Buchstäblich eine sagenhafte Parade, die hier aufmarschiert: an der Spitze Abaelard, jener hochmögende Philosoph und Dichter, der es sich gefallen lassen musste, wegen seiner unstatthaften Liebe zur schönen Heloïse von deren Onkel aus Rache kastriert zu werden. Den Schluss macht Yrkane, dänische Königstochter und Gattin des braunschweigischen Herzogs Reinfried; nach dem heißt ein uraltes Roman-Fragment, das davon berichtet, wie die hohe Frau sich gegen zuchtlose Verleumdung wehrt und ihren kreuzfahrenden Mann zur Heimkehr mahnt. Dürfen sie alle unter einen Hut? Dazu noch König Artus, Brünhild und die heilige Elisabeth, der zaubernde Merlin und der teuflische Mephisto, Till Eulenspiegel, der satirische Narr, oder Walter von der Vogelweide, der Poet? In einem neuen Lexikon pflegen leibhaftige und erfundene, historische und literarische „Gestalten des Mittelalters“ einträchtige Nachbarschaft. Aus dem Zeitraum von etwa 500 bis 1500 führten die Herausgeber etwa 220 Figuren zusammen, die in Literatur, Bildkunst und Musik der Epoche wie der Neuzeit ein Leben nach dem Tode führen. Dabei finden zwei Disziplinen zusammen: historische Quellenforschung und Stoffgeschichte. Vorm inneren Auge des Blätternden verlieren die Grenzen zwischen Biografie und Legende, Chronistik und Dichtung, Mythos und Märchen an Bedeutung. Die sprichwörtliche Dunkelheit des Mittelalters lichtet sich: Es zeigt sich bunt bevölkert. Michael Thumser

Horst Brunner, Mathias Herweg (Hg.): Gestalten des Mittelalters. 528 Seiten, gebunden, Kröner-Verlag, 26 Euro.