Wörterbuch? Oder Lebenshilfe-Fibel? Nicht etwa ein gewaltiger, sondern nur ein feiner Unterschied besteht zwischen den Gattungen; bloß ahnte der Leser hier zu Lande bislang nichts davon. Jetzt aber belehrt ihn ein Band aus dem Sankt-Ulrich-Verlag darüber; dort erschien der Sprach- und Seelenratgeber eines amerikanischen Philosophen und Literaturwissenschaftlers: "Der feine Unterschied".

Darin erzählt Montague Brown zum Beispiel die Anekdote um eine Dame, die sich 1813 vor dem kleinen Unterschied zwischen Mann und Frau genierte: Sie trieb es "mit ihrer Prüderie so weit, dass sie die Bücher in ihrer Bibliothek sogar nach männlichen und weiblichen Autoren sortierte". Davon ist auf der einen Buchseite die Rede, auf der links daneben von der Keuschheit. Der feine Unterschied zwischen beiden: Diese bezeichnet eine "geordnete sexuelle Aktivität"; jene ist das Wort für die argwöhnische "Verachtung der sexuellen Aktivität".

Etwa hundert solcher Gegensatzpaare stellt Montague Brown auf; und das Druckbild des Buches unterstützt die Konfrontation. Abhängigkeit vs. Unterwerfung, Glück vs. Lust, Höflichkeit vs. Heuchelei, Vornehmheit vs. Dünkel, Weisheit vs. Schlauheit ...: In den oberen Ecken jeder Doppelseite prangen die vermeintlich synonymen, in Wirklichkeit widerstreitenden Begriffe; jeweils darunter - und hierin leistet der Autor teils großartige Arbeit - Kürzestdefinitionen, die entscheidende Diskrepanz zwischen dem einen und dem anderen benennend. So bringt Brown mit Geschick (und im Verbund mit dem ungenannten Übersetzer) "Begriffe auf den Punkt", wie der Untertitel seines Buchs verspricht. Redseliger geht's weiter: Reflektierend dreht und wendet der Verfasser die Vokabeln und erprobt Gemeinschaftserfahrungen aus Alltag und Gegenwart an ihnen. Dabei tun sich schnell dünne Stellen, Plattitüden, Selbstverständlichkeiten auf. Eilige Leser können sich die Lektüre jener Abhandlungen ersparen, wenn sie sich gleich auf die einleuchtend kurz- und bündigen Zusammenfassungen konzentrieren. Am Fuß jeder Seite schließt ein Zitat oder Quellentext und auch schon mal ein kurioses Geschichtchen die Betrachtung ab. Daneben rät der Autor: "Fragen Sie sich selbst": Kurze Kataloge gibt er dem Benutzer an die Hand, auf dass der das Gelesene aufs eigene Leben anwende zu dessen tauglicher Weitergestaltung.

Halb sympathisch, halb wunderlich gemahnt das Layout an das von Andachtsbüchern zur täglichen Glaubensübung. Das mag in den vielfach puritanischen Vereinigten Staaten weniger auffallen als hier in Europa. Hier pflegt man auch, zum Beispiel, ein anderes Verhältnis zu "Tradition" und "Vergangenheit". Eher kopfschüttelnd liest man unter jenem Begriffspaar: "Wozu sollten wir beim Straßenbau Schaufeln statt Bulldozer einsetzen [...] ? Es gibt gute Gründe, Dinge hinter uns zu lassen, die keine Traditionen, sondern einfach nur überflüssige Bestandteile der Vergangenheit sind." In der vergleichsweise sehr Alten Welt denkt man darüber zum Glück anders als in einer "neuen" Nation, deren Geschichte noch keine 300 Jahre zurückreicht. Michael Thumser

-----

Montague Brown: Der feine Unterschied. Sankt-Ulrich-Verlag, 222 Seiten, gebunden, 19,90 Euro.