So!: Frau Wörner, seit 2005 wird „Unter anderen Umständen“ gedreht, am Montag läuft der zehnte Teil der Krimi-Reihe im ZDF. Haben Sie da still und heimlich eine Traditionsmarke geschaffen?

Natalia Wörner: Still und heimlich, das ist, glaube ich, genau der richtige Ausdruck dafür. Es ist ja keine Serie, die wöchentlich kommt und als Staffel gedreht wird, sondern eine Reihe: Wir drehen ein Mal im Jahr einen Film. In der Tat ist es so, dass ich mir, als ich vor zehn Jahren damit angefangen habe, nie Gedanken darüber gemacht hätte, ob das über einen so langen Zeitraum läuft. Die Geschichte fing ja damit an, dass ich damals etwas ganz anderes hätte spielen sollen, nämlich eine verdeckte Ermittlerin in einer Reihe, die eigens für mich entwickelt wurde. Aber dann wurde ich schwanger – und diese Schwangerschaft wurde genutzt, nachzuüberlegen und dann eine Figur zu kreieren, bei der die Schwangerschaft integriert wurde. Und das ist – in gewisser Weise – bis heute so geblieben, denn meine Figur hat ja einen Sohn. Aber, was viel entscheidender ist: Es gibt Momente, in denen man etwas kreiert, ohne damit eine bestimmte Absicht zu verfolgen. Dann aber bekommt dies auf einmal ein Eigenleben, eine Geschichte, eine eigene Biografie. Und das ist bei „Unter anderen Umständen“ irgendwie geschehen. Man hat tatsächlich ein Klima geschaffen, eine Figuren-Konstellation und eine bestimmte innere und äußere Temperatur, eine gewisse Atmospäre, die in sich stimmig ist. Und die dem Publikum wohl auch sehr gefällt. So hat sich diese leise, stille, innige Liebe entwickelt.

So!: Die Reihe hat einen eindeutig weiblichen Blickwinkel, klar, die Macher sind ja auch durch die Bank Frauen: Produzentin, Regisseurin, Kamerafrau und Sie als zentrale Protagonistin. Was machen Frauen anders, wenn es um Krimis geht?

Wörner: Ich bin jemand, der sich immer total gegen diese Frauen-Männer-Abwägung sträubt. Ich bin allerdings auch jemand, der immer schon enorm viel mit Frauen arbeitet. Mit Judith Kennel habe ich schon 13 Filme gemacht, mit Jutta Lieck-Klenke … das weiß ich gar nicht, das habe ich schon gar nicht mehr gezählt (lacht). Ich glaube also wirklich an „tribes“, an Frauen-Netzwerke. Von denen darf man aber nicht nur reden, sondern die muss man gründen beziehungsweise leben. Das ist etwas, das ich jetzt wirklich über Jahre praktiziert habe. Ich weiß, dass Frauen, wenn sie Lust haben gemeinsam erfolgreich zu sein, eine unglaublich gute Art haben zu kommunizieren. Das ist eine meiner Erfahrungen. Das heißt nicht, dass Männer das nicht können, aber die Transparenz, die Klarheit, die Vernetztheit im Mitdenken ist bei Frauen untereinander schon sehr erstaunlich. Auf den Krimi übertragen, oder überhaupt aufs Filmemachen generell, gilt das natürlich genauso. Wenn man, wie ich, mit einer Regisseurin so viele Filme gemacht hat, dann können Sie sich vorstellen, wie gut man sich kennt, wie sehr man sich vertraut und wie man auch Lust hat, miteinander weiter einen Weg zu gehen. Man will ja noch frisch bleiben, noch wach und aufmerksam und klar bleiben für den anderen und nicht in eine Routine verfallen. Da gilt es auch, ein Stück Kraft und Energie hineinzugeben. Grundsätzlich kann ich sagen, dass Frauen – von außen betrachtet – nicht von Haus aus die besseren Krimi-Erzählerinnen sind. Wobei es natürlich Unmengen von Krimi-Autorinnen gibt und das Genre Krimi eigentlich in Wahrheit ein verstecktes Frauen-Genre ist. Auch weil Frauen es lieben, Krimis zu lesen. In der Konstellation bei uns – Regisseurin, Produzentin, Kamerafrau, Hauptdarstellerin – haben wir eine Mischung von Frauen gefunden, die an einem Strang ziehen. So simpel ist das. So erzählen wir unsere Krimis. Es könnte aber auch jedes andere Genre sein. Es geht dabei mehr um den inneren Zusammenhalt, als um die Wahl der Mittel im Sinne eines Genres. So erlebe ich das zumindest.

So!: Ist Ihr Publikum, immerhin fünf bis sechs Millionen Zuschauer, auch mehrheitlich weiblich?

Wörner: Das kann ich Ihnen nicht sagen. Das wüsste ich auch gerne (lacht).

So!: So wichtig wie der Fall ist auch die innere Entwicklung der Figuren. Mit jeder Folge fügen Sie - sehr authentisch - einen erzählerischen Jahresring hinzu. Wie hat sich Kommissarin Jana Winter in diesen zehn Jahren verändert? Und wie spannend war es für Sie, sie dabei zu begleiten?

Wörner: Es war natürlich so, dass Frau Winter in ihrer Biografie den einen oder anderen Schicksalsschlag verkraften musste. Ganz konkret: den Tod ihres Mannes, der ja im dritten Teil verunglückt ist. Sie musste sich daraufhin ganz neu und anders orientieren und im Leben wieder Fuß fassen. Als alleinerziehende Mutter musste sie den privaten wie den beruflichen Stand halten. Da gab es viele Filme, in denen das thematisiert wurde – und auch der Schmerz gezeigt wurde, den diese Frau selbst verarbeiten musste. Das kann man ja nicht nur einmal erzählen und dann ist es wieder vorbei, sondern das blieb wie ein Mosaikstück im Hintergrund immer irgendwie dabei. Insofern ist die Frage ganz schön, die Sie stellen: Im letzten Jahr gab es auch bei mir den Augenblick, an dem ich sagte: Das Leben hat die Figur so früh an die Hand genommen, lasst uns doch jetzt dieser Frau einen neuen Lebensschritt zumuten. Im Film, den wir gerade drehen, im elften Teil der Reihe, wird es einen Neuzugang geben als Figur, als Mensch im Leben von Jana Winter. Das könnte ganz spannend werden. Ich kann das jetzt von mir, Natalia Wörner, nicht übertragen auf Jana Winter. Das ist ja auch gar nicht die Frage. Ich habe die Biografie dieser Figur immer als nicht statisch empfunden. Vom Privatleben eines „Tatort“-Kommissars kriegen Sie ja relativ wenig mit. Wenn, dann sind das gesetzte Größen: Single oder Familie oder alleinerziehend – und so bleibt das dann meistens. Bei uns war es immer so, dass man wusste: Da gibt es schon eine gewisse Form und dann geht man einen Schritt und schaut, was passiert. Nun haben wir uns also entschlossen, einen Fall zu erzählen, der vor allem in Dänemark spielt und bei dem Jana Winter mit einem dänischen Kollegen kooperieren muss. Und diese Kooperation führt dann auch in einen privaten Moment.

So!: Wie nahe steht Ihnen Jana Winter, die so vieles aus Ihrem wahren Leben spiegelt? Alleinerziehende Mutter, starke Frau und doch manchmal etwas überfordert, manchmal voller Zweifel, eine Heldin kurz vor dem Burn-out – das kennen Sie alles aus eigener Erfahrung, oder?

Wörner: Ja, sicher in der einen anderen Form. Ich verstehe, dass man da von außen immer gern Parallelen ziehen möchte. Ich selbst empfinde das nicht so. Es gibt natürlich Momente, in denen meine Erfahrungen auch meiner Figur zugute kommen. Umgekehrt gibt es auch Figuren, die laut Drehbuch Erfahrungen machen, die mir zugute kommen. Mein Hauptaugenmerk liegt eigentlich nie auf den Parallelen, sondern auf dem, was für mich neu oder fremd und noch zu entdecken ist. Das ganze Berufsumfeld von Frau Winter ist ja etwas so Fremdes, gar nicht zu vergleichen mit dem, was ich kenne und erlebe. Die Art, sich auf so ein Leben einzulassen, hat vollkommen andere Zugänge. Die ich spannend finde. Die mir aber auch irgendwie so fremd sind, dass ich sie mir immer wieder neu erarbeiten muss. Natürlich habe ich das mit einer Figur so nie erlebt, dass man auch gemeinsam älter wird – ganz poetisch. Das ist tatsächlich ein großes Geschenk. Ich empfinde Frau Winter wie eine Schwester aus dem Norden: Einmal im Jahr gehe ich hin und besuche sie und schaue mal, wie es ihr so geht und was sie so erlebt (lacht). Für mich ist das wie ein Einchecken in eine Situation, die mir schon vertraut ist, allerdings in einem Klima, das nicht unbedingt meinem Betriebsklima entspricht. Dort ist es so eine kleinstädtische, übersichtliche Welt, die deshalb aber nicht kleinere Probleme hat. Auf alle Fälle hat sie jedoch einen anderen Lebensrhythmus. Da gibt es Dinge, die ich total genieße, wenn ich dort oben bin, weil es wirklich mittlerweile ein Eintauchen ist in etwas Vertrautes. Gleichermaßen ist es aber auch eine fremde Figur, die ich eben einmal im Jahr spiele.

So!: Dieses „Älterwerden in Echtzeit“ wird ja auch dokumentiert durch Ihren eigenen Sohn Jacob, der von Anfang an mitspielt. In der ersten Folge noch ungeboren, die drehten Sie im sechsten Monat schwanger. Danach, bis Folge acht, als Kind. Jetzt haben Sie ihn aus der Produktion herausgenommen. Warum?

Wörner: Das hatte mehrere Gründe, unter anderem einen ganz praktischen: Er ist in die Schule gekommen. Ich empfand es als nicht angemessen, ihn für die Drehzeit aus der Schule rauszuholen. Ich habe zudem gedacht, dass er in einem Alter gewesen wäre, in dem er Schauspielunterricht, Coaching gebraucht hätte, in dem er sich damit hätte beschäftigen und Texte lernen müssen. Bis dahin konnte man das ganz spielerisch mit ihm drehen. Aber mit sechs, sieben wird Kindern, die ernsthaft mitspielen, schon einiges abverlangt. Die müssen das auch wirklich wollen. Jacob liebt es, am Set zu sein. Auch jetzt, beim Dreh von Folge elf. Aber ich hatte nicht das Gefühl, dass es ihn vor die Kamera zieht. Ich bin einfach dem Impuls als Mutter gefolgt. Ich habe meinen Sohn beobachtet und gesehen: Das ist nicht sein Weg. Auf alle Fälle: Nicht im Moment. Also habe ich die Entscheidung getroffen, ihn da rauszunehmen.

So!: Viele der Fälle haben etwas mit dem Thema Familiengeheimnis zu tun, mit den daraus folgenden Konflikten in einer Familie. Das spiegelt sich zum Teil auch im Privatleben der Kommissarin oder es verlangt ihr zumindest eine persönliche Haltung ab. Wie findet das Team diese Themen?

Wörner: Wir suchen uns die Themen ja selber aus. Und ich finde: Es gibt nichts Spannenderes als Familiengeheimnisse. Wir erzählen ja kein Großstadt-Leben, also müssen die Krimis, die wir erzählen, auch zu unserer Gesamt-Atmosphäre passen. Da geht es nicht um große Dimensionen von menschlichen oder gesellschaftlichen oder auch wirtschaftlichen Entwicklungen, mit denen man umzugehen hat. Wir bleiben ja auf einer relativ „normalen“ Ebene des Verbrechens. Damit meine ich, dass es relativ oft die Dinge sind, die einen berühren, weil sie so scheinbar normal sind, weil sie so aus dem Alltag heraus entstehen. Wenn man denen eine Dimension geben will, die nicht in Richtung Sensation geht, sondern eher in eine Fragestellung mündet, dann landet man meistens in der Familie, dann sind es meistens Familiengeheimnisse, die sich in die eine oder andere Richtung so fortbewegen, dass sie innerhalb eines sogenannten vertrauten Kreises geschehen. Das sind, finde ich, auch auf einer psychologischen Ebene, die spannenderen Themen. Besser als etwas, das an den Haaren herbeigezogen wird, besser als eine kühne Behauptung, die aufgestellt wird. Das kann auch eine schöne Aufgabe sein, aber dann vielleicht für ein anderes Team oder in einer anderen Klimazone.

So!: Ihre Regisseurin Judith Kennel ist zwar aus der Schweiz, aber sie inszeniert die Folgen wie eine Skandinavierin: sensibel, mit einem Gespür für die menschlichen Zwischentöne. Kann man das durchaus als Gegenbewegung zu den kriminaltechnisch aufgedonnerten Großstadtkrimis aus den USA deuten?

Wörner: In der Tat! Schön, wie Sie das beschreiben. Das ist auch eine gewisse Qualität. Und es war von Anfang an auch die Idee, sich an Skandinavien zu orientieren und nicht an allem, was mit Hightech und Anonymität in der Großstadt daherkommt. Das war immer der Ansatz. Und das hat sich auch wie ein Markenzeichen durchgesetzt bis jetzt: Dass man auf bestimmte Dinge bewusst verzichtet und aus dieser Reduktion heraus eine Tiefe entwickelt. Und sich eben nicht nach außen in die Breite orientiert. Das würde weder zu den Figuren passen, wie wir sie erzählen, noch zu der Stadt Schleswig noch zu diesem kleinstädtischen ländlichen Ambiente der kargen Landschaft. Wir drehen ja immer im Winter, das ist auch ein Teil unseres inneren Konzeptes. Das hat in sich bereits eine große Stimmigkeit gefunden.

So!: Sie haben mal gesagt, Ihre verlässlichsten Lebensbegleiterinnen sind Frauen, „ein Rudel Alpha-Wölfinnen“. Tun sich Alpha-Wölfe in diesem Umfeld schwer?

Wörner: Ich verstehe das Bild, das besagt: Es kann immer nur einer der Rudelführer sein. Aber das ist dann wohl der Unterschied zwischen dem Tierreich und den Menschen. Ich habe eigentlich die Erfahrung gemacht, dass die sogenannten starken Frauen – und ich habe mit dem Begriff so meine Probleme, weil ich ständig so tituliert werde und schon langsam anfange, auf meine Schwächen zu pochen. Das liegt an diesem Gleichsetzen von erfolgreicher Frau und starker Frau. Aber das ist jetzt ein anderes Thema -, die starken Frauen, die eine gewisse Klarheit und Durchsetzungskraft haben, ein gewisses Lebensenergie-Kraftfeld, sehr wohl andere, die ähnlich ticken nicht nur dulden, sondern sich sogar freuen, dass es sie gibt. Auch mein Privatleben besteht vor allem aus Alpha-Frauen – und da gibt es kein territoriales Geplänkel. Nein, das ist sehr bereichernd. Wir schätzen die anderen, wir geben uns Raum und wir können aus der Kraft heraus gemeinsam etwas Größeres machen, als das, was wir machen würden, wenn wir alleine wären.

So!: Ein starker Mann hätte da trotzdem noch Platz?

Wörner: Eine gute Frage. Die kann ich aber nicht beantworten (lacht). Das wäre bestimmt mal noch eine interessante Forschungsaufgabe. Da bin ich noch dran.

So!: Zwei Tage waren tiefe Einschnitte in Ihrem Leben: der 26. Dezember 2004, als sie am Strand von Khao Lak den Tsunami überlebten; und der 7. April 2006, der Geburtstag Ihres Sohnes. Beide Tage haben Sie verändert. Was machen Sie seitdem anders? Wie hat sich Ihr Fokus verschoben?

Wörner: Eine sehr umfangreiche Frage. Über den Tsunami habe ich schon so viel gesprochen, dass ich immer Angst habe, ich wiederhole mich. Es ist aber unweigerlich so, dass mich dieser Tag verändert hat. Mein innerer Kompass, privat wie beruflich, zeigt seitdem in ganz neue Richtungen. Das sprengt wirklich den Rahmen dieses Interviews, glauben Sie es mir. Es gibt seitdem neue Schwerpunkte, andere Dinge dagegen wurden plötzlich verzichtbar. Ich gucke mir jetzt genau an, was ich mache und was ich lasse, mit wem ich meine Zeit teile und mit was ich mich inhaltlich beschäftige. Dieses Erlebnis hat klar definiert, was für mich wesentlich ist. Und der 7. April: Das ist überhaupt der schönste Tag meines Lebens, weil sich das Leben da noch mal mit einem komplett neuen Sinn aufgestellt hat – und ich genieße es jeden Tag.

Interview: Andrea Herdegen

Kurz & knapp
Natalia Wörner, 1967 in Stuttgart geboren, kam übers Modeln zum Schauspiel. Von den Laufstegen, unter anderem in Paris, Mailand und Wien, wechselte sie 1987 ans berühmte Lee Strasberg Actors Studio in New York, um ihr darstellerisches Talent zu vervollkommnen.
1992 kehrte sie nach Deutschland zurück, wo sie auf der Bühne und vor der Kamera spielte und für ihre Leistungen mehrfach ausgezeichnet wurde (Goldener Gong, Deutscher Fernsehpreis, Österreichische Romy). Seit 2006 ist Wörner ein- bis zweimal jährlich als Kommissarin Jana Winter in der Hauptrolle der ZDF-Krimireihe „Unter anderen Umständen“ zu sehen. Natalia Wörner ist geschieden und lebt mit ihrem neunjährigen Sohn in Berlin.

Unter anderen Umständen - Das verschwundene Kind
Der zehnte Fall für Kommissarin Jana Winter (Natalia Wörner). Der kleine Sascha wird vermisst. Der Junge wächst in schwierigen Verhältnissen bei seiner Mutter auf. Saschas Vater, Jürgen Lohmann, ist vorbestraft, unter anderem wegen Körperverletzung an Saschas älterem Bruder. Jana Winter und ihr Team suchen verzweifelt nach Lohmann, der seit seiner Haftentlassung untergetaucht ist. Sendetermin im ZDF: Montag, 13. April, 20.15 Uhr.