"Bei ihrer eigenen Taufe streckte sie dem Pfarrer die Zunge heraus!" Dieses briefliche Zeugnis von Mutter Winifred Wagner belegt nicht nur die Respektlosigkeit des Babys Friedelind gegenüber Würdenträgern schon wenige Wochen nach ihrer Geburt am Karfreitag des Jahres 1918; es scheint auch symptomatisch für den Charakter des Mädchens zu sein, das knapp zwanzig Jahre später - als einzige der berühmten Musiker-Familie - dem Nazi-Regime und damit auch der Heimat Deutschland und dem Familiensitz Bayreuth den Rücken kehrte.

Die Autorin des Buches "Friedelind Wagner" ist Eva Rieger, Jahrgang 1940. Die Professorin für Historische Musikwissenschaft an der Universität Bremen hat zahlreiche Bücher zum Thema "Frau und Musik" geschrieben, etwa über Minna und Richard Wagner oder Nannerl Mozart. In der gerade bei Piper erschienenen umfangreichen Biografie zeigt sie den Lebensweg der "rebellischen Enkelin Richard Wagners" auf. In seiner höchst unterhaltsamen Sprache, seiner großen Nähe zu den Personen und wegen der hohen Authentizität kommt das Buch gleichzeitig einem historischen Dokument nahe: Große Teile, vor allem der frühen Jahre Friedelind Wagners, gehen auf ihren umfangreichen Nachlass zurück.

Von Kind an wird das zweite der vier Kinder von Siegfried und Winifred Wagner als starke Persönlichkeit beschrieben. Sie sei "laut, feurig und undiplomatisch bis zur Taktlosigkeit" gewesen, schreibt Eva Rieger, - eben das schwarze Schaf der Familie. Die ältere von zwei Töchtern, die äußerlich eine große Ähnlichkeit mit Großvater Richard hatte, war aber auch voll scharfen Witzes und gewandt; eine charmante Persönlichkeit, die Menschen faszinieren konnte.

Und sie war begabt: Früh begeisterte sie sich für Musik, wenn sie in Berlin war, besuchte sie fast täglich Opernaufführungen, stets suchte sie den Kontakt mit Künstlern, wollte Regisseurin werden. Ihre lebenslangen starken künstlerischen Ambitionen, die sie am liebsten als Mitglied der Festspiel-Leitung ausgeübt hätte, wurden früh erstickt. Obwohl Siegfried alle vier Kinder gleichermaßen in seinem Testament bedacht hatte, setzten erst Großmutter Cosima und dann Mutter Winifred in der Wagner-Dynastie die männliche Erbfolge durch: Kronprinz und Erbe war Bruder Wieland. Auch nach dem Krieg blieb Friedelind Außenseiterin. Man nannte sie "Verräterin", der Zugang zum innersten Zentrum der Festspiele blieb ihr verwehrt.

Ausführlich und überaus anschaulich erzählt die Autorin von "Mausi", wie Friedelind von der Familie genannt wurde; von ihrer Kindheit und ihrer ständigen Opposition vor allem gegenüber der Mutter, die den Widerstandsgeist der Tochter mit Aufenthalten in Internats-Zuchtanstalten brechen wollte; und schließlich von Friedelinds radikalem Sinneswandel und ihrer Abkehr von "Onkel Wolf", wie die Wagner-Kinder Adolf Hitler, den Freund der Familie, nannten. Ausführliche Zitate aus Briefen Friedelinds aber auch ihrer Tanten und Bekannten machen die innere Entwicklung dieses jungen, selbstständig denkenden Menschen deutlich.

Mit einem ersten Abstecher nach Paris verabschiedete sich die 19-Jährige aus der Heimat: "Ich bin am 7. Mai 1937 aus Deutschland weg ... musste im Sommer '38 allerdings noch einmal auf der Bildfläche erscheinen, weil ich noch nicht mündig war und man mich mit Gewalt hätte zurückholen können, hätte man gewusst, dass ich draußen bleiben würde ..."

"Draußen", das hieß zunächst Schweiz, dann, 1940, England und schließlich - via Buenos Aires - New York. Erst mit 35 kehrte Friedelind zurück. Mit offenen Armen indes wurde sie nicht empfangen, zumal sie sich bereits kritisch über den Neuanfang in Bayreuth geäußert hatte. Eine Zukunft bei den Festspielen wurde ihr nicht eingeräumt; dennoch verlief ihr erster Besuch auf dem Grünen Hügel wie eine Inszenierung à la Hollywood. Der Spiegel berichtete genüsslich von der "Premieren-Sensation" der Saison 1953: "Der überschwere Straßenkreuzer nahm die Auffahrt um eine Nuance zu schnell ... Der Halt misslang nicht gänzlich ... Dann begab sich das Wunder ... Tüll wolkte heraus, blondes, ein wenig zu blondes Haar erschien über fein gezeichneten Brauen und der unverkennbar kühn geschwungenen Nase. Ein leises Raunen erhob sich im Kreis der ehrfürchtig Umstehenden. Friedelind, die verlorene Tochter, war heimgekehrt." Kerstin Starke

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Eva Rieger: Friedelind Wagner. Die rebellische Enkelin Richard Wagners. Piper, 504 Seiten, gebunden, 24,99 Euro.