Herr Lerchenberg, die Frankenpost hat in ihrer Kritik der Luisenburg-Produktion "Glaube und Heimat" auf Bezüge des Autors, des österreichischen Dramatikers Karl Schönherr, zur Ideologie des Nationalsozialismus hingewiesen. Auch die Österreichische Nationalbibliothek oder das Kulturhaus Karl Schönherr in Schlanders in Südtirol verorten seine Stücke in der Nähe der "Blut und Boden"-Dichtung. Sie verwahren sich dagegen. Wie sehen Sie den umstrittenen Autor?

Hier wird ein moderner literaturwissenschaftlicher Begriff auf einen Schriftsteller in seiner Zeit angewandt. Grundsätzlich darf man fragen, was das überhaupt ist: Blut-und-Boden-Dichtung.

Das sagen Germanisten ziemlich klar: Literatur, wie die Nazis sie bevorzugt förderten, Werke, die "völkisches Lebensgesetz" und "schollenhafte Blutsgemeinschaft" darstellen, bei einer oft kolportagehaften Handlung und altertümelnd pathetischen Sprache ...

An solch einer Messlatte gemessen, passen auch Hauptmanns "Florian Geyer", Schillers "Tell", Goethes "Götz" ins Schema. In Schönherrs "Glaube und Heimat" kommen beide Wörter, "Blut" und "Boden", vor - in einem Volksstück, das wohlgemerkt 1910 erschien. Mithin stammt es, wie die genannten Dramen, aus einer Zeit, als keiner an den Nationalsozialismus und seine "Blut und Boden"-Ideologie auch nur dachte.

Sie meinen also, wer den Autor oder das Drama verurteilt, tut dies aufgrund eines Gesetzes, das erst nachträglich erlassen wurde?

Natürlich. Und das trifft bei mir einen neuralgischen Punkt. Heute fällt es aus sicherer Entfernung sehr leicht, den Stab zu brechen. Aber das ist unstatthaft. Gegen die Einstufung als regime- und ideologiegemäßer Künstler durch NS-Reichsdramaturgen im Jahr 1933 konnte sich keiner wehren, schon gar nicht der damalige Ausländer Karl Schönherr, der übrigens 1938 beim "Anschluss" seiner Heimat Österreich an Hitlerdeutschland bereits über siebzig war und der seiner jüdischen Ehefrau das Überleben und Wohlergehen in diesen Zeiten sichern wollte, was ihm bis über seinen Tod 1943 hinaus auch gelungen ist. Wer sind wir, dass wir ihm das heute vorwerfen?

Allerdings nahm Schönherr den "Anschluss" Österreichs nicht nur hin, sondern begrüßte ihn ausdrücklich, in hymnischen Versen: "Nun sind wir wieder ein gewaltiges Land, / so wie in alter Zeit, / das keine Welt auseinanderreißt."

Den Satz finde ich in keiner Weise anrüchig, und er ist aus der Zeit erklärbar. Bedenken Sie: 1918 ging das große österreichisch-ungarische Kaiserreich zugrunde. Den erklärten politischen Willen einer Reichseinigkeit des fortan unbedeutend kleinen Österreichs mit Deutschland gab es schon 1919, nur wurde sie durch die Siegermächte verboten. Schönherr beschwor also die alte Idee des alten Heiligen Römischen Reichs deutscher Nation.

Bei allem Respekt: Das können Sie nicht ernst meinen. Im Angesicht Hitlers und mit dem Marschtritt seiner Kolonnen im Ohr soll Schönherr öffentlich den Staat des Mittelalters propagiert haben ...

Doch, und da wir Gegenteiliges von ihm nicht wissen, unterstelle ich ihm auch nichts. Er huldigte nicht dem neuen Regime, sondern dem Umstand, dass zusammenfand, was zusammengehörte. Er sah, wie viele Österreicher damals, eine Vision endlich Wirklichkeit werden.

Noch einmal zurück zum Begriffspaar "Blut und Boden": Auf der Wunsiedler Naturbühne spielt sich "Glaube und Heimat" über weite Strecken in einem schrägen, quadratischen Feld voller "Boden" - knöchelhoch flockiger Erde - ab, in dem reichlich "Blut" versickert. In einer Stadt, in der Rudolf Heß begraben lag, in der noch heute Nazis aufmarschieren und die sich vehement gegen ein braunes Image wehrt - da kann eine solche szenische Umsetzung kein Zufall sein.

Sie stellen in Ihrer Frage einen Konnex her, den ich in aller Entschiedenheit zurückweisen muss. Was hat denn dieses Bühnenbild mit Heß und den Neonazis zu tun? Jetzt wird es absurd. Ich arbeite als Regisseur bewusst mit diesem Boden im Sinn von Heimaterde, und das Blut steht nun mal für Gewalt. Dass beide Begriffe diese Belastung durch Literaturwissenschaftler erfahren, interessiert mich als Theatermacher nicht. Dann dürfte ich "Macbeth" auch nicht spielen. Ich wollte einen spannenden, dem Stück entsprechenden, die Schauspieler fordernden Spielraum, und den habe ich, wie selten zuvor auf der Luisenburg.

Aber die nationalsozialistische Lesart liegt dadurch ziemlich nah.

Wieso? Wo in dem Stück steht denn das? Die Nazis dürften dieses Schauspiel Schönherrs nicht richtig gelesen haben. Darin spricht ein Aufrührer gegen die Staatsmacht Sätze wie: Ihr könnt mich brechen, aber nicht biegen - unmöglich hat dergleichen Hitler gefallen können. "Wilhelm Tell" hat er ja auch verbieten lassen, allerdings erst 1941. Oder der Reiter, der fanatisch im Dienst des katholischen Kaisers eine Todesschwadron anführt: Wie ein verblendeter Hakenkreuz-Ritter tritt er auf; und Schönherr lässt ihn zu den Protestanten, die er aus dem Land jagt, geradezu erschreckend Visionäres sagen: Wir werden mit eurem Fett unsere Stiefel schmieren. Als hätte er geahnt, was keine 25 Jahre später in den NS-Todesfabriken geschah. Oder die Vertreibung Andersgläubiger. Ich verstehe diese Tragödie in modernem Sinn als hochpolitisch, ähnlich wie die brechtschen Parabelstücke.

Apropos verstehen. Während der Premiere saß ich in Reihe fünfzehn und verstand - bei medizinisch zertifiziertem exzellenten Gehör - nur die Hälfte der Dialoge. Wie geht das zu?

Das weiß ich nicht: Es kann nicht sein. Ihre Kritikerkollegen, die teils ungünstiger saßen, verstanden alles. Über Textverständlichkeit diskutieren wir auf der Luisenburg dauernd, und meine Aufgabe als Intendant ist es, sie dauernd abzuprüfen. Ich bin altmodisch: Bei meinen Schauspielern lege ich größten Wert auf Sprechkultur und bei der Akustik auf sprachliche Klarheit. Permanent an beidem zu arbeiten, ist unser tägliches Brot.

Nun freilich macht die Naturbühne das Spielen und Sprechen nicht leicht. Dreißig Meter breit und ebenso hoch: Da weiten sich Gänge enorm und lassen sich nur im Laufschritt absolvieren. Und statt nuanciert zu reden, müssen die Akteure ihre Stimmen fortgesetzt zum Ruf erheben. Für Intimität, Dezenz und Diskretion ergibt sich nicht viel Gelegenheit.

Und doch versuchen wir es. Diese Bühne hat eine hervorragende Sprechtheaterqualität, aber wir müssen damit sehr bewusst arbeiten. 2006 haben wir hier Anton Tschechows "Möwe" gemacht, ein Stück voller seelischer Valeurs, und das hat auch funktioniert.

Heuer geht es derber zu. Gäbe es nicht anderes, Besseres, weniger Verdächtiges als "Glaube und Heimat"? Muss es Schönherr sein?

Dieses Stück muss auf diese Bühne. Beide passen zusammen, als wären sie füreinander gemacht. Wir spielen den Stoff hier an einer Schnittstelle von Katholizismus und Protestantismus, in einer Region, die sehr ähnliche Ereignisse einst selbst erlebte. Auch nach Franken wanderten viele vertriebene Lutheraner ein; in der Erinnerung etlicher Menschen hier ist davon selbst 400 Jahre später noch einiges erhalten. "Glaube und Heimat" ist ein starkes Stück. Würde der Autor Maier heißen, würde ich's auch spielen. Die Fragen stellte

Michael Thumser

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Nächste Vorstellungen: heute, Samstag, 20.30, morgen, Sonntag, 15 Uhr.