"Schnee ist wenig da. Verflucht wenig." In einem Brief an seine Mutter beklagt Erich Kästner am 28. Januar 1930, dass an seinem Urlaubsort Oberstdorf - mitten im Winter - "nicht ein Fünkchen Schnee" liegt. In dem Gedicht "Nennt sich das Winter?", das zur gleichen Zeit entstand, formuliert es der Dichter so: Heut Morgen traf ich nun im Allgäu ein. / Die Welt ist grün. Der Schnee liegt in Portionen, / als sei er vom Verschönerungsverein / für die herangerollt, die nun hier wohnen.

Diese Textbeispiele ein und desselben Autors zeigen zweierlei: Erich Kästner schrieb privat - zumal an seine Mutter, die ihm eine enge Vertraute war, - in knappen Sätzen, fast im Telegrammstil, nur das Nötigste: Was er ausdrücken wollte, steht zwischen den Zeilen, und die Empfängerin der Briefe konnte es ohne Weiteres entschlüsseln. Und: Erich Kästner liebte den Schnee.

"Ganz besonders Schnee und Sonnenschein im Hochgebirge", wie Sylvia List im Vorwort schreibt, die das Gesamtwerk des Schriftstellers samt Briefen nach entsprechenden Textstellen durchforstet hat. Im Schnee, diesem - seinem - "gefrorenen Paradies" fühlte sich der berühmte Mann wohl, hier konnte er sich entspannen, fand er Ruhe - selbst wenn er sich Arbeit mitgebracht hatte.

Nachzulesen ist dies alles in dem Buch "Kästner im Schnee", das, herausgegeben von Sylvia List, nun bereits in dritter Auflage im Züricher Atrium-Verlag erschienen ist. Das rund 200 Seiten starke kurzweilige Lesebuch ist die ideale Lektüre für Kästner-Liebhaber und alle, die es werden sollten.

Die Auszüge aus seinen berühmten Büchern wie "Das fliegende Klassenzimmer" oder "Drei Männer im Schnee" und aus weniger bekannten Texten sind eine Fundgrube; und selbst in seinen Gedichten schwingt die amüsante (Selbst-)Ironie mit, die der Leser so schätzt an Kästner und seiner Art, die Welt zu sehen.

Mit Bildern ist das Buch sparsam ausgestattet. Umso wichtiger war die Auswahl der Schwarz-weiß-Dokumente, die die Herausgeberin getroffen hat. Und die ist ihr gelungen. Da ist die berühmte Darstellung der Schneeballschlacht-Szene aus dem "Fliegenden Klassenzimmer", die Walter Trier 1933 für den Buchumschlag der Erstausgabe zeichnete. Da ist zum Beispiel eine Postkarte, die Kästner aus dem Berg-Idyll an seine Mutter schickte. Da ist die Zeichnung "Wintersport im Hochsommer", die Erich Ohser 1928 für die Neue Leipziger Zeitung schuf. Und da ist tatsächlich eine Fotografie, die den Meister selbst zeigt; man muss allerdings schon sehr genau hinsehen, denn sie zeigt ihn hoch droben beim geliebten Sonnenbad, aus diskreter Entfernung. Kerstin Starke

-----

Sylvia List (Hg.): Kästner im Schnee. Geschichten, Gedichte, Briefe von Erich Kästner. Atrium-Verlag, gebunden, 201 Seiten, 12 Euro.