer jungen Lehrerin, die zu Unrecht unter Mordverdacht gerät, zeigt Cody, wie leicht sich Vorurteile, Stimmungen und Gerüchte mobilisieren lassen, zumal wenn es um Menschen anderer Kultur und Hautfarbe geht.

Die inzwischen 72-jährige Cody, die in einem früheren Leben Wachsfigurenrestauratorin, Malerin und Fotografin war, ist auch bei uns seit langem als Roman- und Krimiautorin erfolgreich. Erst 2015 wurde sie für «Lady Bag» mit dem Deutschen Krimi-Preis ausgezeichnet. Ihre Heldinnen wie etwa die Detektivin und Catcherin Evy Wylie sind oft gegen den Strich gebürstet.

Die Protagonistin des neuen Romans Nita Tehri ist dagegen eher sanfter Natur. Die Tochter indischer Migranten ist in Großbritannien geboren, in diesem Land aufgewachsen und britische Staatsbürgerin. Zudem ist sie eine erfolgreiche Grundschullehrerein. Trotzdem muss sich die junge Frau wegen ihrer dunklen Haut immer wieder anhören, wie gut sie Englisch spreche. Nita erträgt solche Gedankenlosigkeiten ebenso wie die Tatsache, dass ihr Name stets zu «Miss Terry» verballhornt wird. Sie hat gelernt, sich bis zur Selbstverleugnung anzupassen: «Es genügte nicht, britisch sein zu wollen. Das musste man sich verdienen, Tag für Tag, das ganze Leben lang.»

Leistungsbereitschaft und Rechtschaffenheit sollen ihr einen Platz in der Gesellschaft sichern. Nita ist dabei einen weiten und einsamen Weg gegangen. Weil sie sich nicht den autoritären Regeln ihrer Familie unterwerfen wollte, musste sie mit ihr brechen, was ihr schwer zu schaffen macht. Nun aber muss sie erkennen, dass sie weder Teil der einen noch der anderen Gesellschaft ist. +

Ihr Unglück beginnt, als eines Tages ein Müllcontainer vor ihrem hübschen Reihenhaus in der Guscott Road aufgebaut wird, um dort Bauschutt abzuladen. Plötzlich taucht die Polizei bei ihr auf und stellt seltsame Fragen, so ob sie vor kurzem schwanger war. Zudem verlangt sie einen DNA-Nachweis. Gleichzeitig beginnen die Nachbarn zu tuscheln und ihr aus dem Weg zu gehen. Eher zufällig erfährt sie, dass ein totes Baby in dem Müllcontainer gefunden wurde und ausgerechnet sie unter Mordverdacht steht.

Die Polizei benimmt sich ihr gegenüber ruppig und unverschämt, macht sich keinerlei Mühe, ihre Vorurteile zu verbergen. Auch der Schuldirektor geht auf Abstand, verlangt, dass sie dem Dienst vorerst fernbleibt. In der Zeitung erscheinen verleumderische Berichte, aufdringliche Reporter belagern ihr Haus. Dann wird sogar ein Brandanschlag verübt. Zum Glück gibt es ein paar Menschen, die zu ihr halten wie das benachbarte Schwulenpärchen oder der charmante Detektiv Zach. Nita muss lernen, ihre Opferrolle aufzugeben. Das ist aber gar nicht so leicht, wenn man ein Leben lang das brave Mädchen war.

«Miss Terry» ist eher Sozialroman als Krimi, doch fehlt ihm das Düstere und Depressive, das diesem Genre oft anhaftet. Cody erzählt mit großer Leichtigkeit, ja teilweise sogar Komik eine eigentlich nicht sehr erfreuliche Geschichte. Ihre tapferere Heldin, die Außenseiterin zweier Kulturen, ist eine Sympathieträgerin, der man als Leser gerne manchmal auf die Sprünge helfen würde, denn ihre Vertrauensseligkeit und Gutgläubigkeit schmerzen. Cody ist ein warmherziger Roman mit einer klaren Botschaft und starken Figuren gelungen, dazu ein nicht sehr schmeichelhaftes Porträt der britischen Gegenwartsgesellschaft mit ihren rassistischen Untertönen. Und ja, das Buch ist auch ein Krimi mit einem spannenden Plot.