Maßgeblich beteiligt sich an ihm das Hormon Adrenalin. Denn auf emotionale Belastungen, nicht zuletzt auf Verlust und Trauer reagiert der Körper so, auf Unglück überhaupt. Effi Briest, die wohl populärste Romanheldin Theodor Fontanes, ging bekanntlich so zugrunde.

„Herzruptur“, einen „Riss“ tief in der Brust, konstatierte fünf Jahre vorher schon der Arzt der gewesenen Komtesse Maria von Wolfsberg, die seit der Heirat auf Schloss Dornach residiert. Sie erleidet das gleiche literarische Schicksal: Eine „gute Partie“ hat sie gemacht, als sie, dem Papa gehorchend, den Aristokraten Hermann als immerhin geachteten Bräutigam akzeptierte. Die Liebe, heißt es, werde schon kommen. Und sie kommt, und wächst. Aber ein Galan von einst tritt ihr in den Weg: Im „Sinnenrausch“ erliegt Maria dem Feuer des Filous, für eine halbe Stunde nur. Doch auf immer ehrlos kommt sie sich fortan vor, zumal der unwissende, tolerante Gatte sie auf Händen trägt. So beschwört sie das Unheil selbst herauf, das ihre Familie zerstören wird.

„Unsühnbar“: 1889 erzählte Marie von Ebner-Eschenbach die Geschichte – eine psychologisch und sittengeschichtlich aufschlussreiche Beziehungsstudie, die sie als Ehe- und Gesellschaftsroman bemäntelte. Gerade noch rechtzeitig vor dem 100. Todestag der bedeutenden Erzählerin am heutigen Samstag veröffentlichte der Manesse-Verlag den Text aufs Neue und gab Erläuterungen bei, die das Wenige aufhellen, das darin dem historischen Horizont des heutigen Lesers entrückt sein mag.

„Nur ruhig!“, gibt Vater Wolfsberg der Tochter als Lebensmotto mit. „Nur korrekt!“, ergänzt Hermann, der Heiratskandidat. Mit „Entschlossenheit, Seelenstärke, Klarheit“ trachtet die Braut den Ansprüchen der Männerwelt lauter zu genügen. Die lebt weiter fröhlich in althergebrachter Doppelmoral: Die Herren stillen ihre Lust gern außer Haus; ihre Gemahlinnen hingegen wünschen sie sich unbescholten. Maria ist es nicht – und spricht sich selbst das Urteil. Auf einen Kniff verfiel die Autorin dabei, den ihr Zeitgenosse Fontane vermied: Ihre Heldin verscherzt sich ihre Berufung, „ein Kind der neuen Zeit“ zu sein. Zum einen wendet sie sich (wie Ebner-Eschenbach selbst) mit dem Gemahl endlich gegen die „Gewalt“, mit der feudale Herren ihre Untergeben seit allzu langer Zeit entrechten; zum andern fände sich die feine Gesellschaft wohl fortschrittlich bereit, der reuigen „Sünderin“ den Fehltritt nachzusehen. Maria aber meint, solche Langmut vermehre ihre Qual: „Die Sühne, nach der sie rief, lag gewiss in der Einsicht, dass es ihr verwehrt sei, zu sühnen.“

Kein Hohelied auf bedingungslose eheliche Treue singt die Autorin; eines auf die Liebe – nicht zuletzt die Hermanns – schon. Die freilich, schreibt Sigrid Löffler im Nachwort, scheitert im 19. Jahrhundert an der „Ökonomisierung“ des „romantischen Liebesideals“. Echte Zuneigung, deutet die renommierte Literaturkritikerin an, galt unter Geldleuten vielfach als „Verschwendung“, bestenfalls als „Kollateralbonus“ im Schacher um sogenannte guten Partien.

Gegen solchen Primat von „Rang und Reichtum“ tritt Ebner-Eschenbachs Adels- und Sozialkritik an; lang, lang vor der sexuellen Revolution eine behutsam, doch unmissverständlich formulierte Haltung. Ihr Roman führt vor, wie Standeszwang und partnerschaftliche Ungleichheit ein Herz zerreißen, das sich eine Freiheit herausnahm. Enttäuschte Liebhaber heute verlieren manchmal den Verstand. Meist finden sie ihn wieder. Liebestod kommt vor, ist aber nicht die Regel.

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? Marie von Ebner-Eschenbach: Unsühnbar. Manesse-Verlag, 346 Seiten, gebunden, 22,95 Euro.