Dankbar erzählte der französische Schriftsteller Guy de Maupassant, wie Gustave Flaubert ihn als jugendlichen Schreibanfänger vor einem Baum postierte, mit dem Auftrag: "Schau gut hin und schreib nur das auf, was du siehst." Flaubert, einer der Vollender des literarischen Realismus in seiner Heimat, betrieb die Schilderung der Welt sozusagen wissenschaftlich, geleitet von objektivem Erkenntnisdrang. Seine Unvoreingenommenheit wahrte er durch eine Prise Ironie, die er noch jenen Episoden seiner Bücher zusetzte, die den Zeitgenossen für anstößig galten. Zum Skandalautor - und Star - machte ihn 1857 seine Geschichte von der verbotenen Liebe, dem Ehebruch und Suizid der "Madame Bovary". Eine Hörspielbearbeitung des Epochenromans bietet das Deutschlandradio Kultur nun in seinem Abendprogramm; Valerie Stiegele hat den Text bearbeitet, Christiane Ohaus führte Regie, und Michael Riessler fügte die Musik hinzu.

Unerbittlich gegen sich selbst bei der Wahl des rechten Stils soll der Dichter tagelang rastlos umhergeirrt sein auf der Suche nach einem Begriff, der allein ein Ding genau genug beschrieb. Geradezu unbeteiligt nahm er an den furchtbaren Schicksalen seiner berühmtesten Heldin teil: Emma Bovary, die Gift genommen hat, "brach alsbald Blut aus. Ihre Lippen pressten sich krampfhaft aufeinander. Sie zog die Gliedmaßen ein. Ihr Körper war bedeckt mit braunen Flecken, und ihr Puls glitt dahin wie ein dünnes Fädchen, das jeden Augenblick zu zerreißen droht. Dann begann sie, grässlich zu schreien. Sie verfluchte das Gift, flehte, es möge sich beeilen, und stieß mit ihren steif gewordenen Armen alles zurück, was man ihr zu trinken reichte." So befolgte der Lehrer der nachfolgenden Naturalisten den eigenen Rat, schaute gut hin und schrieb nur das auf, was er in seiner Imagination sah.

Den weltliterarischen Rang Flauberts ließ der Knabe Gustave nicht ahnen: Freudlos wuchs er auf und galt als Schüler, als Student für eine Niete - als "Idiot der Familie"; so überschrieb Jean-Paul Sartre seine riesige Monografie über ihn. Auch mit Dramen und Novellen reüssierte er nicht sogleich - bis ihn die "Madame Bovary" der Namenlosigkeit für alle Zeiten enthob.

Als Martin Walser dieser Tage in Peking den Weishanhu-Preis für den besten fremdsprachigen Roman entgegennahm - für sein Buch "Ein liebender Mann" über Goethes Greisenliebe zur 19-jährigen Ulrike von Levetzow -, da bezog er sich in seiner Dankesrede auf den Franzosen: "Zum Beispiel die Liebe: In 'Madame Bovary' erzählt Flaubert, wie es einem Gefühl geht, wenn es in einer bürgerlichen Gesellschaft von Sitte und Anstand und Recht gefesselt wird." Und auch Walser plädiert für schlichtes Hinschauen, klares Aufschreiben: "Die direkte Sprache erklärt die Liebe in jeder Hinsicht."

Michael Thumser

Gustave Flaubert, "Madame Bovary": Deutschlandradio Kultur, 25., 26. und 27. Dezember, jeweils um 18.30 Uhr.