Hof - Wie schreibt man heutzutage ein Musical? Wacht der Komponist mitten in der Nacht auf und hat die Melodie im Kopf? Liest er einen Roman und weiß: Daraus lässt sich ein Musikstück machen? - Paul Graham Brown weiß gar nicht mehr so genau, wie er zu seinem Musical "Der große Houdini" gekommen ist. Immerhin liegen zwischen dem ersten Song zu dem Stoff - der inzwischen längst wieder gestrichen wurde, aber unverzichtbar war, da er den Stil, die Grundidee für die Musik markierte - und der Uraufführung am kommenden Freitag im Theater Hof gut 15 Jahre. "Das ist natürlich extrem lang", lacht der Engländer, der in Lincoln aufwuchs und in Leeds studierte. Zumal für ihn, der in seiner Anfangszeit zusammen mit Kollegen an fünf Tagen fünf sogenannte Mini-Musicals komponiert, geschrieben und als Vorprogramme anderer Shows aufgeführt hat.

Seitdem lässt er sich dann doch ein wenig mehr Zeit: 2001 hatte er sein Deutschland-Debüt als Komponist in Heilbronn mit "Bonnie & Clyde", das später auch im Vogtlandtheater Plauen lief; es folgten "King Kong" - das in der Spielzeit 2012/13 in Hof zu sehen war -, "Show Dogs", "Dynamite!", "Feengeflunker" und weitere Musicals.

An Harry Houdini, dem legendären Zauberer und Entfesselungskünstler, faszinierte Brown zum einen dessen Umfeld: die Welt des Zirkus', des Varietés in der Zeit um die Wende zum 20. Jahrhundert. "Daran kann man sich beim Komponieren orientieren, und ich wusste damals schnell, welche Musik ich wollte: die nostalgische des Vaudeville und des Zirkus', vermengt mit ein wenig amerikanischer Folkmusic, und das alles gespielt mit dem Instrumentarium der damaligen Zeit."

Neben den attraktiven Rahmenbedingungen rund um den Magier interessierte den Autor Brown auch dessen Innenleben: Die Entwicklung eines Jungen, der als vierjähriger Erik Weiss mit seiner Familie aus Ungarn in die USA eingewandert war und als Heranwachsender den amerikanischen Traum leben wollte. Aus ärmlichsten Verhältnissen und nach dem Verlust des Vaters, der die Familie verließ, um anderswo Geld zu verdienen,arbeitete sich Harry Houdini, wie er sich als Magier nannte, schnell nach oben.

Vor allem spektakuläre Entfesselungsnummern wurden sein Markenzeichen, die er auch entsprechend in Szene zu setzen und als große Show zu präsentieren wusste. "In einer neuen Stadt ging Houdini zuallererst ins Polizeirevier und forderte die Polizisten auf, ihn zu fesseln und einzuschließen", erzählte Chris Murray, der die Hauptrolle übernommen hat. "Er kam immer frei." Houdini sei, fuhr Murray fort, überaus egozentrisch und exzentrisch gewesen; so habe er mit seiner Frau Bess immer über Postkarten kommuniziert - von einem Zimmer ins andere, auch habe er Faible für Friedhofsgerätschaften und Folterinstrumente als Wohnungseinrichtung gehabt.

Für ihn sei es ein Riesenspaß gewesen, die Figur für sich zu erarbeiten, berichtete der Musicaldarsteller, den das Hofer Publikum noch vergangene Spielzeit als Jesus in "Jesus Christ Superstar" erlebte. Für die Rolle lernte Murray einige Tricks von einem echten Magier: "Das war spannend!" Unter anderem muss er sich während des Stückes mehrmals in zehn Metern Höhe entfesseln. "Houdini lebte an der Wasserscheide unserer Zeit - damals kamen gerade elektrisches Licht, Motoren und Automobile auf; er war vielleicht der erste Superstar überhaupt." Bei aller Show gehe es aber auch um die psychologische Zeichnung einer Figur von innen heraus, fügte Chris Murray an: "Es ist das Innenleben der Figur, seine Verlustängste, die das Stück interessant machen."

Murray wie auch Cornelia Löhr, die Houdinis Ehefrau Bess spielt, und Stefanie Rhaue präsentierten in der Matinee einige musikalische Ausschnitte. Die Rolle der starken Gegenspielerin Houdinis, Madame Charmian, war ursprünglich von Brown nicht so groß angelegt; für die Uraufführung und für Stefanie Rhaue baute er sie jedoch aus: "Ich wollte aber den Spiritismus, den sie betreibt, mehr betonen; und eine Sängerin wie Stefanie für diese Partie zu haben, ist ein Geschenk!"

Aus all diesen Aspekten machte Paul Graham Brown, wie bei der Matinee zu hören war, eine heitere, aber auch melancholisch-tragische Geschichte, die teilweise in Rückblenden - dann mit Kinderdarstellern - erzählt wird.

Dazu war nach 15 Jahren für die Uraufführung in Hof eine komplette Überarbeitung des Stückes notwendig. Und dabei unterstützte Brown sein Ko-Autor bei anderen Musicals, James Edward Lyons, der Regisseur der Uraufführung. "Wir haben versucht, eine Metapher zu finden, in der sich Houdinis äußerer Aufstieg und sein Innenleben gemeinsam widerspiegeln. Wir sehen in ihm einen Menschen, in dem sich selbst alles dreht." Deshalb habe Annette Mahlendorf eine Bühne entworfen mit zwei sich drehenden Scheiben. "Es ist ein Karussell-Raum im weitesten Sinn", erklärt die Ausstatterin, die außerdem etwa 100 Kostüme für das Musical im Zeitkolorit der Zwanzigerjahre entworfen hat. "Ein solcher Raum tut dem Stück aber auch gut."

Ein sehr wichtiges Mitglied im Produktionsteam ist der musikalische Leiter Kenneth Duryea. "Bei einer Uraufführung herrscht eine ganz andere Art von Energie, eine kreative Energie vor", berichtet er von der Arbeit an dem Werk. Auch Paul Graham Brown ist sehr zufrieden mit seinem langsam flügge werdenden Werk: "Es ist ein schöner Arbeitsprozess. Ken macht das super. Jeden Tag ist es eine Erleichterung für mich, ihn zu sehen." Natürlich sei er als Komponist und Autor angespannt. "Eine Uraufführung ist ein Lebewesen für sich. Aber ich habe meine Arbeit gemacht und mein Baby abgegeben - jetzt sind die anderen dran."

Ein Lebewesen für sich.

Paul Graham Brown, Komponist und Autor, über die Uraufführung


Er kam immer frei.

Hauptdarsteller Chris Murray über

Houdinis Entfesselungskünste