Hof - "Ich werde Franz Kafka nicht los", sagt Reiner Stach. Im vergangenen Jahr hat der 1951 in Sachsen geborene Berliner seine drei Bände umfassende Biografie über den berühmten Autor der Romane "Der Prozess" und "Das Schloss" vollendet. Seither war er mit Lesungen so oft unterwegs, dass er kaum noch wusste, wo er sich aufhielt. Und neuerdings führt er, in Kooperation mit der Reisehochschule Zürich, Fans des Schriftstellers durch "Kafkas Prag", jeweils vier Tage lang.

Nebenbei hält er Kontakt zu Autoren, die sein romanhaft erzähltes Werk in andere Sprachen übersetzen, und das Tollste kommt noch: Ab 2018 wird seine Biografie fürs Fernsehen verfilmt. Geplant sind, wie Stach nach einer Mischung aus Lesung und Vortrag in der Galerie im Theresienstein des Kunstvereins Hof erzählte, acht Teile auf Kino-Niveau mit einem Budget "am obersten Limit". Das macht Dreharbeiten an Prager Originalschauplätzen möglich. Stach wird als Berater dabei sein.

Kafka, der 1883 als Jude in Prag geboren wurde und 1924, kurz vor seinem 41. Geburtstag, in Klosterneuburg/Österreich gestorben ist, war schon Thema von Reiner Stachs Doktorarbeit. Danach arbeitete der Literaturwissenschaftler als Lektor, unter anderem für den S. Fischer Verlag, in dem 2002, 2008 und 2014 die drei Bände der Biografie erschienen sind - "Die Jahre der Entscheidungen", "Die Jahre der Erkenntnis" und schließlich "Die frühen Jahre".

Über den Anfang also schrieb Stach zuletzt. Das hat einen Grund: Der Autor hoffte, dass der juristisch umstrittene Nachlass des Kafka-Freundes Max Brod, eine für die Jugendjahre wichtige Quelle, noch zugänglich würde. Letztlich aber musste es ohne ihn gehen. Trotzdem, sagt Stach, gebe es keine sachliche Lücke.

Allein über die zuletzt veröffentlichten "frühen Jahre", die den Zeitraum bis 1910 und Kapitel wie "Zur Hölle mit der Germanistik" und "Bei den Dirnen" umfassen, schrieb Stach stattliche 500 Seiten, weitere 100 mit Anmerkungen sind angefügt.

Es gab eine zentrale Frage, die er sich stellte: Wie kommt es zu so einem Werk? Zu Romanen und Erzählungen, die ihren Autor dazu befähigten, eine Welt anonymer Überwachung vorauszusehen, und die ihn, wie Fachleute sagen, zum Begründer der literarischen Moderne und zum Dichter unserer Zukunft machten. "Genie", weiß Stach, "fällt nicht vom Himmel." Impulse dafür müssen in der Lebensgeschichte zu finden sein.

Zum Beispiel beim Hauptproblem, das Kafkas frühe Kindheit prägte: Einsamkeit. Vater und Mutter hatten von Montagfrüh bis Sonntagmittag in ihrer Galanteriewarenhandlung zu tun, um das Kind kümmerte sich häufig wechselndes tschechisches Personal, sodass der kleine Franz an niemandem Halt finden konnte außer an sich selbst. Der frühe Tod zweier Geschwister bestärkte sein Misstrauen in jegliche Beständigkeit.

In seinem Leben als Erwachsener folgte daraus, dass er die Frauen, die ihm zugetan waren, mit dem Wunsch nach ständiger Bestätigung nervte. Nie vermochte er Vertrauen zu entwickeln, in seinem gesamten Werk schildert er keine liebevolle Beziehung. Er selbst befand: "Ich lebe in einer Zelle."

Und das in einer Zeit gewaltiger technischer Umbrüche: Das Kino, das Auto, die Verbreitung des Telefons und nächtliches Licht auf den Straßen revolutionierten den Alltag, in die Arbeitswelt hielt die Akkordarbeit Einzug - auf die "gute alte Zeit" folgte ein "Zeitalter der Nervosität". Kafka zeigte sich an allem technischen Fortschritt sehr interessiert, stand andererseits aber auf der Seite jener "Lebensreformer", die mit einer Zurück-zur-Natur-Strategie dagegenhielten.

Diese und viele andere Aspekte finden Berücksichtigung in der Biografie, mit der Stach ein Setting schildert, in das er Kafka hineinsetzt. Dass es in 18-jähriger Arbeit auf großartige Weise gelang, kommentiert er bescheiden: "Ich habe Glück gehabt." Andere sind an Aufgaben von ähnlichem Umfang gescheitert: Jean-Paul Sartres Werk über Gustave Flaubert blieb ebenso unvollendet wie die Goethe-Biografie des Briten Nicholas Boyle. Im Fall "Stach über Kafka" ging trotz eines finanziellen Engpasses am Schluss alles gut. Freilich hat das Happy End seinen Preis: Reiner Stach, dem andere Sachbuch-Projekte im Kopf herumgehen, wird Franz Kafka nicht los.

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Reiner Stach: Kafka - Die frühen Jahre. S. Fischer, 608 Seiten, 34 Euro.