Denkbar, dass ein Autor mit einem Roman beginnt, weil ihm zuerst der Schlusssatz eingefallen ist. Doch bleibt der Anfang eine Kunst für sich: Was soll noch kommen, wenn’s nicht mal richtig losgeht? Über die Schönheit deutscher erster Sätze entschieden im Sommer 17 000 Leser aus aller Welt. Die Initiative Deutsche Sprache und die Stiftung Lesen hatten (wie seinerzeit berichtet) Bücherfreunde aufgerufen, Vorschläge einzusenden. Eine Jury – zu der Jutta Limbach und Thomas Brussig gehörten – wählte den schönsten der Schönen aus: „Ilsebill salzte nach“ – aus dem „Butt“ von Günter Grass. Nun verführt ein schmucker Leinenband voller erster Sätze dazu, sich mit Alternativen bekannt zu machen. In erlesener Typografie, mit Fotokunst durchsetzt, versammelt er scheinbar Banales und Abgründiges, Poesie und Provokationen von Meyrink und Eichendorff, Keun und Härtling ... Fragen sind erlaubt: Ist nicht doch „Ich bin so knallvergnügt erwacht“ (Ringelnatz) oder „Mir fällt nichts mehr ein“ (Hildesheimer) schöner? Oder „Wir atmen nicht“ (Kevin Vennemann)? Das sei „ein erster Satz, der wie ein letzter klingt, und doch hört man nicht auf zu lesen“, notierte dazu eine Zwölftenklässlerin. Ein Zweitenklässler kommt gar mit seiner Sonntagsschrift zu Wort. Denn so erwägenswert wie viele der Vorschläge sind nicht wenige der Begründungen, mit denen die Einsender nicht allein zur zitierten Sentenz, sondern überhaupt zu Literatur und Lesen Stellung nehmen – mitunter einfühlsamer, als es manchem abgebrauchten Kritiker gelingt. Michael Thumser

Der schönste erste Satz. Hueber-Verlag, 144 Seiten, gebunden, 19,95 Euro.