So!: Frau Engelmann, die meisten jungen Leute in Ihrem Alter haben anderes im Kopf, als Gedichte zu schreiben. Was empfinden Sie dabei als reizvoll?

Unser Sonntagsstar

Julia Engelmann, geboren 1992 in Bremen, ist ein Multitalent. Sie überspringt zwei Schulklassen, macht schon mit 16 ihr Abitur. Erste Schauspielerfahrungen sammelte sie in einem Jugendtheater, stand dann von 2006 bis 2010 in mehreren Stücken am Theater Bremen auf der Bühne. In 520 Folgen der RTL-Soap "Alles was zählt" stellte sie bis 2012 die Eishockey-Spielerin Franziska Steinkamp dar. Engelmanns Gedicht "Eines Tages, Baby" war vor vier Jahren ein Internet-Hit. Als erfolgreichste deutsche Poetry-Slammerin hat sie es immer wieder geschafft, den Nerv der Zeit zu treffen. Alle ihre drei Bücher trugen sich auf der Spiegel-Bestsellerliste ein. Nun hat sie auch als Sängerin Erfolg, landete 2017 mit "Grapefruit" aus ihrer Debüt-CD "Poesiealbum" einen Hit. Bei ihren gefeierten Bühnenauftritten bringt sie das Publikum zum Lachen und rührt es gleichzeitig zu Tränen. Am 7. Oktober startet ihre neue Tour "Jetzt, Baby - Poesie & Musik".

Julia Engelmann live

22. September Beverungen, Stadthalle

23. September Stuttgart, Liederhalle

25. September Nürnberg, Meistersingerhalle

26. September Ingolstadt, Theater-Festsaal

28. September Frankfurt, Jahrhunderthalle

29. September Würzburg, Congress-Centrum

30. September Düsseldorf, Mitsubishi-Electric-Halle

1. Oktober Köln, Palladium

3. Oktober Karlsruhe, Schwarzwaldhalle

5. Oktober Koblenz, Rhein-Mosel-Halle

6. Oktober Trier, Europahalle

7. Oktober Duisburg, Mercatorhalle

9. Oktober Hamburg, Laeiszhalle

10. Oktober Hamburg, Laeiszhalle

12. Oktober Bremen, Metropol-Theater

13. Oktober Bremen, Metropol-Theater

18. Oktober Aurich, Stadthalle

19. Oktober Hannover, Kuppelsaal im HCC

20. Oktober Leipzig, Arena

21. Oktober Regensburg, Audimax

23. Oktober Crailsheim, Hangar

24. Oktober Rosenheim, Kultur- und Kongress-Zentrum

25. Oktober Wien, Stadthalle

27. Oktober Landshut, Eskara Sport- und Kulturarena

28. Oktober Chemnitz, Stadthalle

10. November Berlin, Tempodrom

11. November Magdeburg, Stadthalle

12. November Erfurt, Messehalle

13. November Dresden, Konzertsaal im Kulturpalast

15. November Saarbrücken, Saarlandhalle

16. November Mainz, Halle 45

17. November Kempten, Big-Box Allgäu

23. November Aachen, Eurogress

25. November Zürich, Halle 622

26. November Innsbruck, Congress

27. November Salzburg, Congress

29. November Braunschweig, Stadthalle

Julia Engelmann: Ach, ich liebe einfach Poesie. Ich fühle mich damit so zu Hause. Es gibt ja Menschen, die sich zum Meer hingezogen fühlen oder zu den Bergen. Ich fühle das bei Gedichten. Damit fühle ich mich wohl. Das ist wie eine Weltanschauung, aktives Wahrnehmen, das Verlangen, alles Schöne festzuhalten und zu teilen. Poesie ist meine Luft zum Atmen.

So!: Sie waren Deutschlands erfolgreichste Poetry-Slammerin. Inzwischen wollen Sie sich nicht mehr so bezeichnen lassen, weil Sie an diesen Dichter-Wettbewerben nicht mehr teilnehmen. Als was sehen Sie sich jetzt?

Engelmann: Ich würde sagen, ich bin Dichterin. Wenn ich mehr Zeit hätte, das zu erklären, würde ich sagen: Ich illustriere meine Gedichte auch, setze sie in Musik um. Und ich präsentiere sie auf der Bühne.

So!: Sie sind auch Schauspielerin und Sängerin. Wie diszipliniert muss man sein, um dieses Pensum zu schaffen?

Engelmann: Man muss erst mal gar nichts. Es gibt ja verschiedene Herangehensweisen. Ich bin gerne fit und ausgeschlafen, habe viel Energie. Und die setze ich auch gerne um.

So!: Das heißt, Sie führen einen gesunden Lebenswandel und gehen früh ins Bett?

Engelmann: Ja, einen gesunden Lebenswandel führe ich schon immer. Weil ich einfach gemerkt habe, dass mir das gut tut. Unabhängig davon, was ich beruflich mache.

So!: Ihr Psychologie-Studium haben Sie kürzlich "erfolgreich abgebrochen", wie Sie sagen. Was hat Sie zu dieser Entscheidung gebracht?

Engelmann: Es hat eine Weile gedauert, fast drei Jahre, bis ich diese Entscheidung getroffen hatte. Ich war beruflich Dichterin geworden und habe einfach keinen Raum mehr gesehen, um dem Studium gerecht zu werden

So!: Wollen Sie das Studium später fortsetzen?

Engelmann: Meine Mutter ist Psychologin, auch Coach und Unternehmensberaterin, arbeitet viel mit Managern. Sie hat ihr Psychologie-Studium mit 38 angefangen. Das zeigt, dass es kein Alter gibt, in dem man sagt: Jetzt kannst du das nicht mehr machen.

So!: In dem Text "Eines Tages, Baby", der Sie 2013 bekannt gemacht hat und im Internet millionenfach geklickt worden ist, geht es ums alte philosophische Prinzip "Carpe Diem". Ist diese Maxime des bewussten und sinnvollen Nutzens der Zeit für Sie weiter relevant?

Engelmann: "Carpe Diem" ist unglaublich relevant für mich! Immer wieder. Seit ich darüber nachdenke und schreibe, hat sich tatsächlich mein Leben geändert. Mir ist sehr bewusst, dass Zeit endlich ist. Und dass mein Leben das ist, was ich daraus mache. Ich bin sehr dankbar für jeden Tag, an dem ich gesund aufwache. Ich finde aber schon, dass man dieses Motto durchaus unterschiedlich interpretieren kann. Für mich heißt, den Tag zu nutzen, nicht, jeden Tag eine lange To-do-Liste zu haben. Mir geht es darum, Prioritäten so zu setzen, dass sie mit meinen eigenen Werten übereinstimmen.

So!: Sind Sie manchmal wach, bis die Wolken wieder lila sind?

Engelmann: Ja (lacht). Ich war schon mal wach, bis die Wolken lila wurden. Aber ich bin auch manchmal schon im Bett, wenn die Wolken lila werden.

So!: Ich nehme an, Sie haben auf diesen Text hin sehr viel Post bekommen.

Engelmann: Ich bekomme ganz viele Nachrichten mit den verschiedensten Inhalten. Menschen, die schreiben, was ihnen meine Texte bedeuten, wo sie ihnen vielleicht schon mal geholfen haben. Ich fühle mich dadurch sehr beschenkt. Die Reaktionen sind in der Regel so, dass jemand sagt "Das hat mich motiviert" oder "Ich fühl' mich jetzt weniger alleine" oder "Ich habe das mit meinen Freunden geteilt, mit meinen Eltern, mit meinen Kindern". Das ist sehr schön.

So!: Sich mehr Zeit für sich zu nehmen, ist ja ein ständiger Prozess. Schaffen Sie das gut, trotz der vielen Verpflichtungen?

Engelmann: Bei dem, was ich mache, sind die Grenzen ja fließend. Ich mache es mit großer Leidenschaft, für mich ist, Poesie zu verfassen und umzusetzen, ein liebendes Geschenk. Auch das ist deshalb Zeit für mich. Trotzdem: Es ist hin und wieder schön, mal das Handy für eine halbe Stunde auszumachen. Das versuche ich schon.

So!: Ihre Mutter und Ihr Vater unterstützen Sie. Ist "Julia Engelmann" ein Familienbetrieb?

Engelmann: Wenn man so will, wahrscheinlich schon. Wir sind wie so eine Art kleiner lyrischer Wanderzirkus, wir arbeiten zusammen. Es ist für mich auch ein Geschenk, mit meinen Eltern zusammenarbeiten zu können. Das macht mir sehr viel Freude. Wir sind einfach alle gemeinsam in diese Welt reingeraten, und dann sind wir Schritt für Schritt zusammen vorangegangen.

So!: Journalisten-Kollegen nennen Sie "eines der größten Phänomene der deutschsprachigen Popkultur" und "Stimme ihrer Generation".

Engelmann: Ich würde sagen: Ich bin meine eigene Stimme. "Die Generation" besteht aus so vielen verschiedenen Menschen. Das lässt sich nicht zusammenfassen. Genauso wenig wie "die Gesellschaft". Andererseits sind wir Menschen, auch wenn wir uns total verschieden fühlen, uns vielleicht doch manchmal ähnlicher, als wir glauben. Mir tut es immer gut, wenn sich jemand öffnet und sagt, was in ihm vor sich geht. Dann spüre ich: Wir sind alle mehr, als wir manchmal denken.

So!: Hat Sie der große Erfolg überrumpelt?

Engelmann: Es hat mich auf jeden Fall maximal überrascht. Und das tut es immer noch. Ich habe ja überhaupt nicht damit gerechnet. Ich habe nicht gedacht, dass ich das mal beruflich mache. Überrumpelt ist für mich negativ konnotiert. Deshalb würde ich das nicht sagen.

So!: Gerade bei Jüngeren gelten Sie als Idol. Entsteht aus dieser Vorbildfunktion auch Druck?

Engelmann: Das kann man von verschiedenen Seiten betrachten. Ich empfinde es als großes Kompliment. Ich kann ja sowieso nie das machen, was jemand anderes möchte oder denkt. Ich kann nur das machen, was in mir vorgeht. Im Idealfall führe ich mein Leben so, dass ich in meinen Texten und auf der Bühne durch und durch das bin, was ich bin. Ich stelle dort nichts dar. Aber ich gebe alles, was ich geben kann. Was andere Menschen daraus machen, kann ich nicht beeinflussen. Wenn es sie inspiriert, dann freut mich das.

So!: In Ihren Songs schwingt viel Optimismus mit. Wie wichtig ist es Ihnen, Ihr Publikum auf positive Gedanken zu bringen?

Engelmann: Ich finde positive Gedanken unglaublich wichtig! Das habe ich auch von meiner Mutter gelernt, die das im Fach Psychologie erforscht hat. Gedanken sind so stark, Worte sind so stark. Ich glaube, Optimismus ist eine Entscheidung, die man treffen kann. Die ich für mich treffen kann. Das bedeutet zum Beispiel, auszublenden, dass ich vielleicht manchmal Angst habe. Ich entscheide mich, aus dem Teil meines Lebens, auf den ich Einfluss habe, etwas Gutes zu machen. Diese Einstellung finde ich unglaublich teilenswert. Weil es jedem Menschen, wenn er denn möchte, in seinem eigenen Leben ein Stück helfen kann.

So!: Sie schaffen es also, durch positive Gedanken wieder herauszukommen aus einem Gefühl der Traurigkeit?

Engelmann: Das bedeutet ja nicht, dass ich nicht traurig sein will. Traurigsein ist ein Teil der Natur, es gehört dazu. Das ist eine Farbe, eine Jahreszeit. Ich würde aber Traurigsein unterscheiden von Sich-Aufregen über Dinge, die man nicht ändern kann. Oder Traurigsein über etwas, was schon lange her ist und von dem ich längst weiß, warum es so passiert ist. Es lässt sich also nicht verallgemeinern. Ich glaube, Optimisten können auch traurig sein. Das ist eher eine Frage der Haltung und der Selbstwirksamkeit.

So!: Man kann aber lernen, sich nicht so runterziehen zu lassen?

Engelmann: Genau. Traurigsein ist etwas anderes als Sich-Runterziehen-Lassen. Das steckt ja schon in der passiven Konstruktion "Ich lasse mich runterziehen". Es ist wichtig, zu unterscheiden, was hier gerade vor sich geht und was das mit mir zu tun hat. Und was für mich die beste Weise ist, damit umzugehen. Sich im Bett zu verkriechen, auch in seinem inneren Bett, ist ein Gefühl, das ich nachvollziehen kann. Aber manchmal bringt das einfach gar nichts.

So!: Haben witzige Texte beim Poetry Slam bessere Chancen als melancholische?

Engelmann: Weiß ich nicht. Ich glaube, beim Poetry Slam ist einfach alles möglich. Das schätze ich so an diesem Format. Wenn jemand auf die Bühne kommt, weiß man überhaupt nicht, was der sagen wird. Humor kann ja auch so viel Verschiedenes bedeuten. Wir beide könnten uns sicher auf etwas einigen, das wir lustig finden. Aber jemand anderes findet vielleicht genau das Gleiche nicht witzig. Ich glaube, Melancholie und Humor schließen sich überhaupt nicht aus. Beim Poetry Slam hat erst mal jeder Text eine Chance.

So!: Wie wichtig ist Musik für Ihren kreativen Prozess? Arbeiten Sie - wie die Poeten der Beat-Generation - viel mit dem Rhythmus der Sprache?

Engelmann: Ich höre unglaublich viel Musik beim Schreiben. Ich liebe Musik. Sie ist für mich wie eine weitere Dimension von Poesie. Musik ist mir sehr wichtig.

So!: Bei Ihrer Tour, die im Herbst startet, gibt es ja beides. Wie ist es aufgeteilt?

Engelmann: Ich habe eine Band mit dabei und Lukas und Martin stehen mit auf der Bühne. Ich werfe eine Menge Konfetti. Wir spielen Lieder in verschiedenen Set-ups, ich trage Gedichte vor. Während der Show gibt es kleine Frageteile. Man kann mir also aus dem Publikum Fragen stellen, wenn man möchte. Nach der Show signiere ich Bücher. Und jeder kann ein Foto von sich mit mir machen. Interview: Andrea Herdegen