Wie es gute Autoren gibt und weniger gute, so gibt es auch gute und weniger gute Leser. Einer der besten ist der Brite James Wood. Das weist er mit seinem jetzt erschienenen Buch "Die Kunst des Erzählens" (Rowohlt, 237 Seiten, 19,95 Euro) nach. Wood, 1965 geboren, war bereits mit 27 Jahren Chefkritiker beim Londoner Guardian, jetzt ist er als Professor für angewandte Literaturkritik an der Harvard University tätig und schreibt für die Zeitschrift The New Yorker. In seinem Buch zeigt er auf, wie das Erzählen "funktioniert" (der Originaltitel lautet "How Fiction works"); er beschäftigt sich mit Figuren, Sprache und Dialog, mit Wahrheit, Konvention und Realismus, und er tut das so, dass eins ins andere greift. Darüber, was ihm bei der Lektüre wichtiger Romane - von Flaubert über Joyce und Nabokov bis zu David Foster Wallace - alles auffällt, kann man nur staunen. Zwei kluge und fesselnde Seiten etwa schreibt er über zehn Zeilen in "Sabbaths Theater" von Philip Roth, wobei er zu dem Fazit gelangt: "Das alles in einem einzigen Satz!" Zu den
Bewunderern James Woods gehört Daniel Kehlmann, einer der bekanntesten deutschen Erzähler ("Die Vermessung der Welt"), der selbst einer der besten Leser ist; seine groß-
artigen Essays über Autoren wie Bernhard und Beckett, Capote und Coetzee sind in dem Band "Lob" aus dem Jahr 2010 gesammelt. Nachdem er Woods Buch gelesen hatte, teilt Kehlmann im Vorwort desselben mit, habe er über
viele Fragen anders gedacht als zuvor, das heißt, er hatte etwas gelernt für sein weiteres Lesen und Schreiben. Und vielleicht sogar fürs Leben. Denn durch die
Literatur - so meint James Wood - werden wir zu besseren Beobachtern, und dies befähigt uns, "das Leben besser zu lesen". Man zögere also nicht, sich im Lesen großer Roma-
ne zu üben. Woods "Kunst des Erzählens" kann dabei ein wertvoller
Ratgeber sein.