Hof - Gut möglich, dass manche Komponisten ebenso gern Poeten geworden wären. Manchen gelang's, dem Musik-Dramatiker Richard Wagner etwa, dem Musik-Publizisten Robert Schumann, genialischen Doppelbegabungen. Letzterer überschrieb eine seiner "Kinderszenen" für Klavier mit "Der Dichter spricht". Beim achten Hofer Abonnementkonzert der Symphoniker am Freitag im Festsaal sprach "der Dichter" auch, allerdings mehr zu den Erwachsenen.

Zunächst heißt "der Dichter" Charles Baudelaire. Aus seinen "Blumen des Bösen" wählte sein französischer Landsmann Henri Dutilleux hintergründige Verse aus, um sie über die fünf miteinander verschmolzenen Teile seines Cellokonzerts "Tout un monde lointain" von 1970 zu setzen. So stellte der Komponist Stimmungswegweiser auf, die so viel verraten wie verschweigen. Dem Titel gemäß breitet Johannes Moser als hingebungsvoller Solist wirklich "eine ganze Welt in der Ferne" aus, und das Orchester, von Daniel Klajner in schillernde Atmosphären der Klangmagie geführt, hilft dem 36-jährigen Interpreten dabei, dass eine Traumwelt daraus werde.

Aufs "Meer" der sinnlichen Liebe, einen Ozean so "schwarz wie Ebenholz", segelt Baudelaire in seinem Gedicht "Das Haar" hinaus; ihm entnahm Dutilleux den Titel. Stilles oder fließendes oder heftiges Wogen, oft in erlesenen Schattenfarben, entfaltet der vielfach dekorierte Cellist. Nach leisem Raunen aus dem - überhaupt reichlich eingesetzten - Schlagwerk findet Moser von seiner Eingangskadenz an zu einem poetischen, zugleich mit Leidenschaft gesättigten Ton. Wunderbar expressiv in getragenen Passagen, staunenswert detailgenau in Abfolgen kleinster Noten, offenbart er sich als passionierter Tonkünstler von ungeheurer Wachheit. Die Gesten der Musik übersetzt er zugleich in kämpferische, verschmitzte, gedankenvolle Körpersprache. So verleiht er seinem seelenvoll schwingenden, aber nie vagen Spiel auch zwischenmenschlich eine unmittelbar ansprechende Aussagekraft.

Klangsatt und farbenfein vertieft er sich in das Gift-"Grün" eines "Blicks", in die "Zwillingsspiegel"-Bilder, die zwei "Seelen" in einer "dunklen See" finden. "Énigme", Rätsel, heißt der erste Satz - das ganze großartige Werk ist eins. In seiner abgründigen Schleierhaftigkeit stellt es das Orchester vor eine hochkomplexe Herausforderung, die es unter seinem Ersten Gastdirigenten geistesgegenwärtig meistert: eine Traumerzählung, ungreifbar, immer ergreifend.

Produktiver Schreiber

Nicht nur ergreifend, nachgerade zupackend: die "Episoden aus dem Leben eines Künstlers", die Hector Berlioz bis 1830 zur "Symphonie fantastique" zusammenfasste. Wieder ein Komponist, der zugleich produktiver Schreiber war; wieder fünf Sätze, diesmal wie die Akte einer klassischen Tragödie. Besagter "Künstler" ist Berlioz selbst, der dem Stück ein ausführliches literarisches Programm beigab; sein Leben war ein Drama der Auf- und Abschwünge, unstet, gebrochen. Voller Kontraste, Kontemplationen, Katastrophen breitet der Dirigent das schizoide, hochfliegende, entrückte, groteske Hauptwerk des Meister aus. Der war, was in Hof in der vierten Episode besonders hörbar wird, nicht zuletzt ein Meister des Fortissimos.

Kurios hektisch

Daniel Klajner - souverän ohne Partitur dirigierend, wenngleich kurios hektisch und hampelnd - setzt bei aller Theatralik auch auf fragile Abschnitte (die den Musikern nicht durchweg akkurat gelingen). Spitze Anmerkungen, grummelnde Einwendungen heben die Musiker zwischen Phasen utopischen Größenwahns oder wunderlicher Kauzigkeit hervor. Momente von Zartheit und Verzagen betont Klajner zwischen Zerrissenheit und Flattersinn. Wie mit Weichzeichner schraffieren Streicher und Harfen den Walzer des zweiten Satzes. In der idyllischen "Szene auf dem Lande", dem Adagio, treten Englischhorn und Oboe, weit getrennt voneinander postiert, in den Dialog - eine intime Schäferszene.

Aber freilich, die verliebten "Träumereien" des Kopfsatzes kehren sich im Finale um zum Alb-"Traum einer Walpurgisnacht". Jenen Hexensabbat intonieren die Symphoniker brausend, flirrend, tobend, mit Trommelgrollen und Glockengeläut, als ob das letzte Stündlein schlüge.

Das Publikum - "das Antlitz aufwärts und die Brust voran", wie in Baudelaires Gedicht "Musik" verlangt - ruft Bravo, "die Lunge kraftgefüllt".